Barfuss gegen das Patriarchat

Auf dem flauschigen, weissen Teppich im Avalon Apartment an der Clarastrasse 50 hat es sich erstmal ausgetanzt. Die Frauen hinter dem Kollektiv, das die legendären Raves veranstaltet hat, erzählen, wie es nun weitergehen könnte.

Kollektiv Avalon
Das Kollektiv Avalon v.l.n.r.: Anina (im roten Pulli), Sandra, Ada, Hester, Naomi, Lea. (Bild: Nic Gysin)

Es ist eine dieser eisigen Nächte in diesem ohnehin kalten Februar. Doch die Menschen stehen sich an der Clarastrasse 50 geduldig die Beine in den Bauch, eingepackt in dicke Jacken und Schals lachen sie und umarmen sich freudig. Zahlreich sind sie gekommen, um am berühmt-berüchtigten Tender Rave im Avalon Apartment teilzunehmen, organisiert vom Kollektiv Avalon.

Es wird möglicherweise das letzte Mal sein, bevor das zwischengenutzte Haus nach langen Rechtsstreitereien kommenden Juni trotz des neuen Wohnschutzgesetzes abgerissen und in neuem Gewand wieder aufgebaut wird.

Die Schlange zieht sich auf dem Trottoir und wird immer länger; nichts ist zu spüren von einer Feierverdrossenheit des Basler Partyvolks. Die schiere Zahl der Menschen steht aber auch für ein Bedürfnis nach einem Safe Space. Denn das ist es, was das Kollektiv mit seinen Raves schaffen möchte, ein Ort abseits des Mainstreams, wo man sich in Sicherheit wähnen kann. Wo Übergriffe und aggressive Feiernde keinen Platz haben.

Doch so inklusiv und gemeinschaftlich die Party sein will, ein exklusiver Charakter kann ihr nicht abgesprochen werden. So hat Glück, wer auf der sogenannten Lovelist steht und an der Schlange vorbeigeführt wird – hoch in den zweiten Stock, um einzutreten in eine Wohnung mit flauschigem weissen Teppich und dezentem Licht an der Decke. Um in Socken oder barfuss für 10 Franken von 20 bis 23 Uhr zu tanzen.

Die nackten Füsse sind nur ein Aspekt, der diese Abende zu etwas ganz Besonderem macht, wenn auch ein wichtiger: «Wer keine Schuhe anhat, verbindet sich ganz anders mit dem Boden, der einen trägt», ist Sandra vom Kollektiv überzeugt; sie hat an diesem Abend Musik aufgelegt und die Menschen in Ekstase versetzt. «Die Menschen sind vorsichtiger mit dem Raum und vorsichtiger mit den Menschen um sie herum», sagt die DJ weiter. 

Macherinnen gesucht!

Soft wie der Boden sind auch die sechs Mitglieder des Avalon Kollektivs im Umgang miteinander, als sie wenige Wochen nach besagter Party leicht verschlafen bei einem Glas Wasser im Avalon Apartment auf Kissen im Kreis sitzen oder sich gegenseitig im Arm liegen.

Sie erzählen, wie es dazu gekommen ist, dass sie gemeinsam einen Raum geschaffen haben, in dem Gastfreundschaft genauso gross geschrieben wird wie Achtsamkeit und Rücksichtnahme. Ein klares Konzept hatten beziehungsweise haben die Frauen nicht, weder damals noch heute. «Organisch», so sind sie sich einig, seien «die Ideen aus ihren Bedürfnissen erwachsen». Und genau diese Authentizität dürfte sie zum Erfolg geführt haben.

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Das Kollektiv Avalon schafft einen Ort abseits des Mainstreams, wo man sich in Sicherheit wähnen kann. (Bild: Nic Gysin)

Sandra und Naomi waren es, die in ihrem Telefonbuch nach Macher*innen gesucht und Anina, Lea, Ada sowie Hester gefunden haben. Sie wollten ein Grüppli bilden oder eben ein Kollektiv, in dem alle ihre Ideen einbringen können und sich gegenseitig unterstützen, diese umzusetzen. Da war zum Beispiel Sandra, die als DJ mit ihrer Musik präsenter werden und sich verstärken wollte. Allen gemein war dabei, dass «wir uns eine Alternative zum Nachtleben in der Stadt, wie wir es sonst erleben, gewünscht haben», erzählt Naomi. 

An diesem Bedürfnis sollte sich der Raum ausrichten, den das Kollektiv daraufhin mit viel Schweiss und Körpereinsatz schuf, um einmal im Monat gemeinsam zu raven: Bilder auf Instagram zeugen davon, dass der Umbau nicht immer im Sinne der Unfallversicherung abgelaufen ist. Im Netz finden sich Bilder, wie die Frauen in Flipflops schwere Pflanzentöpfe auf die Dachterrasse des sogenannten Soft Hotels schleppten.

Der Raum sollte ihr neues Zuhause werden. Das neue Zuhause von Avalon. Ein Ort, der keinen Türsteher und kein Awareness-Konzept kennt, dafür Frauen, die ihre Gäste, ein Stammpublikum, das zu 80 Prozent weiblich ist, persönlich willkommen heissen und den ganzen Abend hindurch präsent sind. Sei es am DJ-Pult, an der Bar oder als Host im Raum, die schaut, dass die Energie stimmt.

«Vieles, was hier passiert, ist feinstofflich, das sich nicht so gut in Worte fassen lässt, etwas, das gelebt wird und durch den Raum verstärkt wird, es passiert implizit», sagt Naomi. Und Anina findet: «Wir alle halten den zwischenmenschlichen Raum.» Eine Gastfreundschaft der ganz besonderen Art. Eine mit klarer Haltung.

Kollektiver Körper einer tanzenden Menge

Auch an diesem (vorerst) letzten Tender Rave tragen die Gastgeberinnen weisse Kleider und schweben geradezu durch den Nebel, der das Apartement füllt und das bunte Licht bricht. Die Gäste schieben sich geschmeidig aneinander vorbei, tanzen viel, sprechen wenig; und in jedem einzelnen Augenblick scheint die Rücksicht auf die Menschen um sich herum zu dominieren.

Selbst, als sich der «kollektive Körper einer tanzenden Menge» (Lea) in die Ekstase verabschiedet und das Leben feiert, indem dieser ohne Worte auf und ab hüpft – es ist der Höhepunkt des Abends –, wird nicht vergessen, dass sich das hier alles nur so gut anfühlt, weil alle aufeinander aufpassen. 

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Mit nackten Füssen auf Kunstwerken getanzt: an einer Special Edition während der Art im Hotel Du Pont (ehemals Merian). (Bild: Nic Gysin)

Wer sich unanständig verhält, muss gehen. Im Avalon Apartment sind die Frauen in der Mehrheit; sie setzen den Ton und machen die impliziten Regeln. «Das ändert etwas an der Grunddynamik», findet Lea, denn normalerweise leben wir in Räumen, in denen die Regeln tendenziell von Männern gemacht werden», sagt sie weiter. Auch Naomi habe von Männern die Rückmeldung bekommen, dass diese weibliche Kraft ungewohnt sei für sie. Sprich: «Dass sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, ohne den Raum einzunehmen, sie trauen sich zum Beispiel kaum nach vorne zum DJ-Pult, wo die Frauen sich der Musik hingeben.»

Ein Sieg über die männliche Vorherrschaft? Zumindest im Ansatz lässt sich hier ein triumphierendes Gefühl seitens der Frauen ausmachen. Als ginge es auch ein bisschen um die Zerschlagung patriarchaler Strukturen.

Eine heilende Insel

Avalon. Das ist mehr als dieses Kollektiv. Es ist eine heilende Insel, zumindest laut der griechischen Mythologie. Die Sechs hatten sich aber nicht nach dieser gerichtet, als sie die Chatgruppe im Frühling 2023 gründeten, um sich zu vernetzen, bevor es im Januar 2024 mit den Soft Raves an der Clarastrasse losging. Vielmehr war es das Dorf Avallon in Frankreich, durch das Sandra und Anina gereist waren und in dem sie das erste Mal über das Bedürfnis eines Kollektivs gesprochen hatten. Doch wie so vieles passt eben auch die Sage einfach gut in ein Konzept, das es so nicht gibt.

Neben viel Mut hatten die Frauen auch Glück. Denn Ada, die zweite DJ in der Runde, kuratiert das Haus an der Clarastrasse 50. Neben einem von Ada geführten Soft Space im Erdgeschoss mit Ateliers und Eventlocations hat sie Verträge mit zwischenzeitlich 35 Parteien unterzeichnet, unter anderem eben mit dem Avalon Kollektiv. Sie alle aber müssen aufgrund des Abrisses bald raus.

Visionen und viele Fragezeichen

Noch ist unklar, wie es danach mit dem Kollektiv weitergehen soll. Einen Plan gibt es nicht, nur Visionen, Vorstellungen und vor allem: viele Fragezeichen. Allem voran braucht das Kollektiv einen neuen Ort, um weitermachen zu können. Ausserdem möchten die Frauen nicht mehr umsonst für eine alternative Nachtkultur arbeiten. Braucht es ein Funding oder gar einen Businessplan? Und ist der Tender Rave dann noch, was er einmal war?

Naomi sagte bereits am feministischen Salon, dass das «ein Geschenk war von uns an die Stadt». Ein Geschenk auf Zeit, denn die Frauen sind alle beruflich stark eingespannt. Naomi ist Journalistin (und gehörte früher zum Bajour-Team), Sandra geschäftsführende Innenarchitektin bei Bravo Ricky, Anina freischaffende Psychologin, Lea Kult-Bäckerei-Gründerin, Ada Kuratorin des Soft Hotels und Hester Galeristin bei von Bartha.

«Ich habe noch nie so eine klare Resonanz gespürt wie bei den Tender Raves und bin überzeugt, dass das ein reales Bedürfnis und kein Hype ist.»
Sandra vom Avalon Kollektiv

Aufgeben wollen sie dennoch nicht: «Es gibt eine mega Nachfrage», sagt Naomi, «und die Clubkultur wird wohl nicht darum herumkommen, sich in diese Richtung zu entwickeln: weniger Konsum, mehr Verbindung.» So haben erst kürzlich die Zürcher Clubs einen Hilfeschrei abgesetzt, weil sie der sinkende Alkoholkonsum der Jugendlichen in die Bredouille bringt. Und Lea meint, sie spürten viel Unterstützung, der Wunsch sei da, dass sie weitermachen.

Wie sehr diese Art von Partys die Menschen anzieht, hat übrigens auch die Special Edition an der Finally Saturday während der letztjährigen Art gezeigt, als der grosse Saal des Hotels Du Pont (ehemals Merian) zum Beben gebracht wurde durch die barfuss auf Kunstwerken tanzenden Menschen (sie mussten vorher die Füsse waschen). 

Die Visionen der Frauen längerfristig in eine reale Welt zu setzen und den Raum zu etablieren, ohne dass er seine Energie verliert, dürfte eine Herausforderung werden, der sie sich aber annehmen wollen. So sagt Sandra: «Ich habe noch nie so eine klare Resonanz gespürt wie bei den Tender Raves und bin überzeugt, dass das ein reales Bedürfnis und kein Hype ist.» Die Raves sind demnach der «Grundlayer», auf dem aufgebaut werden könne – vielleicht für eine länger anhaltende heilende Insel.

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Valerie Zaslawski

Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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