«Keiner macht hier eine gute Figur»
Zwei Tage nach der Demo vom 1. Mai sind die Fronten noch immer verhärtet. Bei der Frage des Tages diskutierten Bajour-Leser*innen und Politiker*innen vor allem über Vermummte, das Eingreifen der Polizei und darüber, was es jetzt braucht.
Das Fazit nach der 1. Mai-Demonstration ist ernüchternd: «Es ist beschämend, dass man in Basel offensichtlich unfähig ist, den Tag der Arbeit vernünftig zu begehen», schreibt Bajour-Leser Roland Lamprecht via Facebook. «Weder die Polizei, noch der schwarze Block, noch das Komitee, noch die SP machen hier eine gute Figur und es scheint, dass man nur sehr beschränkt miteinander redet.»
Dieser fehlende Dialog wurde schon im Vorfeld zum Thema, als die SP Basel-Stadt einen «Demo-Kodex» verkündete, bei dem man sich vom Schwarzen Block abgrenzte und ihn faktisch von der 1. Mai-Demo ausschloss. Dieser Kodex fiel aber schnell in sich zusammen, als Gewerkschaften und BastA! dementierten, dass es je einen Konsens zu solch einem Kodex gegeben habe.
«Es scheint, dass man nur sehr beschränkt miteinander redet.»Bajour-Leser Roland Lamprecht
«Wenn sich ‹die Linken› uneinig darüber sind, ob dieser Schwarze Block mitlaufen darf, wird denen unverantwortlich Tür und Tor geöffnet», warnt Bajour-Leser Ruedi Basler in der Diskussion zu unserer Frage des Tages und stimmt damit in die Kritik von bürgerlicher Seite ein.
Bürgerliche Politiker*innen kritisieren die Linke – nicht erst seit dieser Demonstration –, dass sie sich nicht deutlich von linksextremem Vandalismus abgrenzen würde. Man solle «weg vom Inkaufnehmen von Gewalt durch Vermummte», kommentiert LDP-Nationalrätin Patricia von Falkenstein, und sich lieber «für gewaltfreie und friedliche Demonstrationen in Zusammenarbeit mit der bewilligenden und den Sicherheitsbehörden» anstrengen.
Erneut kommt es in Basel zu Scharmützeln zwischen Demo-Teilnehmer*innen und der Polizei, und wieder stellt sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit: Hat die Polizei angemessen auf die Demonstrant*innen reagiert? Diskutiere mit bei unserer Frage des Tages.
Die Demonstration am Tag der Arbeit war bewilligt. Die Demoroute mit der Polizei abgesprochen. Auch deshalb erzürnen sich linke Politiker*innen und Gewerkschaftsvertreter*innen über das Eingreifen der Polizeikräfte. «Dieser 1.-Mai-Einsatz hat gezeigt, dass es eigentlich egal ist, ob eine Demonstration bewilligt wird oder nicht, denn die Repression gibt es trotzdem», ärgert sich der Basler Juso-Präsident Nino Russano. Die Demo sei friedlich gewesen und trotzdem habe die Polizei eingegriffen.
Die Begründung der Polizei: An der Spitze der Demo seien «vermummte und mit Schutzmaterial ausgerüstete Gruppierungen» mitgelaufen. Diese Argumentation wollen viele Linke nicht gelten lassen. Bajour-Leser Jürgen B. schreibt: «Die Polizei hat nicht ‹die Vermummten› abgetrennt und eingekesselt, sondern irgendwo willkürlich eine Linie gezogen.» Auch Bajour-Leser Basil ist irritiert: «Die Leute im Kessel waren bei weitem NICHT alle vermummt und wurden dennoch kontrolliert und festgehalten. Und das an einer bewilligten Demo.» Er vermutet einen Rechtsbruch.
«Ich frage mich schon, ob diese Personenkontrolle bei Leuten, von denen offensichtlich keine Gefahr ausging, rechtmässig war. Dafür liefert das Polizeigesetz keine Grundlage.»Staatsrechtsprofessor Markus Schefer
Im Interview mit Bajour ordnet Staatsrechtsprofessor Markus Schefer ein: «Das Polizeigesetz sieht Personenkontrollen zur Abwehr einer Gefahr oder zur Durchsetzung der Rechtsordnung vor. Wer gegen das Vermummungsverbot verstösst, verstösst gegen die Rechtsordnung.» Da sich aber offenbar auch nicht vermummte Menschen unter den Eingekesselten befanden, meint Schefer: «Da frage ich mich schon, ob diese Personenkontrolle bei Leuten, von denen offensichtlich keine Gefahr ausging, rechtmässig war. Dafür liefert das Polizeigesetz keine Grundlage. Ein solches Vorgehen ist schwer zu begründen.»
Im Interview erklärt Staatsrechtsprofessor Markus Schefer, wieso Vermummung und Schutzmaterial nicht ausreichen, um eine Demo einzukesseln – er aber dennoch glaubt, dass der Polizeieinsatz rechtens war.
Die Polizei verweist auf Anfrage von Bajour auf genau dieses Polizeigesetz. Personenkontrollen seien demnach «zur Abwehr einer Gefahr – in diesem Fall von Ausschreitungen, falls beispielsweise gefährliche Gegenstände mitgeführt wurden – und/oder der Durchsetzung der Rechtsordnung» legitim. «Die Polizei hat an die Menschen im Kessel kommuniziert, dass jene, die den Kessel verlassen wollen und sich von dem vermummten Teil distanzieren wollen, sich melden und nach einer Personenkontrolle den Kessel verlassen können», schreibt Sprecher Adrian Plachesi.
Die Polizei hat aber nicht nur Personenkontrollen durchgeführt. Es kam auch zum Einsatz von «Zwangsmitteln», wie sie im Nachgang schreibt. «Insgesamt wurden sechs Warnschüsse sowie drei scharfe Schüsse mit Gummischrot auf Beine von Personen abgegeben, die massiv gegen die Polizeikette drückten und sie zu durchbrechen drohten», präzisiert Polizeisprecher Plachesi auf Anfrage. «Die Polizei musste aus demselben Grund relativ oft Reizstoff einsetzen.»
«Man liess den restlichen Demozug weiterlaufen, das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wurde nicht nach wenigen Metern gekappt.»Polizeidirektorin Stephanie Eymann
Ob dieser Einsatz verhältnismässig war, könne er aus der Distanz nicht beurteilen, sagt Staatsrechtsprofessor Schefer. «Es muss eine zuverlässige interne Aufarbeitung auf Seiten der Kantonspolizei stattfinden.»
Während der eine Teil der Demo eingekesselt war, bot die Polizei dem Rest eine Alternativroute an. Diese wurde jedoch abgelehnt, man zeige sich solidarisch mit den Eingekesselten, hiess es von seiten des 1.-Mai-Komitees. Rufe, dass das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit gekappt wurde, dementiert Justizvorsteherin Stephanie Eymann klar: «Man liess den restlichen Demozug weiterlaufen. Das hätte ein Weg sein können, der funktioniert, aber dazu muss auch das Gegenüber mitmachen», sagt sie im Interview mit Bajour.
Die Basler Polizeidirektorin Stephanie Eymann äussert sich nach der 1.-Mai-Demo zum Polizeieinsatz. Sie erklärt, inwiefern sie in die strategische Planung eingebunden war und weshalb sie keinen Grund sieht, ihre Demo-Strategie anzupassen.
Die Solidaritätsbekundung der Rest-Demo mit den Eingekesselten sorgte bei Bürgerlichen für Unverständnis. GLP-Grossrat Johannes Sieber wundert sich, weshalb die friedlich Demonstrierenden die angebotene Umleitung nicht zur Abgrenzung genutzt haben. «Man darf sich darum schon fragen, wo die Prioritäten liegen.» Auch Bajour-Leser David Friedmann ist konsterniert: «Ich kann es nicht verstehen, wenn Vertreter*innen staatstragender Parteien und wichtiger Gewerkschaften sich lieber mit gewalttätigen Rowdies solidarisieren, statt die von der Polizei vorgeschlagene Routenänderung zu akzeptieren.»
Es seien halt nicht nur Vermummte eingekesselt worden, erklärt Leser Jürgen B. So würde man auch verstehen, warum der Rest der Demo nicht einfach die andere Route genommen habe: «Weil ihre Freund*innen und Genoss*innen eben im Kessel waren, ob vermummt oder nicht.» Für EVP-Grossrat und Polizist Christoph Hochuli ist klar, es gebe keinen Grund, sich zu vermummen, «ausser man will ein Delikt begehen». Er schreibt: «Weil ein Teil der friedlich Demonstrierenden keinen Abstand zu den vermummten Demonstrierenden hielt, gab es logischerweise auch ein paar friedliche Demonstrierende, die von der Polizei eingekesselt und kontrolliert wurden.»
Auch Johannes Sieber findet es «bemerkenswert, dass Genoss*innen offenbar ohne ausreichend Distanz zu Vermummten an einer Demo-Spitze mitlaufen. Zumal es die SP war, die sich im Vorfeld ausdrücklich vom Schwarzen Block distanzierte.»
«Sobald eine Demo aus dem Ruder läuft, schadet das den Themen.»Mitte-Grossrätin Beatrice Isler
Es sei eine «ungenutzte Chance», meint Bajour-Leser Georg. «Man hätte tun können, wofür man an diesem Tag rausging, hätte demonstrieren, diskutieren und motivieren können - doch man entschied sich für ein Suhlen in der Opferrolle.» Auch Leser Andreas ist enttäuscht: «Es sind genau diese Arbeitenden, für dessen Rechte demonstriert werden sollte, welche darunter Leiden und für Chaoten finanziell gerade stehen müssen.»
«Sobald eine Demo aus dem Ruder läuft, schadet das den Themen», betont auch Mitte-Grossrätin Beatrice Isler. Ihr Plädoyer: «Setzt Euch endlich an den Tisch und chäst das aus.» Auch Stephanie Eymann beteuert im Interview mit Bajour, dass sie dialogbereit ist: «Unzufriedenheit darf nicht dazu führen, dass man nicht mehr miteinander redet.» Sie fügt aber auch ein wenig schnippisch an: «Ich halte Dialog hoch, aber die Frage ist: Wollen überhaupt alle mit mir reden?»
Die Situation scheint verfahren. Liest man sich aber durch die Debatte bei unserer Frage des Tages, stösst man auch auf konstruktive Vorschläge. So findet Leserin Lavinia, statt zu demonstrieren, sollte man einen Postenlauf durch die Stadt aufstellen. «Stell Dir vor, ein Polizist (ohne Montur) spielt mit einem Linksautonomen (nicht vermummt) Ping-Pong und am Ende finden sie heraus, dass sie erstens gern Pingpong spielen und zweitens beide bessere Arbeitsbedingungen wollen!» Oder man organisiert einen 1.-Mai-Brunch auf dem Marktplatz, «wo alle gemütlich zusammensitzen und diskutieren können», wie das Bajour-Leser Markus H. vorschlägt. Kreativität sei gefragt, so könne man «den Schwarzgekleideten einfach den Wind aus den Segeln» nehmen.
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