«Wir müssen zum Dialog zurückfinden»

Die Basler Polizeidirektorin Stephanie Eymann äussert sich am Tag nach der 1.-Mai-Demo zum Polizeieinsatz. Sie erklärt, inwiefern sie in die strategische Planung eingebunden war. Die LDP-Regierungsrätin sieht keinen Grund, ihre Demo-Strategie anzupassen.

Stephanie Eymann Demo
Stephanie Eymann äussert sich zum Polizeieinsatz an der 1.-Mai-Demo. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas (Collage: Bajour))

Frau Eymann, inwiefern waren Sie eingebunden in die strategische Vorbereitung des 1.-Mai-Einsatzes?

Mir wird vorab berichtet, was die Lageeinschätzung bedingt. Zum Beispiel wenn es Mittel aus anderen Kantonen braucht. Die Einsatzdoktrin ist aber operativ. Da bekomme ich nicht jeden Fingerzeig mit, was für wann genau geplant ist.

Und Sie haben keinen Einfluss darauf zu sagen: Ein Wasserwerfer ist jetzt too much?

Ich vertraue stark auf die Einschätzung der Fachleute. Ich kann nicht per Gusto sagen, dass ich nicht will, dass so viele Polizisten da sind. Das muss die Polizei gestützt auf ihre Lagebeurteilung machen. Zum Beispiel, indem sie in Social Media recherchiert, wie viele Aufrufe es in welchen Kreisen zu einer Demonstration gibt. Dementsprechend viele Polizisten sind dann im Einsatz.

Kennen Sie die Gründe, warum die Polizei am 1. Mai diese Lagebeurteilung getroffen hat?

Sich unkenntlich machen an einer Demonstration und entsprechendes Material dabei zu haben, das hat Gefahrenpotenzial. Warum geht man vermummt und mit Schutzmaterial an eine Demo? Aus Sicherheitsgründen muss man deshalb fragen: Wer läuft da mit? Man will einschätzen, ob die Leute, die dort mitlaufen, als Nächstes anfangen würden zu sprayen oder Scheiben einzuschlagen.

Gab es dafür Hinweise?

Die Polizei handelt nicht einfach aus dem Blauen heraus, sie hat ihre Einschätzung von den teilnehmenden Leuten – so auch gestern.

1. Mai Demo
Am Anfang noch uneingekesselt: Die Demo zieht los. (Bild: Ernst Field)

Wurde dann die Einschätzung im Vorfeld getroffen, dass die Polizei die Demonstration einkesseln wird? Die Demonstrationsroute wurde ja immerhin bewilligt.

Taktische Fragen müssen Sie der Polizei stellen. Ich denke aber grundsätzlich kann man in der der Lageeinschätzung das eine oder andere kommen sehen und Szenarien entwickeln. Konkret sieht man dann erst vor Ort, wie sich die Lage entwickelt. Die Polizei hat dann entschieden, einen Teil der Demonstration einzukesseln und Personenkontrollen durchzuführen. Personenkontrollen sind ganz normale Polizeivorgänge, nichts Spezielles.

Wer hat dann die Entscheidung vor Ort getroffen?

Wir haben vor Ort einen polizeilichen Einsatzleiter, der entscheidet. Ich entscheide da nichts, ich habe im Einsatz keine Rolle. Zwar habe ich berufliche Polizeierfahrung, aber trotzdem hätte man nicht nur Freude, wenn eine Regierungsrätin an einer Demo Anweisungen geben will. Die Polizei braucht in ihrem ureigenen Handlungsfeld von Gefahrenabwehr Entscheidungsgewalt.

Inwieweit haben Sie denn Einfluss genommen?

Ich stand in engem Kontakt mit der Einsatzleitung – nicht die vor Ort, weil diese Person hat keine Zeit, mir zu rapportieren, was los ist. Der Austausch ist stetig, denn solche Themen gehen ja schnell medial. Bei der Trennung war ich informiert und wurde permanent geupdated. Einfluss nehme ich aber nicht im Einsatz selbst, sondern bei den strategischen Vorgaben an die Kantonspolizei.

War die Umleitung der Demoroute eingeplant?

Das müssen Sie bei der Polizei abklären, ob das von Anfang an geplant war. Mir hat es gelangt, dass man mir gesagt hat, dass es eine kurze Umleitung mit Rückkehr auf die ordentliche Route sei, das ist für das Grundrecht ja auch noch wichtig. Aber ob das geplant war, da bin ich noch nicht up to date.

1. Mai Demo
Die Demo wurde um kurz nach 11 eingekesselt. (Bild: Ernst Field)

Sind Sie denn zufrieden, wie die Einkesselung stattfand? Lief der Einsatz schief?

Nach jedem Einsatz muss man eine Aufarbeitung machen und schauen, was gut lief und was nicht. Für eine Schlusseinschätzung ist es noch zu früh, es gibt viele Meinungen aus der Öffentlichkeit, auf Social Media tobt die Diskussion. Die Vorwürfe müssen wir uns einzeln anschauen. Gerade bei der Einkesselung habe ich jetzt schon gehört, es seien zu viele Leute eingekesselt geworden und es seien nicht alle vermummt gewesen. Das muss ich mit der Polizei anschauen, ob man da hätte anders vorgehen müssen.

Es gibt Vorwürfe, man hätte das Recht auf Demonstrationsfreiheit behindert.

Man liess den restlichen Demozug weiterlaufen, das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wurde nicht nach wenigen Metern gekappt. Das hätte ein Weg sein können, der funktioniert, aber dazu muss auch das Gegenüber mitmachen.

Aus Reihen der Demonstration hat man sich solidarisch gezeigt mit den Eingekesselten, der Einsatz der Polizei wurde als unverhältnismässig erachtet. Hat die Polizei nicht verständlich genug kommuniziert, warum der Einsatz aus ihrer Sicht notwendig ist?

Es ist schwierig, zum jetzigen Zeitpunkt die Kommunikation vor Ort zu beurteilen. Das müssen wir in Ruhe aufarbeiten, dazu muss ich mir auch erst in den nächsten Tagen ein Bild machen. Ganz generell ist Kommunikation ein Thema. Auch wenn Leute jetzt hässig sind: Wir müssen zum Dialog zurückfinden. Unzufriedenheit darf nicht dazu führen, dass man nicht mehr miteinander redet. Ich bin bereit, mit dem 1.-Mai-Komitee Fragen zum Einsatz zu klären. Wir haben ja das Ziel: Eine Demo muss friedlich sein. Meine Polizistinnen und Polizisten finden es ja auch nicht lustig, an so einem Einsatz zu sein.

1. Mai 2023
Ein Polizist beim Einsatz am 1. Mai 2023. (Bild: Ernst Field)

Bedauern Sie, dass der Demo-Kodex gescheitert ist?

Das habe ich vor einer Weile medial gesagt. Ich fand, dass es ein guter Ansatz ist. Ich kann nicht alles von Seiten des Departements aus vorgeben – das trifft zum Teil auf Abwehr. Ich halte Dialog hoch, aber die Frage ist: Wollen überhaupt alle mit mir reden? Deswegen fand ich es ein wichtiges Signal, dass aus den eigenen Reihen Distanz zu Gewalt und Sachbeschädigung geschaffen wurde.

Hätten wir mit einem Demo-Kodex einen anderen 1. Mai erlebt?

Das ist eine Hypothese. Es wäre einen Versuch wert gewesen.

Manche nehmen Ihren Demo-Kurs als zu repressiv war. Gruppen wie der Schwarze Block könnten sich provoziert fühlen davon fühlen und denken: «Jetzt erst recht.»

Damit muss man immer rechnen. Aber was ist denn die Antwort darauf? Sollen wir politisch resignieren und lassen es so wie es ist? Wir wissen auch nicht, ob nicht noch mehr passiert, wenn man solche Gruppen einfach machen lässt. Wenn wir Sicherheit in unserem Kanton gestalten wollen, kann es nicht sein, dass man aus Angst gar nichts mehr macht und das Thema nicht mehr anfasst. Das wäre eine politische Bankrotterklärung.

Die Frustration schaukelt sich dann aber noch mehr hoch.

Dann müssen wir schauen, wie wir aus der Spirale rauskommen. Wir haben noch nicht in den Dialog gefunden. Die ganze Thematik ist noch nicht in Zielnähe. Das bedauere ich. Ich finde es wichtig, dass die verschiedenen Interessen ausgedrückt werden können. Das Grundrecht erlaubt aber nicht, dass das mit jedem Mittel, also beispielsweise mit Gewalt und Sachbeschädigung, passieren darf.

Am 1. Mai gab es keine Gewalt, es war eine bewilligte Demonstration.

Die Polizei muss aber nicht nur Straftaten aufklären, wenn sie schon passiert sind. Ihr Auftrag ist auch die Gefahrenabwehr. Wenn die Polizei konkrete Indizien hat, dass Straftaten begangen werden, muss sie diese auch verhindern. Wäre unvermittelt etwas passiert, hätte man vielleicht auch nicht mehr passend reagieren können. Da gibt es aber kein Richtig und kein Falsch.

2023-05-02 Frage des Tages-2
Was denkst Du?

Erneut kommt es in Basel zu Scharmützeln zwischen Demo-Teilnehmer*innen und der Polizei, und wieder stellt sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit: Hat die Polizei angemessen auf die Demonstrant*innen reagiert? Diskutiere mit bei unserer Frage des Tages.

Zur Diskussion

Wenn es kein Richtig und kein Falsch gibt: Würden Sie Ihre Demo-Strategie als erfolgreich bezeichnen?

Wenn ich gestern anschaue: Wir haben keine Berner oder Zürcher Verhältnisse, wo die Städte sehr in Mitleidenschaft gezogen wurden. Wir haben verhindern können, dass die Stadt kurz und klein geschlagen wurde.

Wären Sie bereit, Ihre Strategie anzupassen?

Die Strategie ist klar, dass wir nicht wollen, dass die Stadt verwüstet wird. Letztlich ist es eine Frage des Einsatzes vor Ort und da müssen wir uns im Debriefing in Teilbereichen die kritischen Stimmen anhören. Das heisst nicht, dass die ganze Strategie über Bord geworfen wird. Es gibt immer Potenzial für Feinjustierungen.

Man kann den Eindruck bekommen, mit gewalttätigen Fussballfans wird anders umgegangen als mit Demo-Teilnehmer*innen. Stimmt das?

Da haben wir ja mit Nizza ein aktuelles Beispiel. Die Polizei hat da nicht viel gemacht, als die Fans vermummt und mit Pyros durch die Stadt liefen. Das ist natürlich auch kein Bild, das mir gefällt. Die Polizei muss aber auch dort schauen: Welche Szenarien drohen mit welchem Eingreifen, das ist immer eine Einzelfallbeurteilungen. Dort war die Einschätzung offenbar, dass die Fans auf dem Weg zum Stadion rundum nichts verwüsten. Bei Fan-Gewalt sind wir aber übergeordnet mit den Schweizer Bewilligungsbehörden daran, eine gemeinsame Vorgehensweise zu finden, um Regeln zu etablieren.

Die Juso hat Ihren Rücktritt gefordert. Was sagen Sie dazu?

Es ist neuerdings salonfähig, Rücktrittsforderungen zu stellen. Zuerst war es der Polizeikommandant, jetzt bin ich es. Ich bin gewählt – sowas muss ich aushalten. Ich muss ja nicht gehorchen. Bei allem Sturm, den ich auch ernst nehme, darf man nicht vergessen, dass ich auch positive Rückmeldungen vom gemässigten Linken bis ins tiefbürgerliche Lager bekomme. Jetzt sind die lauten Stimme dominant. Ich denke, wir müssen mal abwarten, bis sich die Wogen glätten.

Herz Elefant
Wir haben eine gute Strategie.

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Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

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