«Die Meinungs- und Kunstfreiheit wurden nicht eingeschränkt»
Wo liegen die Grenzen der Kunstfreiheit und wann beginnt die Zensur? Mit Fragen wie diesen hat sich der Regierungsrat beschäftigt und eine Interpellationen und schriftliche Anfragen rund um die Causa Alain Claude Sulzer beantwortet.
Es war eine Debatte von internationaler Reichweite: Der renommierte Basler Autor Alain Claude Sulzer zog sein Gesuch um Literaturförderung zurück, nachdem er in einem Brief im Namen des Fachausschusses Literatur BS/BL darum gebeten worden war, zu erklären, mit welcher Absicht er in seinem Roman mit dem Arbeitstitel «Genienovelle» das Wort «Zigeuner» verwende. Das Wort, das von Duden als diskriminierend klassifiziert wird, kam im Textauszug, den Sulzer eingereicht hatte, mehrmals vor. Geht es um reine Kontextualisierung oder muss sich die Verwaltung Zensur vorwerfen lassen?
Eine Interpellation von EVP-Grossrätin Brigitte Gysin und zwei schriftliche Anfragen von GLP-Grossrat Johannes Sieber und LDP-Grossrat Michael Hug zum Thema wurden eingereicht, der Regierungsrat hat sie am Mittwoch alle beantwortet. Die Antworten sind wenig überraschend, erklären aber die Hintergründe des Vorgehens des Fachausschusses Literatur und der Verwaltung.
Gysin wollte wissen, auf welcher Grundlage entschieden wird, weitere Erläuterungen bei Autor*innen einzuholen und welche Kriterien dabei zur Anwendung kommen. Der Regierungsrat verweist unter anderem auf die Mitwirkungspflicht der Gesuchsteller*innen. Es heisst: «Sie müssen bei der Sachverhaltsabklärung in zumutbarer Weise durch Auskunftserteilung mitwirken.»
Der Schriftsteller Alain Claude Sulzer hat beim Basler Fachausschuss Literatur ein Förderungsbegehren für sein neues Romanprojekt «Genienovelle» eingereicht. Nachdem die Verwaltung im Namen des Fachausschusses Sulzers Antrag im Juni zurückgereicht und ihn gebeten hat, den Gebrauch der Bezeichnung «Zigeuner« im Text zu erklären, zog der Autor sein Gesuch sofort zurück und sprach in der «NZZ am Sonntag» von «Zensur». Bajour brachte alle Beteiligten an einem Podium an einen Tisch, an dem sich die Hände gereicht, aber noch kein Frieden geschlossen wurde. Auch die Basler Politik beschäftigt sich mit dem Thema - mehrere schriftliche Anfrage wurden an den Regierungsrat gestellt.
Wie oft aber werden Autor*innen überhaupt gebeten, Erläuterungen zu ihren Werken zu erbringen? Laut Regierungsrat kommt das häufig vor, wenn es um die Vollständigkeit der Unterlagen geht. Rückfragen im Anschluss an eine bereits erfolgte Diskussion des Gesuchs im Gremium kämen hingegen weniger oft vor: Im Fachbereich Literatur sei dies sogar das erste Mal in fünf Jahren gewesen.
Da stellt sich die Frage, die auch Gysin stellt: In welchen Fällen werden andere als literarische Kriterien höher gewichtet als die künstlerische Freiheit? In der Antwort des Regierungsrats heisst es: «Das Gremium beurteilt jedes vorgelegte Gesuch nach literarischen Kriterien. Ausserliterarische Kriterien sind dabei nicht relevant. Zugleich handelt es sich um eine Vergabe kantonaler Mittel, sodass die Rechtskonformität des Mitteleinsatzes gewährleistet werden muss.»
Brigitte Gysin meint zu diesen Antworten des Regierungsrats: «Meine Fragen waren nicht konkret auf die Diskussion rund um das Gesuch von Alain Claude Sulzer bezogen, sie fragten nach den Grundsätzen im Prozess der Behandlung von Gesuchen.» Sie habe mit der Interpellation die Verwaltung dafür sensibilisieren wollen, die Abstimmung mit dem Fachausschuss und auch den Umgang mit Autor*innen zu überdenken. «Es geht mir unter anderem darum, dass der Fachausschuss Literatur BS/BL als Fachgremium kompetent ist, bei der Beurteilung mögliche heikle Inhalte zu erkennen. Wenn er keine näheren Auskünfte für notwendig erachtet, scheint es seltsam, wenn die Verwaltung dieser Einschätzung nicht traut und nachträglich Auskünfte einfordert.»
Katrin Grögel, Leiterin Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt, ordnet das genaue Vorgehen auf Nachfrage von Bajour ein: «Der Fachausschuss Literatur beurteilt jedes Gesuch ausschliesslich nach literarischen Kriterien. Wir von der Verwaltung aber müssen aufgrund unserer Sorgfaltspflicht dafür sorgen, dass die Rechtskonformität gewährleistet ist. Es geht darum, mögliche Rechtskonflikte auszuschliessen, da es sich bei der Förderung von Literatur um die Vergabe kantonaler Mittel handelt.» Im konkreten Fall haben Katrin Grögel und Esther Roth, Leiterin der Abteilung Kultur des Kantons Baselland, sich dazu entschieden, bei Alain Claude Sulzer nachzufragen, um Unklarheiten auszuschliessen. Dass die Fachkommission nicht vorrangig über diesen Schritt informiert worden ist, tut Katrin Grögel leid – am Bajour-Podium im Juni gestand sie diesen Fehler bereits ein. Am grundsätzlichen Vorgehen aber hält sie nach wie vor fest.
In einer Antwort an Johannes Sieber verweist der Regierungsrat darauf, dass die Kulturabteilungen ihre Sorgfaltspflicht verletzten, wenn sie den Sachverhalt mangelhaft abgeklärt hätten. «Denn dann wären die Rechtskonformität und Nachvollziehbarkeit des Entscheids nicht gewährleistet gewesen.» Sieber stellte auch die Frage danach, ob die Kunstfreiheit im Kanton Basel-Stadt garantiert sei, was der Regierungsrat zusichert. Wie andere Grundrechte gelte aber auch die Kunstfreiheit nicht unbeschränkt. «Bund und Kantone sind verpflichtet, sowohl die künstlerische Freiheit als auch die Rechte Dritter, darunter auch den Diskriminierungsschutz, sowie weitere überwiegende öffentliche Interessen zu wahren», heisst es. «Die Kunstfreiheit findet ihre Grenzen dort, wo die Rechte anderer oder gewichtige staatliche Interessen höher zu gewichten sind.» Im vorliegenden Fall um Alain Claude Sulzer aber sei die Meinungs- und Kunstfreiheit nicht eingeschränkt worden.
Johannes Sieber sagt: «Wenn ich die Antwort der Regierung auf meine schriftliche Anfrage richtig verstehe, sieht sie die Kunstfreiheit in Basel-Stadt als garantiert. Das beruhigt mich. Ich kann ihrer Argumentation folgen, dass die Kunstfreiheit eingeschränkt werden kann, wenn ein anderes Grundrecht tangiert wird, wie beispielsweise der Diskriminierungsschutz. Nur: wer beurteilt das – und wie? Ob die Verwendung des Worts «Zigeuner» in einem literarischen Text das Grundrecht des Diskriminierungsschutzes tangiert oder nicht, ist laut Regierung davon abhängig, in welchem Kontext es verwendet werde. Ihr war dieser Kontext aus dem Gesuch von Alain Claude Sulzer offenbar nicht klar ersichtlich.» Da er das Gesuch nicht gesehen habe, könne er nicht abschliessend beurteilen, ob dieses staatliche Handeln nachvollziehbar und angemessen gewesen ist: «Die Abteilung Kultur hat ihrerseits ihre Nachfrage gegenüber Alain Claude Sulzer ungenügend begründet und hat es unterlassen zu vermitteln, warum ihre Vorsicht und ihr Absicherungsversuch berechtigt sei», sagt er. «Das ist schade und öffnet letztlich eben den Raum für die Interpretation, ihre Nachfrage sei Steuerung oder gar Zensur. Das muss – und kann – zukünftig besser gemacht werden.»
In der Antwort auf Michael Hugs schriftliche Anfrage betont der Regierungsrat, das persönlich an den Autor adressierte Schreiben enthielte keine Aussage über die inhaltliche Qualität des Werks: «Der Hinweis auf die Wortbezeichnung im Duden diente lediglich der Begründung für die nachgeforderte Stellungnahme. Eine Qualifikation des Werks als diskriminierend erfolgte damit nicht». LDP-Politiker Hug fragte zudem, ob der Regierungsrat das Vorgehen des Fachausschusses Literatur im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Gesuches von Alain Claude Sulzer als gerechtfertigt und angemessen erachte. Dies wird bejaht. Das Vorgehen entspreche dem Verfahren, wie es in der Geschäftsordnung und den Förderbestimmungen festgelegt sei. Hug sagt gegenüber Bajour: «Die Antwort erscheint zu juristisch und vernachlässigt den zentralen Punkt, nämlich den eigenmächtigen Schritt von Frau Dr. Katrin Grögel und ihre spezifische Nachfrage bei Claude Alain Sulzer bezüglich der Verwendung des Begriffs ‹Zigeuner›. Dieses Vorgehen könnte dazu führen, dass zukünftige Anträge bewusst frei von problematischen Elementen sind, was offen diskutiert werden sollte.
«Da der Autor sein Gesuch selbst zurückgezogen habe, sei dieses nun offiziell geschlossen.»Aus der Regierungsantwort
Ähnlich äusserte sich Sulzer am Podium. «Der Staat will Sicherheit, das kann ich verstehen», sagte er und wurde polemisch: «aber dann will ich das wissen und brauche eine Liste mit zu vermeidenden Begriffen.» Katrin Grögel entgegnete damals, die Behörde wolle keine «Sprachpolizei» werden, es gebe eben keine Liste mit Wörtern, die nicht verwendet werden dürfen.
Stellt sich noch die Frage, ob die Angelegenheit nach dem Rückzug des Gesuches durch den Schriftsteller abgeschlossen ist? Ja, so die Antwort des Regierungsrats. Da der Autor sein Gesuch selbst zurückgezogen habe, sei dieses nun offiziell geschlossen.
Ganz abgeschlossen wirkt der Fall trotz der Antworten der Regierung nicht – das zeigen die Reaktionen der Fragesteller*innen. Sie alle sehen noch Verbesserungspotenzial beim Umgang mit – möglicherweise – heiklen Inhalten in Gesuchen um Förderbeiträge.
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