Basel sticht unter die Haut

Tattoo ist Kunst. Kunst, die lebt. Wir trafen die Künstler*innen zu einem persönlichen Gespräch.

Titelbild Tätowierer_innen
Die Kreativität dieser Künstler*innen ist auf vielen Basler*innen zu sehen. (Bild: Pixabay/Illustration Florian Scheller )

Läuft man mit offenen Augen an einem Sommertag durch Basel, ist die Fülle an Körperverzierungen unübersehbar. Von kleinen Symbolen am Knöchel oder dem Oberarm, bis zu verzierten Handrücken oder Unterarmen, die mit exotischen Schriften bedeckt sind.

Den unverzierten Betrachter*innen bleibt das möglichst unauffällige Bestaunen. Wer die Künstler*innen sind, die diese kreativen Gestaltungsgaben haben. Das wollten wir wissen. 

Sara Abt
Sara Abt ist auch Lastwagenfahrerin und Mutter von vier Kindern. (Bild: Florian Scheller)

Sara Abt

Sara begann vor 15 Jahren mit dem Tätowieren. Seit 2014 veredelt sie mit ihrer Kreativität die Körper ihrer Kund*innen im Tattoo Stübli beim Stadtcasino Basel. Wenn sie gerade nicht mit schwarzer Tinte und feiner Tätowiernadel hantiert, ist sie vierfache Mutter und von Freitag bis Samstag Tanklastwagenfahrerin. 

Begonnen mit dem Lastwagenfahren hat sie im ersten Lockdown: «Als wir das Studio schliessen mussten, suchte ich nach einem zweiten finanziellen Standbein. Sicherheiten in unsicheren Zeiten.» Den technischen Aspekt und die körperlichen Belastungen sind, zum filigranen Tätowieren und stundenlangem gebückten Arbeiten, ein passender Ausgleich, sagt sie. 

Als Künstlerin würde sie sich nicht bezeichnen. «Tätowieren ist ein Handwerk, eine Dienstleistung.» Auch mit der vielen Erfahrung und den unzählig gestochenen Tattoos ist Sara immer noch nervös, jedes Mal. Der Druck nimmt nicht ab, weil das Niveau der Motive und Techniken stetig steige. 

Der persönliche Kontakt, der direkte Austausch sei vielleicht das Wichtigste für die Tätowiererin. Sie setzt auf einen treuen Kundenstamm und verzichtet auf Laufkundschaft. «Ich merke mir die Eigenschaften und Erzählungen meiner Kunden, weil mir die Menschen am Herzen liegen. Bei einem nächsten Termin gibt es eine Grundlage, auf der wir aufbauen können. Das brauche ich, um die Tattoowünsche einschätzen und umsetzen zu können.» 

Da Sara sich nicht festlegen will und nach gewissen Freiheiten tätowiert, spezialisiert sie sich auf keinen bestimmten Tätowierstil: «Zu mir können alle kommen. Doch für feine Frauensache ist meine Geschäftspartnerin Partycja die beste Tätowiererin in Basel.» 

Aktuell sind sie noch zu viert im Tattoo Stübli. Die beiden Männer machen in den nächsten Monaten ihre eigenen Sachen, ein eigenes Studio und Reisen und so ist das Geschäft dann ganz in Frauenhand. 


Tattoo Stübli

Adresse: Seevogelstrasse 123, 4052 Basel

Sara Tattoo Stübli
Sara hat kein Instagram, deshalb hier ein Einblick in ihr Schaffen. (Bild: Screenshot tattoostuebli.ch)
Stefan Vogel
Stefan Vogel ist eine bekannte Grösse in der Basler Tattooszene. (Bild: Florian Scheller)

Stefan Vogel

«Mein erstes Tattoo liess ich mir mit 18 in San Diego stechen. Das war Ende der 90er. Vor dem grossen grummeligen Tätowierer hatte ich Angst», sagt Stefan Vogel in seinem Studio Saint Noir im Pfluggässlein. Seither habe sich viel verändert. Es kamen ein paar Dutzend Tattoos dazu, zwei Kinder und eben dieses Studio, das er zusammen mit seinem Geschäftspartner Nicolas seit 2012 betreibt. 

Die Zusammenarbeit ist einer langjährigen Freundschaft und dem gemeinsamen Wunsch nach einem Perspektivenwechsel entsprungen. «Als ich wegen der Geburt meiner Tochter zuhause blieb, entwickelte sich das Bedürfnis, mein Hobby zum Beruf zu machen», sagt Stefan. Ein Gespräch mit Nicolas und zwei Wochen später mieteten die Freunde ein Studio im St.Johann und verwirklichten ihren Traum. Später wechselten sie in die grosszügigen Räumlichkeiten im 5.Stock, am Pfluggässlein und Basil und Ayleen stiessen noch zum Team. 

Verändert habe sich die Arbeit als Tätowierer sehr. «Seit Instagram, Facebook und Tiktok sind Tätowierer auch Verkäufer», sagt Stefan. «Die Kunden sehen ein Tattoo auf Social Media und brauchen genau das Gleiche. Das schränkt den künstlerischen Freiraum ein und ist nicht immer umsetzbar.» In diesen Situationen braucht es viel Geschick und Überzeugungsarbeit. 

Auch müssen Tattoos heute sichtbar sein, fügt er an: «Früher tätowierte man den leicht überdeckbaren Oberarm oder die Brust.» Heute kämen die Kund*innen und sagen: «Ich will so eines, wie Rihanna hat. Eines über die ganze Hand.» Stefan rät seinen Kund*innen beim ersten Tattoo immer davon ab. Viele bedankten sich im Nachhinein bei ihm.

Saint Noir Basel

Adresse: Pfluggässlein 14, 4001 Basel


Jordan Caccin
Jordan Caccin nimmt gerne neue Herausforderungen an. (Bild: Florian Scheller)

Jordan Caccin

«Ich bin seit einem Jahr selbständig und habe mein eigenes Studio. Ich liebe es.» Jordan steht stolz in seinem kleinen Reich an der Hammerstrasse. Durch seine Leidenschaft fürs Zeichnen begeisterte er sich schon früh für die Kunst am Körper. 

Er machte aber eine KV-Lehre bei der Post. Danach arbeitete er lange als Piercer. Seit 2020 ist Jordan qualifizierter Tätowierer. «Ich spezialisiere mich auf Fineline-, Blackwork-, Mandalas- und Dotwork-Tattoos.» 

Seinen Kund*innen gibt Jordan gerne Tipps fürs erste Tattoo mit: «Überleg es dir gut, schlaf lieber noch zweimal drüber. Nichts ausgefallenes. Ein einfaches, kleineres Motiv ist für das erste Tattoo am besten. Und es sollte nicht an einer Körperstelle sein, die immer sichtbar ist. Kein Handrücken oder Hals.»


Jordan Tattoo

Adresse: Hammerstrasse 163, 4057 Basel


Stefania Pezzo
Genau wie Stefania Pezzo sitzt, tätowiert sie auch: Selbstbewusst. (Bild: Florian Scheller)

Stefania Pezzo

Begonnen hat alles mit dem Zeichnen in der Kindheit, bereits mit 12 Jahren entdeckte Stefania ihre Liebe für Tattoos: «Ich habe mir immer aus dem Bravoheftchen die Aufklebtattoos herausgenommen und mir überall auf den Körper geklebt», sagt sie lachend. Dann, vor zehn Jahren, begann sie, Orangenschalen und Kunsthaut zu tätowieren. 

Neben ihrem Beruf als gelernte Chemiekauffrau, tätowierte Stefania am Abend Freunde und Familie. «Nach reiflicher Überlegung fasste ich mir dann nach sieben Jahren als ‹Hobbytättowiererin› ein Herz und bewarb mich bei mehreren Tattoo-Studios. Kurze Zeit darauf kam die Zusage, die es mir ermöglichte, ein Jahr Erfahrung zu sammeln.» 

Seit gut einem Jahr arbeitet Stefania im Tattoo Studio «Ink Society» in Birsfelden. «Wegen des guten Rufes des Studios kam ich hierher. Geblieben bin ich wegen des tollen Arbeitsklimas und meinen Arbeitskollegen. Sie sind inzwischen mehr Familie als nur gute Arbeitskollegen», sagt Stefania glücklich. 

Das Zusammenkommen, etwas gemeinsam zu erschaffen, fasziniert am Tätowieren am meisten. «In einem Tattoo fliessen die persönlichen Noten von mir und dem Kunden mit ein. So ist ein Teil von mir auch auf dem Körper verewigt. Darum erkenne ich die Tattoos auch schneller wieder als die Gesichter meiner Kunden.» Zum Glück seien gewisse wiederkehrende Kunden auch Freunde geworden, so falle das Gesichtermerken einfacher. 

Die Ansprüche steigen, das merke sie. Die Motive müssen immer kreativer werden, die Linien immer feiner und kleiner. Doch genau diese Herausforderung liebt Stefania. Auf die Frage, ob sie sich mehr als Künstlerin oder Diensleisterin sehe, antwortet sie nach längerem Überlegen und mit einem Augenzwinkern: «Ich würde lieber Künstlerin sagen, aber ich bin nicht Bildhauerin oder Malerin geworden. Also bin ich vielleicht beides zugleich.»


Ink Society

Adresse: Hauptstrasse 5, 4127 Birsfelden


Tattoos sind nicht neu

Seit der Steinzeit verzieren die Menschen ihre Körper mit Formen und Bildern. Überall auf der Welt finden sich historische Hinweise. Vor 5000 Jahren schmückten sich ägyptische Priester mit Tattoos, die Römer markierten mit Zeichen Sklaven und Verbrecher.

In anderen Kulturen waren Körperverzierungen wichtige Statussymbole. Als Orden tätowierte man auf der Insel Borneo bei den Dayak die Hand von jedem Krieger, der einen Feind tötete. Frauen trugen Zeichen auf der Haut, wenn sie z.B. Stoffe weben konnte. Dies erhöhte ihre Heiratschancen.

Im Mittelalter ging die Körperkunst in Europa in Vergessenheit. Doch vor allem in den letzten Jahrzehnten erfreuten sich Tattoos neuer Beliebtheit. Vor 40 Jahren gab es in der Schweiz etwa 15 Studios. «Heute gibt es über 700 offizielle Tattoo-Shops – und etwa 1400 weitere, die privat tätowieren», sagt Luc Grossenbacher, Präsident des Verbands Schweizer Berufstätowierer gegenüber dem St. Galler Tagblatt. Und die Nachfrage ist da, jede*r fünfte Schweizer*in ist tätowiert.

Tattoo Mom
Du gehst uns unter die Haut

Jetzt Bajour Member werden und unabhängigen Journalismus unterstützen.

Das könnte dich auch interessieren

Hannah_Weinberger vom Basel Social Club ©Avi_Sliman

Helena Krauser,Mathias Balzer, FRIDA am 31. Oktober 2024

Hannah Weinberger – Warum braucht es den Basel Social Club?

Für die neunte Folge des Kulturpodcasts «FRIDA trifft» haben wir Hannah Weinberger auf dem Predigerhof getroffen. Dort findet während der Art der dritte Basel Social Club statt. Ein Gespräch über Kunst, Kommerz und schlaflose Nächte.

Weiterlesen
Isabelle Krieg

Helena Krauser,Mathias Balzer, FRIDA am 31. Oktober 2024

Isabelle Krieg – Was unterscheidet die entspannte Frau von Jesus?

Für die zehnte Folge des Kulturpodcasts «FRIDA trifft» haben wir Isabelle Krieg bei ihrer Einzelausstellung in Altdorf im Haus der Kunst Uri getroffen. Sie hat uns von ihrem langen Weg von der Alp bis in die Kunstwelt erzählt und davon, wie sie trotz Misstrauen gegenüber Akademien Künstlerin geworden ist.

Weiterlesen
EFZ Berufsmesse

Michelle Isler,Ernst Field am 21. Oktober 2024

Kennst du diese Berufe?

Was macht eigentlich ein Geomatiker, eine Holzbildhauerin oder ein Automatiker? An der 10. Berufs- und Weiterbildungsmesse haben wir fünf Berufsleute nach ihrem Alltag gefragt.

Weiterlesen
Cathérine Mivillle

Cathérine Miville am 16. September 2024

Schischkin kommt ins Münster und fast niemand geht hin

Basel war zum zweiten Mal Schauplatz des Festivals «Erasmus klingt!». Für Bajour-Kolumnistin Cathérine Miville geht das musikalische Konzept auf – sie fragt sich aber, warum die Basler*innen zu Hause bleiben, wenn der russisch-schweizeische Autor Michael Schischkin die Eröffnungsrede hält.

Weiterlesen

Kommentare