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«Dann müssen wir das Beatmungsgerät abschalten»

Auf der Intensivstation des Unispitals liegen wieder mehr Menschen mit Corona. Die meisten von ihnen sind ungeimpft. Was bedeutet das für die Pflegenden und wie entscheidet man bei einer Triage? Wir haben Chefarzt Hans Pargger gefragt.

12/07/21, 10:13 AM

Aktualisiert 12/08/21, 10:28 AM

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Intensivstation Unispital Basel

Ein Corona-Patient wird im Dezember 2020 auf der Intensivstation des Unispital Basel behandelt. (Foto: KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Herr Pargger, die Intensivbetten sind wieder voll. Die meisten Patient*innen sind ungeimpft. Ärgern Sie sich manchmal über die ungeimpften Patient*innen bei Ihnen auf der Station?

Nein, wir haben kein Problem mit den Patientinnen und Patienten, die nicht geimpft sind. Wir bedauern diese Menschen eher, weil sie es mit einer Impfung relativ leicht hätten verhindern können, auf der Intensivstation zu landen. Und jetzt sterben sie vielleicht oder bleiben geschädigt zurück. Das ist schade. 

Dabei gehören Sie ja auch zu den Leidtragenden, wenn sie wegen der vielen Fälle im Dauereinsatz sind und im schlimmsten Fall triagieren müssen.

Wir sind nicht die Leidtragenden, sondern die Patienten sind es. Für uns ist klar, dass der Impfstatus bei der Behandlung der Patienten keine Rolle spielt. Aber die Schwere der Erkrankung schon. Und jeder, der Corona bekommt und nicht geimpft ist, hat ein viel grösseres Risiko eines schweren Verlaufs als einer, der geimpft ist. Und er ist dann vielleicht der mit den schlechtesten Überlebenschancen und wird wegtriagiert.

Corona Triage

Zur Person

Chefarzt Prof. Hans Pargger leitet die Intensivstation des Unispital Basel.

Wegtriagiert?

Ja, aber nicht, weil er nicht geimpft ist, sondern weil er einen schweren Verlauf hat. 

Erklären Sie bitte, was Triage heisst. 

Wenn der Ansturm so gross ist, dass wir zu wenig Personal oder Material haben, müssen wir triagieren. Also auswählen, welche Patienten wir behandeln und welche nicht. 

Das heisst: Sie müssen entscheiden, wer eine Überlebenschance hat und wer sterben muss? Eine schier unmenschliche Aufgabe. 

Im Wesentlichen geht es darum, dass man diejenigen mit der besten Überlebenschance weiterbehandelt und diejenigen, die eine schlechtere Chance haben, nicht mehr. Die Kriterien stehen im Dokument der Schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaft.

Und Sie sagen, es spielt keine Rolle, ob ein*e Patient*in geimpft ist oder nicht?

Nein. Der Impftstatus spielt ausdrücklich keine Rolle. Wir haben die Corona-Patienten in der Vergangenheit manchmal drei Monate behandelt. Aber wenn die Plätze so knapp werden, dass es Triage braucht, geht das nicht. Dann müssen wir vielleicht nach einer Woche das Beatmungsgerät abschalten, weil sich der Zustand des Patienten nicht bessert, und er die schlechtesten Überlebenschancen hat. Und das sind meistens die Ungeimpften.

«Wir bedauern die ungeimpften Menschen eher, weil sie es mit einer Impfung relativ leicht hätten verhindern können, auf der Intensivstation zu landen.»

Hans Pargger, Leiter der Intensivstation am Unispital

Nehmen wir an, Sie müssten triagieren. Wie gehen Sie vor, wenn es kaum einen Unterschied zwischen zwei Patient*innen gibt, aber zum Beispiel nur ein Sauerstoffgerät?

Das ist sicher nicht einfach, und wir wünschen das weder uns noch den Patienten. Wir würden alles tun in der Behandlung, dass es möglichst nicht dazu kommt, aber es ist nicht ganz ausgeschlossen. Niemand weiss genau, was laufen wird bis Weihnachten, ob die Welle wieder abflacht – das hängt ja auch sehr vom Verhalten der Menschen ab, ob sich noch viele anstecken. Aber es ist denkbar, dass es zur Triage kommt, und dann muss man die Richtlinien per Checkliste durchgehen und die Vorgehensweise fürs Team so umsetzen, dass es machbar ist.

Wer genau entscheidet über die Triage?

Das ist nicht ein einsamer Entscheid einer einzelnen Person, bei uns sind das zwischen drei und vier Leuten. Dann ist ein erfahrener Intensivmediziner dabei, der die Entscheidung am Schluss verantwortet.  

Sind Sie sich immer sicher, ob Sie richtig entschieden haben?

Im Einzelfall weiss man nicht immer, ob die Entscheidung wirklich richtig ist. Für den Patienten, der keine Behandlung bekommt, ist sie natürlich immer falsch. Bevor wir zur Triage kommen, schauen wir, dass es auf der Intensivstation keine Patienten hat, die sowieso eine Limitierung der Therapie wollten, vielleicht weil sie schon älter sind und/oder viele Begleiterkrankungen mitbringen, die ihr Leben schon vorher einschränkten. Damit ist schon ein wenig Druck genommen. Aber es gibt keine Garantie, dass die Triage immer zu «richtigen» Entscheiden führt. Deshalb wäre es so wichtig, dass sich die Menschen ab jetzt so verhalten im Alltag, dass die Infektionen abnehmen, und es vielleicht doch nicht zur Triage kommt.

«Für den Patienten, der keine Behandlung bekommt, ist die Triage natürlich immer falsch.»

Hans Pargger, Leiter der Intensivstation am Unispital

Sie sagen, es gibt noch keine Triage am Unispital Basel, es werden allerdings schon Operationen verschoben.

Ja, weil die Kapazitäten von den Spitälern, zeitweise bei uns auch, erschöpft sind. Aber Operationen werden verschoben, seit es Spitäler gibt. Etwa wenn wir zwei Patienten haben, die eine Herz-OP brauchen, aber nur ein Team, das den Eingriff durchführen kann. Dann muss ein Patient warten. Es war schon vor Corona normal, dass man Operationen und Interventionen verschieben musste, weil so viele Notfälle zu behandeln waren, dass die Intensivstation voll war. 

Und wie ist es aktuell mit der Pandemie?

Bei Corona hat man eine Situation, bei der wellenartig zwischen 80 und 400 Patienten zusätzlich auf die Intensivstationen kommen, für die man gar nie geplant hatte. Dann ist es ja logisch, dass man alles verschiebt, was man im Moment nicht unbedingt machen muss. 

Wie entscheiden Sie, was verschoben wird?

Man muss man darauf achten, dass man die betroffenen Patienten gegenüber den Corona-Patienten nicht benachteiligt. Das heisst, man darf das nur dann machen, wenn für die Patienten kein messbarer Nachteil entsteht. Wir bemühen uns, aber das ist nicht immer ganz einfach. Vor allem bei Tumor- oder Herzoperationen. Wenn jemand eine Herzoperation braucht, weil er verkalkte Herzkranzgefässe hat, aber in einem stabilen Zustand unter Medikamenten ist, dann kann man die Operation auch eine Woche später machen. Aber wenn er mit neuen und schweren Symptomen als Notfall kommt, wird er natürlich sofort behandelt. 

«Wenn Personal bei uns krank wird, können wir nicht einfach Betten schliessen, denn die Patienten sind ja da.»

Hans Pargger, Leiter der Intensivstation am Unispital

Ihre Kolleg*innen und Sie arbeiten jetzt schon seit vielen Monaten unter der höheren Corona-Belastung. Wie halten Sie das aus?

Wir versuchen, bei uns auf der Station eine positive Grundhaltung zu erhalten und ich glaube, das gelingt uns nicht schlecht. Wir alle, Pflegekräfte, Ärzteschaft, das ganze Team mit allen Unterstützungsdiensten wie zum Beispiel Reinigung können mit Gejammer nicht viel anfangen. Prinzipiell ist es unsere Aufgabe auf den Intensivstationen, schwerkranke Patienten zu betreuen. Wir haben wenige Wochen Phasen gehabt, in denen wir mehr betreut haben, als wir eigentlich gemäss Personalschlüssel konnten. Wenn Personal bei uns krank wird, können wir nicht einfach Betten schliessen, denn die Patienten sind ja da, sondern das übrigbleibende Personal muss mehr arbeiten. Das war und ist im ganzen Team so, auch schon vor Corona. 

Die aktuelle Lage ist aber besonders streng.

Ja, mit Corona wird es noch ein wenig ausgeprägter. Aber man muss sich eine positive Einstellung bewahren und sagen: Das ist meine Aufgabe, das ist, was ich beruflich machen möchte. Es ist nur die Frage, wie lange man das gut machen kann und weiterhin Spass bei der Arbeit hat, obwohl man stark belastet ist. 

Wie schauen Sie, dass die Freude an der Arbeit bleibt?

Es ist eine unserer Aufgaben in der Führung, darauf zu achten, dass die Mitarbeiter genügend Ruhephasen haben, sodass sie ihre Arbeit weiterhin gerne machen und ihren Patienten mit Freude gegenüberstehen. Das ist sicher eine Herausforderung. Aber die meisten machen ihre Arbeit gern und sehen es auch als Herausforderung, die vielen zusätzlichen Corona-Patienten zu behandeln. Es ist unser Beruf.

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