«Freiheitsentzug hat keine positive Wirkung auf Jugendliche»

Für Jonas Weber, Professor für Strafrecht und Kriminologie, sind Freiheitsstrafen für Jugendliche ein Kompromiss, um die Gesellschaft zu besänftigen. Für die Jugendlichen selbst seien sie nämlich in erster Linie belastend.

Jonas Weber, bei Jugendlichen legt man bei Sanktionen den Fokus darauf, dass sie verstehen, wieso sie etwas falsch gemacht haben. Müssen das Erwachsene nicht auch verstehen?

Bei Erwachsenen geht man davon aus, dass sie genau wissen, was sie machen. Bei Jugendlichen braucht es eine individuellere Zumessung der Strafe. Man geht davon aus, dass Jugendliche sich mehr unterscheiden – bei Erwachsenen findet eine gewisse Abstraktion statt. Man schaut auch auf die Personen, aber bei weitem nicht so stark.

Im letzten Jahr gab es an Basler Schulen mehrere Amok-Drohungen. Wie kann man Jugendlichen klar machen, dass ihre Taten Konsequenzen haben, bevor sie diese begehen?

Ich glaube, man müsste die Jugendlichen mehr über die strafrechtlichen Konsequenzen ihres Verhaltens und die Straftatbestände informieren – in einer Sprache, die die Jugendlichen verstehen. Insbesondere beim Cybermobbing haben wir einen sehr allgemein formulierten Nötigungstatbestand. Dort muss man dreimal um die Ecke denken, bis man merkt, dass das relevant für das eigene Verhalten im World Wide Web ist. Vielleicht müsste man auch ein Jugendstrafgesetzbuch in Jugendsprache verfassen. Das ist etwas, was ich schon lange gerne mal machen würde. Meiner Meinung nach muss man auch akzeptieren, dass diese Altersphase von Übermut und Grenzen austesten geprägt ist. Es ist ein riesiger Aufwand, beängstigend und schlimm, wenn es solche Amok-Drohungen gibt, aber man muss sich auch überlegen, ob das ernst gemeint oder ein blöder Streich war. Solche Streiche sollte es nicht geben, aber man sollte sie auch nicht dramatisieren. Ich habe das Gefühl, hier nach harten Strafen zu rufen, geht völlig an der Sache vorbei.

Wieso?

Ich denke nicht, dass man Amok-Drohungen verhindern kann, wenn man eine höhere Strafe androht. Abschreckung funktioniert nicht. Es wäre schön, das würde einiges einfacher machen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Einfluss hat.

Jonas Weber
«Ich habe das Gefühl, hier nach harten Strafen zu rufen, geht völlig an der Sache vorbei.»
Jonas Weber

Trotzdem befürwortete der Nationalrat dieses Jahr eine Motion der SVP, die eine Verschärfung des Jugendstrafrechts forderte.

Es ist grundsätzlich so, dass Strafen gegenüber Jugendlichen keine abschreckende Wirkung haben. Das ist im Übrigen auch sonst der Fall, aber bei Jugendlichen noch ausgeprägter. Der Jugendliche überlegt sich nicht vorher: «Was würde es im schlimmsten Fall bedeuten, wenn ich das machen würde?» In der kriminologischen Forschung sieht man, dass der Aufenthalt in einer Institution des Jugendfreiheitsentzugs ein sehr belastender Faktor ist. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass der Aufenthalt im Gefängnis die Wahrscheinlichkeit massiv erhöht, dass ein Jugendlicher auf die schiefe Bahn kommt oder dort bleibt. Freiheitsentziehende Strafen haben keine positive Wirkung auf den Jugendlichen. Wir fahren relativ gut mit unseren milden Strafen. Wir haben relativ geringe Rückfallraten bei Jugendlichen.

Anfangs sagten Sie, das Ziel des Jugendstrafrechts sei es, dass die Jugendlichen ihre Taten verstehen und sie nicht mehr begehen. Wieso verhängt man überhaupt Freiheitsstrafen, wenn man weiss, dass sie die Jugendlichen belasten? 

Ich denke, es ist ein Stück weit ein Kompromiss, den man gefunden hat. Das Jugendstrafrecht soll auf die Jugendlichen einwirken, aber je älter die Jugendlichen werden, desto mehr muss es dazu dienen, dass die Gesellschaft es akzeptieren kann, dass der Jugendliche jetzt wieder in die Gesellschaft aufgenommen wird. Es geht letztlich auch darum, die Gesellschaft mit Freiheitsstrafen zu besänftigen. Wir haben als Gesellschaft vermutlich eine Art Strafbedürfnis – auch gegenüber Jugendlichen. Es wühlt die Gesellschaft auf, wenn man nicht mit einer härteren Strafe reagiert. Das ist genau der Nährboden für diese politischen Forderungen.

Jonas Weber
«Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass der Aufenthalt im Gefängnis die Wahrscheinlichkeit massiv erhöht, dass ein Jugendlicher auf die schiefe Bahn kommt oder dort bleibt.»
Jonas Weber

Wäre es bei Erwachsenen auch klüger, sie nicht ins Gefängnis zu stecken?

Ja. Aber es ist noch schwieriger, das gegenüber der Gesellschaft zu rechtfertigen. Unser Strafmodell ist, dass man das Verschulden ausgleicht. Danach soll es auch wieder gut sein. Eine Strafe kann resozialisierend wirken, also jemand wieder in die Gesellschaft integrieren. Es ist richtig, dass man dieses Ziel hat, aber es ist sehr schwer zu erreichen. Da müsste man noch mehr in die Persönlichkeitsentwicklung der Straftäter investieren. Die Gesellschaft ist aber nicht bereit, mehr Geld in Resozialisierungsmassnahmen zu stecken. Vor allem, wenn diese Personen sowieso nicht bei uns bleiben sollen.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen einer Medienpartnerschaft mit Neustart, ein gemeinnütziger Verein, der Beratung für Straffällige und deren Angehörige anbietet.

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