So lässt sich der Mieter*innenverband erweichen
Zum ersten Mal seit das neue Wohnschutzgesetz in Kraft ist, darf ein Wohngebäude in Basel abgerissen werden. Was es dazu braucht? Verhandlungen mit dem mächtigen Mieter*innenverband.
Wer schon mal vom Messeplatz zum Claraplatz gelaufen ist, hat vermutlich versucht, den Buchstabensalat auf der Brandschutzmauer der Clarastrasse 50 zu entziffern. «I dream in colors» steht da. Das ist nicht nur ein Verweis auf das Nebengebäude, in dem sich der Farbenladen Lachenmeier befindet. Sondern auch auf die bunte Mischung an Zwischennutzungen, die sich in der Clarastrasse 50 («Soft Space») befindet: Second-Hand-Laden, Keramik-Atelier, Tattoo-Studio.
Perspektivisch soll der Altbau abgerissen werden und ein in die umliegende Häuserzeile rückversetzter Neubau entstehen. 13 moderne Wohnungen (mehr als doppelt so viele wie heute), ein Co-working-Space, ein Café: So sieht der Plan der Erda Immobilien aus, der Firma der Brüder Flavio und Livio Spaini*.
Doch wer die beherrschende lokalpolitische Debatte des bisherigen Jahrzehnts verfolgt, weiss: In Basel abreissen, das ist nicht einfach. Es gibt die strenge Wohnschutzgesetzgebung, mit der niemand so richtig zufrieden ist. Und der Mieter*innenverband, auf dessen Volksinitiative genau jene Gesetzgebung zurückzuführen ist, hat dann trotzdem noch mehr als ein Wort mitzureden.
Denn aus Sicht von Beat Leuthardt, Senior Consultant beim Basler Mieter*innenverband und «Vater des Wohnschutzes», sollte das Gesetz den Wohnraum in Basel soweit schützen, dass Abbrüche nur noch die absolute Ausnahme sind. Abgebrochen werden sollte nur noch, wenn wirklich bedeutend mehr Wohnraum in derselben Preisklasse wie zuvor entstehen würde und wenn das Neubau-Projekt ausserordentlich nachhaltig ist.
Rekurs zurückgezogen
Entsprechend relevant ist es für Leuthardt, dass Massstäbe gesetzt werden, wenn unter dem neuen Wohnschutzgesetz erstmals ein Abbruch stattfinden soll. Das Projekt der Spainis – CO2-neutraler und zum Teil sogar -speichernder Beton, eine üppige Dach- und Fassadenbegrünung mit Bäumen und Solarpanels auf der Terrasse – erfüllte für Leuthardt die Ansprüche nicht. Deshalb machte der Mieter*innenverband vor rund einem Jahr eine Einsprache gegen das Bauprojekt.
Das Bauinspektorat wies die Einsprache im November zurück, doch der Mieter*innenverband gab nicht auf und erhob den Rekurs. Bevor dieser jetzt gewährt oder abgewiesen werden kann, haben die Konfliktparteien aber eine aussergerichtliche Einigung erzielt und der Mieter*innenverband zog den Rekurs zurück. Das wurde bei einer gemeinsamen Medienkonferenz auf der Dachterrasse des Mieter*innenverbands verkündet, zu dem Leuthardt nur wenige, «ausgewählte» Medienschaffende eingeladen hat.
Die vereinigte Investor*innen-Blase Basel wird sich nun fragen: Wie haben die Spainis es geschafft, eine Einigung mit dem Mieter*innenverband zu erzielen? Warum dürfen die bauen?
«Unsere Positionen sind zwar unterschiedlich», sagt Flavio Spaini, «aber beide Seiten sind an fairen Mietzinsen und nachhaltigem Bauen interessiert. Es war also wichtig zu verstehen: Was braucht die andere Seite, damit wir diese gemeinsamen Interessen verfolgen können?»
Kostenmiete und Öko-Commitment
Im Falle des Mieter*innenverbandes wurde den Spainis schnell klar, dass sie ein Commitment zu «fairen» Mietzinsen abgeben müssten. «Das ist in Ordnung für uns. Wir wollen ein durchmischtes Haus und allein das verlangt schon eher niedrige Mietzinsen.»
Der Hauptpunkt der Vereinbarung, die Bajour vorliegt, ist die Pflicht der Eigentümer, im Neubau 80 Prozent des Wohnraums während mindestens fünf Jahren zu Kostenmiete nach dem Casafair-Modell zu vermieten.
Wie hoch die Mieten sein werden, hängt aber auch massgeblich von den Baukosten ab. «Je teurer das Bauen, desto höher die Mietzinsen», sagt Flavio Spaini. Und ökologisches Bauen sei nunmal teurer: «Der CO2-neutrale Beton wird ein Prozent der Baukosten ausmachen. Dafür sind aber 60 bis 70 Prozent des Gebäudes klimaneutral. Das ist es uns wert.» Gleichermassen sei beispielsweise der geplante CO2-neutrale Lift nicht teurer als vergleichbare Produkte.
«Ein Deal wie dieser ist der beste und einzige Weg»Senior Consultant Mieter*innenverband Basel
Mittlerweile ist auch der Mieter*innenverband davon überzeugt, dass das Neubauprojekt ökologisch genug sein wird. Beat Leuthardt verweist darauf, dass die Einsprache gegen das Projekt «standardmässig» und «vorsorglich» gewesen wäre. «Aus den Plänen im Bauinspektorat war nicht ersichtlich, wie nachhaltig das Projekt wirklich ist», sagt Leuthardt. Darin sei zum Beispiel nicht vermerkt gewesen, dass der verwendete Beton CO2-neutral sein soll.
Entsprechend müssen die Spainis keine weiteren ökologischen Massnahmen neben jenen, die sie eh schon geplant hatten, für ihr Projekt einplanen. Neu ist aber in der Vereinbarung formuliert, dass die Investoren nach den ökologischen Grundsätzen des Merkblatts SIA-2040 Effizienzpfad Energie bauen.
Müssen diese ökologisch und sozial hohen Massstäbe jetzt auch für andere Abbruchprojekte gelten? Für Leuthardt ist zumindest die Vereinbarung tatsächlich ein Mustermodell, wie Abbrüche vom Mieter*innenverband «genehmigt» werden. Die Formulierung lässt aufhorchen, denn Leuthardt sagt damit, dass de facto sein Verband Abbrüche genehmigt oder verhindert, wie im Fall von Hans Imbach in Riehen. «Ein Deal wie dieser ist der beste und einzige Weg», sagt er.
*Transparenzhinweis: Flavio und Livio Spaini sind Untermieter im Bajour-Büro.