Ein rein politischer Entscheid

Die Entscheidung über eine Kulturförderung sorgt in Basel erneut für Diskussionen. Wird der Preis aberkannt, ist das kein Zeichen gegen Antisemitismus, sondern ein rein politischer Entscheid. Ein Kommentar.

Kommentar Kulturpreis
(Bild: Adobe Stock / Collage: Bajour)

Nur einen Tag nachdem das Amt für Kultur kommuniziert hat, dass DJ und Musikproduzentin Leila Moon mit dem diesjährigen Kulturförderpreises ausgezeichnet wird, rudert es zurück. Der Druck war gross, denn kaum war der Entscheid bekannt, hagelte es Kritik seitens der SVP und der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft beider Basel. Kritisiert wird ein Statement auf dem Instagram-Account der Künstlerin im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt. 

Die BaZ publizierte die Vorwürfe gegen Moon sofort und stellte das Amt für Kultur zur Rede, welches betonte, dass die externe Jury den Vergabeentscheid «unabhängig und ohne Beeinflussung durch die Politik» gefällt habe.

Der Druck stieg weiter. Am nächsten Tag folgte eine weitere Medienmitteilung: Darin heisst es, es würden Abklärungen zur Vergabe des Kulturförderpreises an DJ Leila Moon gemacht, die Preisverleihung vom 29. November wird abgesagt. Von der Jury ist nichts mehr zu hören, sie wird – ähnlich wie bei der Causa Sulzer, als dieser dem Kanton im letzten Jahr Zensur vorwarf – übergangen. Aber was wird hier wirklich verhandelt? Die Kunstfreiheit und die Gesinnung? Und was hat 2024 Vorrang?

Conradin Cramer wahlen Regierung Basel-Stadt
«In meinem Tweet werfe ich niemandem Antisemitismus vor.»
Conradin Cramer, Regierungspräsident

Die Kritiker*innen sind vorerst zufrieden. Auch Regierungspräsident Conradin Cramer postete auf X: «Antisemitismus darf in keiner Form toleriert werden. Nie. Ich bin froh, dass die Vergabe des Kulturpreises überprüft wird.»

Auf Nachfrage sagt er zu Bajour: «In meinem Tweet werfe ich niemandem Antisemitismus vor. Es war mir wichtig, in Zusammenhang mit den Diskussionen um die Vergabe des Kulturförderpreises meine Grundhaltung öffentlich in Erinnerung zu rufen: Antisemitismus darf nicht toleriert werden. Diese Haltung vertrete ich in Wort und Tat konsequent seit jeher – persönlich sowie als Mitglied des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt, zunächst als Erziehungsdirektor wie jetzt auch als Regierungspräsident.»

Israelkritik ist nicht gleich Antisemitismus

Was kann der Künstlerin vorgeworfen werden? Leila Moons politische Aktivitäten waren bereits auf Social Media ersichtlich, als die Wahl für den Kulturförderpreis auf sie fiel. Es war klar, dass sie pro-palästinensisch gesinnt ist und Artist against Apartheid unterstützt. Warum prüft die Jury erst nach der Kritik, ob ihr politisches Engagement ihrem vernetzten kulturellen Schaffen im Wege stehen könnte?

Die Kritiker*innen stören sich vor allem an einer Konzertabsage, die Leila Moon im September machte. Damals stand sie intern als Preisträgerin bereits fest. Moon begründete die Absage auf Instagram damit, dass der Veranstaltungsort ebenfalls eine israelisch-amerikanische Band gebucht hatte und sie nicht mit Institutionen oder Veranstaltungsorten zusammenarbeite, «die israelische Künstler buchen, die sich nicht offen gegen das israelische Siedlungskolonial-Projekt und den anhaltenden Völkermord an Palästinensern» stellen.

Leila Moon
Screenshot Instagram

Offenbar hat niemand von den Verantwortlichen vom Boykott Kenntnis gehabt. Diese Aussage ist aber, wenn schon nicht rassistisch oder antisemitsch, politisch. Denn mit Israelis, die sich von der Siedlungspolitik distanzieren, hat sie ja offenbar kein Problem. Nach jetziger Kenntnis greift sie nicht Israelis an, sondern die Politik der israelischen Regierung. Und Israelkritik ist nicht gleich Antisemitismus.

Leila Moon
Leila Moon war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Nun muss im Nachgang geklärt werden, ob eine Auszeichnung für «ihre vernetzende Arbeit in der Basler Musik- und Clubszene», wie es in der Bekanntgabe heisst, noch zu rechtfertigen ist.

Wer die Medienmitteilung des Amts für Kultur allerdings liest, wird den Eindruck nicht los, dass der Entscheid gegen Moon bereits gefallen ist. Zu ihrem Boykott des Konzerts heisst es in der Medienmitteilung des Amts für Kultur: «Solche Ausschlusskriterien bei der Zusammenarbeit mit anderen Kunstschaffenden stehen im klaren Widerspruch zum Anliegen der Auszeichnung, mit der gerade die vernetzende Arbeit in der Basler Musik- und Clubszene gewürdigt werden soll.»

Leila Moon war für eine Stellungnahme für Bajour nicht zu erreichen.

Hans Stutz
«Antisemitisch ist diese Kritik von DJ Moon auf keinen Fall.
Hans Stutz, Rechtsextremismus-Experte

Den Boykott anderer Kunstschaffender zu kritisieren, ist legitim und es ist sinnvoll, über die Hintergründe zu sprechen. Von Antisemitismus zu sprechen (Cramer) und sie als «Israel-Hasserin» (SVP) zu bezeichnen, ist fragwürdig. Im Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) heisst es: «Wer sich mit den Palästinensern solidarisiert, sieht sich allzu rasch dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt. Es gibt Kreise, die die israelische Politik verteidigen und mit dem Argument des Antisemitismus eine Einschüchterungstaktik verfolgen, um so jede Kritik zu disqualifizieren.»

Auf die Frage, ob die Aussagen von Moon als antisemitisch zu bewerten sind, sagt Rechtsextremismus-Experte Hans Stutz: «DJ Moon nimmt mit ihrem Eintrag offensichtlich Stellung zur Kriegs- und Siedlungs-Politik der israelischen Regierung und den gesellschaftlichen Kräften, die diese mittragen. Antisemitisch ist diese Kritik auf keinen Fall.»

Evelyn Schmid
«Die Meinungsfreiheit schützt auch Meinungen, welche schockieren oder stören.»
Evelyne Schmid, Professorin für Völkerrecht an der Universität Lausanne

Evelyne Schmid, Professorin für Völkerrecht an der Universität Lausanne, hat den konkreten Post von Leila Moon zwar nicht gesehen. Sie ordnet es aber allgemein als legitim ein, sich Gedanken zu machen, ob in Palästina ein Genozid stattfindet. «Es gibt seriöse Analysen in die eine und die andere Richtung», schreibt sie auf Anfrage.

Auch wenn die Genozid-Definition rechtlich komplex und das Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag noch hängig sei, «ist es legitim, zu behaupten, dass dies der Fall ist; ebenso, wie es legitim ist, das Gegenteil zu behaupten», schreibt sie. «Beides ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt, welche auch Meinungen schützt, welche schockieren oder stören.»

Frage des Tages
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Der Fall Moon lässt aber auch die Frage danach aufkommen, nach welchen Grundsätzen Förderungen vergeben werden. Sollte es künftig vor jeder Auszeichnung eine Gesinnungsprüfung geben? Denn es klingt plötzlich nicht mehr danach, als würde die Preisvergabe «unabhängig und ohne Beeinflussung durch die Politik» gefällt. Von Kunst- und Meinungsäusserungsfreiheit ist in der polarisierenden Debatte gar keine Rede mehr.

Indem das Amt für Kultur dem Druck von aussen innert 24 Stunden nachgibt und die Vergabe einfriert, verleiht es den Vorwürfen gegen Moon Gewicht, bevor die Verantwortlichen das Gespräch mit ihr gesucht haben. Egal, wie der Entscheid fallen wird: Die Künstlerin und das Amt für Kultur werden beschädigt aus der Debatte hervorgehen.

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Kommentare

Anna
21. November 2024 um 15:05

Doktorandin Politik- und Sozialwissenschaften

Ironisch, dass ausgerechnet die SVP, die regelmäßig rassistische Propaganda verbreitet, sich plötzlich als Richter des Antisemitismus aufspielt. Diese Doppelmoral zeigt die Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs. Das Thema Trennung von Kunst und Politik wird hier völlig falsch verhandelt. Natürlich sollte es kritisiert werden, wenn eine Jury einen Preis an Personen vergibt die menschenfeindliche Ansichten vertritt. Doch das ist hier nicht der Fall. Vielmehr wird die Politik einer Regierung kritisiert, die nachweislich Kriegsverbrechen begeht. Gegen Benjamin Netanyahu besteht seit heute ein Strafbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs. Es ist ein Armutszeugnis, eine öffentliche Hetzkampagne gegen eine Person zu starten, nur weil sie sich klar gegen solche Kriegsverbrechen positioniert. Der Fokus sollte auf den eigentlichen Missständen liegen: keine Verantwortung von Politik und Kunst angesichts von Menschenrechtsverletzungen.

Ralf Schuster
19. November 2024 um 11:49

Lieber Rutschmann, ich glaube damit machen Sie es sich etwas zu leicht. Antisemitismus ist als Phänomen zu komplex, als dass sich der Vorwurf mit dem Hinweis auf die blosse israelische Staatsangehörigkeit aus der Welt schaffen lässt. Das wird schon daran deutlich, dass es keine vergleichbare Boykottbewegung gibt, die auf ein ganzes Land und ihre Staatsbürger abzielt. Auch gibt es keine vergleichbare Figur zu der in den Medien immer wieder auftauchende Profession des oder Israelkritiker*in. Zum Weiterlesen mag ich Ihnen gerne diese Übersicht der Bundeszentrale für politische Bildung aus Deutschland zum sogenannten "Israelbezogenen Antisemitismus" empfehlen. Herzliche Grüsse, R. Schuster

Knurrhahn
21. November 2024 um 19:54

Laila Moon schweigt

Ich verstehe ihren Post und dass sie nicht an einem Ort spielen will, der Israelis spielen lässt, die sich nicht irgendwann mal gegen die Kriegsgreuel der israelischen Regierung geäussert haben. Ich würde auch nicht an einem Ort spielen, wo Fascho-Bands spielen. Andererseits würde ich auch keine offensichtliche Palästina-Unterstützerin buchen, die sich nie gegen Hamas oder jener Morde an israelischen Festivalbesuchern geäussert hat. Und schon gar nicht würde ich sie für einen Kulturpreis nominieren. Der Fall ist nun ganz einfach: Laila Moon äussert sich gegen Antisemitismus oder sie tut es eben nicht. Case Closed.

Marcus
21. November 2024 um 10:10

Sorry, aber es geht nicht darum, ob "sie sich Gedanken macht", sondern darum, dass sie Orte boykottiert, wo israelische Künstler auftreten! Das ist ein Boykott à la "Kauft nicht beim Juden!". Links redet das sich schön, weil ja die Gesinnung der Künstlerin stimmt. Wären es Volksmusikanten gewesen, dann wäre der Journalistinnen-Kommentar ganz anders ausgefallen! Es ist die Blindheit auf dem linken Auge, wenn es um Antisemitismus geht. Es wird wort- und begriffgeklaubt, relativiert und beschwichtigt. Fragt man denn betroffene Menschen, sprich unsere judischen Mitbürgerinnen, wie sie solch ein Verhalteb empfinden, wie man es sonst mit jeder noch so kleinen Minderheit tut? Nein, man redet über sie und versteckt sich hinter irgendwelchen (nichtjüdischen) Experten. Das ist in etwa so, als man nur mit Weissen über die Begrifflichkeiten des Beggenschmutzes ausserhalb der Herbstmesse spricht. Wieso werden da andere Standards gesetzt, als bei LQBQT+ Menschen, POC, Migranten etc.?

Wendelin Lang
19. November 2024 um 09:41

@David Rutschmann

Sie haben Recht mit der Feststellung der Konzertabende. Dieser Umstand macht das Statement der Aktivistin Leila Moon aber nicht "besser", im Gegenteil. Wer glaubt sie zu sein, von ihr nicht bekannten Künstlern proaktiv irgendwelche Aussagen zu deren politischen Haltung einzufordern, die sie dann als ihr genehm oder nicht genehm taxiert? Das sind BDS-verwandte Methoden, die klar antisemitisch motiviert sind.

Marcus
21. November 2024 um 07:00

Ich bin immer wieder erstaunt, wir Linke inkl linke Journalisten als Israel-Kritik getarnten Antisemitismus von Links schönreden und relativieren. Und sich empören, wenn man das Kind beim Namen nennt. Antisemiten machen keinen Unterschied zwischen Juden und Israelis. Für sie ist beides Synonym. Und solchen Menschen darf man keine Plattform geben.

Wendelin Lang
19. November 2024 um 04:18

Augezeichneter Antisemitismus

Conradin Cramer bringt es kurz und prägnant auf den Punkt, während diese Abhandlung eine von links aussen gewohnte Relativierung des Themas, um welches es eigentlich geht, versucht. Die Entscheidung dieser Musikerin, an einem Konzert nicht auftreten zu wollen, weil eine Band mit jüdischen Hintergrund am selben Abend auftritt, ist klar antisemitisch.