«Die Strasse gehört allen»

Die Bajour-Crowdrecherche zu verfügbaren Parkplätzen in privaten Einstellhallen sorgt für Diskussionen. Wie soll das Parkplatzproblem gelöst werden? Wir haben den Verkehrs- und Mobilitätsexperten Alexander Erath gebeten, die offenen Fragen einzuordnen.

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(Bild: zvg/Collage Bajour)

In der Stadt Basel sind rund 2000 Einstellhallen-Parkplätze nicht belegt. Das zeigt eine gross angelegte Crowd-Recherche, die mithilfe der Bajour-Leser*innen und der Organisation Correctiv durchgeführt wurde. Diese Erhebung löste eine Diskussion aus. Wie sollen die leeren Plätze an die Frau oder den Mann gebracht werden? Sind die Einstellhallen-Preise zu hoch und die Anwohnerparkkarten zu billig? Gibt es andere Lösungen als denr Zubau von Einstellhallen? Darauf setzt bisher die Stadtplanung: Autos weg von der Allmend, ab in den Untergrund.

Einige der offenen Fragen haben wir Alexander Erath dem Verkehrs- und Mobilitätsexperten der FHNW gestellt. Erath lobt die Initiative von Bajour, sagt aber, dass er von einer eher tieferen Leerstandsquote ausgehe, also 5 bis 10 Prozent, anstatt 13 bis 20 Prozent. «Es ist aber sicherlich auch eine Frage der Erhebung», sagt er.

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Zur Person

Prof. Dr. Alexander Erath begleitet das Pilotprojekt des Kantons Basel-Stadt mit der Firma Parcandi wissenschaftlich.  Er leitet überdies ein Forschungsprojekt zum Thema «Nachhaltige Ansätze der Parkraumplanung». Dieses befindet sich derzeit im Abschluss, eine Veröffentlichung des Forschungsberichts ist per Ende Jahr geplant.

So oder so: In Basel gibt es zu wenig Parkplätze – oder eben: zu viele Autos. Das Startup Parcandi könnte Teil der Lösung sein. Parcandi ist eine App, mit der sich Autofahrer*innen registrieren und freie oder schlecht ausgelastetee Parkplätze in privaten Tiefgaragen nutzen können. Parcandi besitzt die Immobilien nicht, es muss ein Mietverhältnis oder einen Auftrag geben. 

Der Verkehrsspezialist Erath sagt: «An einem zentralen Ort wie z. B. am Picassoplatz lohnt es sich für Parcandi eher, die Parkplätze an Zufallskunden durch den Tag zu vermieten, als diese an dauerhafte Kunden anzubieten, die in der Umgebung wohnen und die über Nacht einen Parkplatz brauchen.» Eine Möglichkeit könnte laut Erath sein, dass Parkplätze in Tiefgaragen mit Geldern aus dem Mobilitätsfonds subventioniert werden, sodass dort mehr Anwohner*innen dauerhaft ihr Auto einstellen  und auf derr Allmend Platz frei wird. Ob und um wie viel man den Preis einer Dauermiete subventionieren müsste, wäre aber je nach Standort zu differenzieren.

Quartierspezifische Lösungen

Denn: Die Gegebenheiten von Quartier zu Quartier sind sehr unterschiedlich. Nehmen wir das Matthäusquartier. Die Bausubstanz ist relativ alt und stammt aus einer Zeit, als das Auto noch nicht zur Grundausstattung einer Familie gehörte. In diesem Quartier ist Parkraum dem allgemeinen Platzproblem geschuldet.

Der nächste Vorschlag, den es zu diskutieren gibt: Sollten Anwohner*innenparkkarten teurer werden? «Ein schwieriges Thema», findet Erath. Der Preis dieser Karte wird verordnet, es ist ein politischer Preis. «Basel liegt im schweizweiten Vergleich etwa im Mittelfeld», sagt Erath. Doch etwas missfalle ihm: Dass die Anwohnerparkkarte überall in der Stadt gleich teuer ist. «Eigentlich wäre es sinnvoll, dass an Orten höherer Nachfrage auch die Preise höher sind», sagt Erath. Im Matthäusquartier müsste die Parkkarte also teurer sein, der Einstellplatz würde – relativ gesehen – günstiger. Nur: In diesem Quartier sind die Einstellhallen recht gut ausgelastet. Und die bauliche Infrastruktur ist auch nicht gerade so, dass hier grosse Bauprojekte anstehen.

Allgemein gesprochen wäre bei einer Preiserhöhung der Anwohner*innenparkkarte und einem Ausbau des Carsharing-Angebots zu erwarten, dass vermehrt Personen auf ihr selten genutztes Auto verzichten würden.

«Das Parkingproblem muss quartierspezifisch analysiert und gelöst werden.»
Alexander Erath, Verkehrsexperte, FHNW

«Das Parkingproblem muss quartierspezifisch analysiert und gelöst werden», meint dazu der Verkehrsexperte. «Kaum jemand ist bereit, mehr als 300 bis 400 Meter zu Fuss zum parkierten Auto zu gehen.» Man könne sich auch überlegen, ob man bei Bauprojekten ab einer gewissen Grösse die Erstellung von unterirdischem Parkraum für obligatorisch erklärt, eventuell sogar mit der Auflage, diesen teilweise weiteren Anwohnerinnenanzubieten.

Es wird – interessanterweise von bürgerlicher Seite – moniert, dass eine Preiserhöhung für eine Parkkarte unsozial sei. «Muss nicht sein. Der Aufschlag könnte einkommens- oder bedarfsabhängig gestaltet sein, das wäre aber ein gewisser Aufwand. Das Steuersystem müsste mit dem der Anwohnerkarte verknüpft werden», sagt Erath.

Ausserdem könnte über die Einnahmen aus der Anwohner*innenparkkarte auch Geld an die Allgemeinheit zurückfliessen. «Es ist eine Gebühr, und die sollte zu einem erhöhten Gemeinnutzen führen. Die Strasse gehört allen. Wenn ich kein Auto habe, dann möchte ich etwas davon haben, etwas zurückbekommen», sagt Erath. Mehr Grünflächen oder entsiegelte Areale könnten damit etwa finanziert werden.

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Aus Sicht eines Lesers

Sämi Schauberger hat auf Facebook zu unserer Recherche kommentiert. Wir haben ihn gefragt, ob er mehr zu seiner Erfahrung mit dem Parkieren in Basel sagen könnte. Dies ist seine Sicht:

«Ich hatte einen Einstellplatz für 160 Franken pro Monat, aber konnte mir den irgendwann nicht mehr leisten. Bei normaler Einkommenssituation wäre der Platz schon zu finanzieren, aber da ich krankheitsbedingt Ausfälle hatte und momentan in Teilzeit arbeite, wurde es mir zu teuer. Ich könnte im Moment nicht mehr als 60 Franken im Monat für einen Parkplatz bezahlen.

Bei mir im Matthäus-Quartier ist es vor allem am Abend äusserst schwierig oder mit Glück verbunden, einen Parkplatz in der blauen Zone zu finden. Innerhalb der Stadt bin ich mit dem Velo unterwegs, sodass ich die Parkplatzsituation in anderen Quartieren nicht vollumfänglich beurteilen kann. 

Ich bin auf mein Auto angewiesen, da ich aufgrund einer Panikstörung nicht mit vielen Menschen auf engem Raum sein kann. Der ÖV fällt somit für mich weg. Ich fahre einen günstigen, kleinen Gebrauchtwagen, der ist für mich effektiv und ein wichtiges Mittel zum Zweck.  

Quartierparkings würde ich begrüssen, aber eine Stadt muss meiner Meinung nach nicht per se autofreundlich sein. Mir würde es reichen, wenn das Autofahren nicht komplett verunmöglicht wird und es ist mir wichtig, dass sich nicht nur die wohlhabenden Menschen ein Auto leisten können. Die Kosten müssten dementsprechend gerechter verteilt werden. 

Die herrschende Auto-Situation in Basel ist für mich okay – abgesehen von gewissen Parkplatzmöglichkeiten in einzelnen Quartieren.»

Ein Blick über den Tellerrand 

Es lohne sich, bei der Parkplatz-Diskussion über die Kantons- und Landesgrenzen zu schauen, meint Erath. In Genf komme beispielsweise die gesamte Parkraumbewirtschaftung aus einer Hand. Die «Fondation des Parkings» wird zwar als Privatunternehmen geführt, dient aber einzig dazu, die Verwaltung, die Planung und die finanziellen Erfordernisse im Sinne des Gemeinwesens zu erfüllen. Andere Länder beschreiten zum Teil radikale Wege. In Frankreich und teilweise in Deutschland werden Prämien ausbezahlt, wenn jemand das Auto abmeldet. Wer in Heidelberg aufs Velo oder E-Bike umsattelt, bekommt 500 Euro. In Frankreich beläuft sich die «Ausserbetriebsprämie» sogar auf 4000 Euro. Hier handelt es sich aber eher um flächendeckende Massnahmen, mit denen die Zahl der Autos insgesamt reduziert werden soll.

«Wir wissen, dass ein relevanter Anteil von Autos in der blauen Zone und auch auf privaten Parkfeldern sehr selten benutzt werden, vielleicht nur einmal pro Woche. Wenn wir diese wegbekommen, dann haben wir schon viel erreicht», findet Erath. 

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