Die Bekämpfung der Armut muss in den Fokus der politischen Debatte rücken

Über 745'000 Menschen sind in der reichen Schweiz von Armut betroffen. Doch in der Gesellschaft bleibt Armut oft verborgen. Die Politik müsse bei diesem Thema genauer hinschauen, fordert Juso-Präsident Nino Russano in seiner Kolumne.

Nino Russano Kolumne Armut
Hinschauen statt wegschauen: Nino Russano will das Thema Armut in den Fokus rücken. (Bild: Keystone / zvg)

In den kommenden zwei Monaten hängen überall in der Schweiz unzählige Wahlplakate für die nationalen Parlamentswahlen und die Menschen sehen sich bald mit einer grossen Flut an Wahlprospekten konfrontiert. Welche politischen Themen den Wahlkampf im Herbst dominieren werden, kann niemand zum jetzigen Zeitpunkt sagen.

Was sich jedoch sagen lässt: Ein Thema, dass gewisse Menschen jeden einzelnen Tag beschäftigt und im Wahlkampf keine Beachtung finden wird, steht leider bereits jetzt fest: Armut…

Nino Russano
Die Jungen haben das Wort

Was hat der politische Nachwuchs zu sagen? Im Wahljahr überlassen wir regelmässig den Jungparteien den Platz. Heute hat Nino Russano das Wort. Der Präsident der Juso Basel-Stadt kandidiert im Herbst für den Nationalrat. Er setzt sich für «ein gerechtes Steuersystem und einen deutlich besseren Sozialstaat» ein. Russano lebt in Basel und studiert Geschichte und Geografie.

Ja, absolut richtig gelesen. Armut – in der Schweiz, einem der reichsten Länder dieser Welt. Über 745'000 Menschen sind in der Schweiz armutsbetroffen.

Zum Vergleich: Die Anzahl Einwohner*innen von Zürich, Bern und Basel zusammengerechnet ist tiefer als die Anzahl Menschen, die in der Schweiz armutsbetroffen sind. Wirklich unvorstellbar, oder?

In der Schweiz bedeutet Armut, dass man nicht über genügend Einkommen verfügt, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Die Krankenkassenprämien, die Wohnungsmiete und ein Besuch bei der Zahnärztin oder dem Zahnarzt sind für Armutsbetroffene unerschwinglich. Die Zahlen sprechen dabei für sich. Für eine alleinstehende Person liegt die Armutsgrenze bei 2'289 Franken im Monat, bei einer vierköpfigen Familie bei 3'989 Franken.

Armut ist hierzulande oft verborgen, aber ihre Folgen für Armutsbetroffene sind weitreichend: Soziale Kontakte gehen verloren, der Anschluss an die Gesellschaft wird immer schwieriger und langfristige Perspektiven fehlen. In Anbetracht dessen, dass die Armut in der Schweiz immer mehr zunimmt, ist dies keine gute Nachricht für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land.

«Die wirkliche Lebensrealität von armutsbetroffenen Menschen wird in der Gesellschaft kaum thematisiert.»
Nino Russano

Wenn wir die Diskussion über die Bekämpfung von Armut endlich anständig führen wollen, darf Armut kein Tabuthema mehr in unserer Gesellschaft sein. Es braucht ein Verständnis dafür, dass Armutsbetroffene nicht einfach eine ausgedachte Anzahl an Menschen in einem beliebigen Verwaltungsbericht sind. Es sind Menschen, die den Franken wortwörtlich zweimal umdrehen müssen und deren alltägliches Leben von Armut dominiert wird. 

Menschen, die ihren Briefkasten widerwillig öffnen, da sie wissen, dass sie die neuen Rechnungen nicht bezahlen können. Menschen, die sich an der Kasse im Denner gestresst fühlen, weil sie nicht wissen, ob sie noch genügend Geld auf ihrer Karte für ihren Einkauf haben. Menschen, die es sich nicht erlauben können, einen Tag mit ihren Kindern im Aquabasilea zu verbringen, da der hohe Eintrittspreis das knappe Familienbudget sprengen würde.

Die wirkliche Lebensrealität von armutsbetroffenen Menschen wird in der Gesellschaft kaum thematisiert, was zwangsläufig auch dazu führt, dass die Politik die Bekämpfung von Armut nicht vorantreibt, was die Ungleichheit zwischen Arm und Reich immer mehr befeuert. Der Anteil des reichsten Prozents der Bevölkerung am Gesamtvermögen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und liegt mittlerweile bei 44%.

«Es ist Zeit, dass Armut in der reichen Schweiz nicht länger von der Politik ignoriert wird.»
Nino Russano

Eine konsequente Bekämpfung der wachsenden Armut hat im nationalen Parlament absolut keine Chance. Alle Vorstösse, welche das bestehende System grundsätzlich hinterfragen, werden von der bürgerlichen Mehrheit abgeschmettert. 

Gemeinsam können wir das ändern! Es ist Zeit, dass Armut in der reichen Schweiz nicht länger von der Politik ignoriert wird. Es ist Zeit, dass unser Parlament endlich eine Politik betreibt, die allen Menschen dient. Auf nationaler Ebene braucht es zwingend einen Wechsel der politischen Mehrheiten, damit soziale Themen endlich das nötige Gewicht erhalten.

Im Kanton Basel-Stadt versucht SP-Grossrätin Melanie Nussbaumer mit einem Vorstoss zu bewirken, dass die Mehreinnahmen der letzten Steuerreform für die Verringerung der Armut genutzt werden. Genau solche Massnahmen braucht es, da so die Lebensrealität von rund 17'000 Armutsbetroffenen im Kanton ganz konkret verbessert werden könnte. 

Die Bekämpfung der Armut muss in den Fokus der politischen Debatte rücken – für eine solidarische Gesellschaft mit mehr sozialer Gerechtigkeit!

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