Lieber Bunker als Hotelzimmer
Der Staat bringt Geflüchtete temporär in Zivilschutzanlagen unter – und dies, obwohl mindestens ein Basler Hotelier bereit wäre, seine Türen zu öffnen.
Eine aufgebrachte Zuschrift erreicht Bajour zum Jahresbeginn: Leser*innen zeigen sich nach einem Spaziergang durch Kleinhüningen «erschrocken», dass an der Bonergasse junge Asylsuchende beispielsweise aus Afghanistan oder Georgien in einem Bunker leben müssen: Diese Unterkunft sei keine wirkliche Unterkunft, da der Schutzraum kein Tageslicht habe, schreiben sie.
Und dies, obwohl es andere Angebote gäbe: Bajour weiss von mindestens einem Hotel in Basel, das dem Staatssekretariat für Migration (SEM) in letzter Zeit Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten signalisiert hat. Das erinnert an die Situation zu Beginn des Krieges in der Ukraine, als Hotels nach einem Aufruf des Branchenverbands HotellerieSuisse ihre Türen für Geflüchtete öffneten. Und sogar auf private Initiative wurden temporär Hotelzimmer für Geflüchtete zur Verfügung gestellt (Bajour berichtete).
Hotelzimmer? Kein Bedarf.
«Eine Unterbringung in Hotels ist im Moment nicht geplant», schreibt das zuständige SEM, also der Bund. Sie verfügten aktuell über genügend Plätze – unterirdische oder oberirdische. «Allein der Umstand, dass unterirdische Unterkünfte genutzt werden, ist kein Grund für die Unterbringung in Hotels.»
Freie Hotelzimmer würden nur dann in Anspruch genommen, «wenn das SEM kurzzeitig nicht in der Lage sein sollte, alle Asyl- und Schutzsuchenden in einer Kollektivunterkunft unterzubringen». Zu diesen Kollektivunterkünften zählen offensichtlich auch die Bunker.
«Die Unterbringung in Hotels kann auch eine Alternative darstellen, die mit dem Standortkanton und Gemeinde richtig geprüft werden sollte.» – Lionel Walter, Mediensprecher SFH
Das sorgt für Kritik bei Organisationen, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen. Sowohl Amnesty International Schweiz als auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) anerkennen, dass die Unterbringung in der aktuellen Lage eine grosse Herausforderung ist.
Aber: «Notfallstrukturen sollten die letzte aller möglichen Massnahmen sein und so kurz wie möglich betrieben werden», sagt Lionel Walter, Mediensprecher der SFH. Das gelte insbesondere für Zivilschutzanlagen, «die keine Privatsphäre ermöglichen, sehr eng sind und zu Stresssituationen und Konflikte führen können».
Ende Dezember berichtete das SEM von einer «weiterhin angespannten Situation im Asylbereich». Im November wurden in der Schweiz 3568 Asylgesuche registriert, gemäss SEM eine Zunahme von 11,2% gegenüber dem Vormonat. Ein Blick in die Zahlen zur Asylstatistik zeigt ausserdem, dass die Anzahl Asylgesuche seit Mai 2022 jeden Monat zugenommen haben – wenn auch unterschiedlich stark.
Alternativen wie die Privatunterbringung sollten zuvor ausgeschöpft werden, sagt Lionel Walter von der SFH. Und: «Die Unterbringung in Hotels kann auch eine Alternative darstellen, die mit dem Standortkanton und Gemeinde richtig geprüft werden sollte.»
Auch Beat Gerber von Amnesty schreibt, in engen, unterirdischen Zivilschutzanlagen leide das Recht auf Privat- und das Familienleben. «Falls Asylsuchende über längere Zeit in den unterirdischen Notfallstrukturen untergebracht werden, sollten alternative Lösungen gesucht werden, dies schliesst auch Hotels oder Privatunterkünfte ein», so Gerber.
«In engen, unterirdischen Zivilschutzanlagen leidet das Recht auf Privat- und das Familienleben.» – Beat Gerber, Mediensprecher Amnesty International Schweiz
Immer wieder Kritik
Diese Kritik ist nicht neu: Bereits letzten Herbst stand eine Zivilschutzanlage in Allschwil im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, nicht zuletzt aufgrund eines Videos, das die dortigen Zustände heftig kritisierte. Mittlerweile wurde dieser Standort geschlossen, die Betroffenen in eine Mehrzweckhalle nach Liestal verlegt. Und auch an der Unterbringung von Geflüchteten in der Zivilschutzanlage Bonergasse gab es Kritik (Telebasel berichtete).
Stand heute seien 68 Personen hier untergebracht, schreibt das SEM. Platz hätte es für 100. Der befristete Vertrag für die Nutzung der Zivilschutzanlage in Kleinhüningen laufe noch bis Ende April. Ob dieser verlängert werde, sei abhängig von «den weiteren Entwicklungen und aus heutiger Sicht nicht beurteilbar».
Vor Ort sind nur wenige Personen bereit, mit uns zu sprechen. Auf die Zustände angesprochen, fallen ihre Antworten sehr unterschiedlich aus. «Schlecht», sagt einer, zündet sich eine Zigarette an und geht weiter. «Ist okay», sagt ein anderer. «Vor Bomben wären wir hier sicher», sagt ein weiterer junger Mann zynisch. Beim Anblick der geöffneten Lüftungsklappen um das Gebäude stellt sich aber schon die Frage: Weshalb müssen hier Menschen unter der Erde schlafen, wenn doch das Beispiel mit den Ukrainer*innen gezeigt hat, dass das auch anders geht? Und es ein konkretes Angebot gibt?
Verantwortlich für die Zivilschutzanlagen in Basel-Stadt, die aktuell als temporäre Unterkünfte dienen, ist auf nationaler Ebene das SEM. Der Kanton betont, dass er selbst aktuell keine Asylsuchenden in unterirdischen Anlagen unterbringen muss. Im Kanton Aargau sieht die Situation anders aus: Letzten Freitag hat der Aargauer Regierungsrat die Notlage im Asylwesen ausgerufen. In den nächsten Wochen will er drei unterirdische Schutzanlagen mit 560 Plätzen in Betrieb nehmen.
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