Vor lauter Bäumen die Lei(s)tungen nicht sehen
Seit Esther Keller im Amt ist, muss sich die GLP-Vorsteherin des Bau- und Verkehrsdepartements für Baumfällungen und fehlende Begrünung rechtfertigen. Ihre Bilanz ist durchzogen positiv. Eine Einordnung.
Die Zeiten, in denen die Basler GLP sich zurücklehnen und Popcorn essend den Wahlkampf der anderen beobachten konnte, sind vorbei. Vizepräsident Daniel Ordas spricht in den sozialen Medien davon, dass der Münsterplatz der neue tektonische Mittelpunkt der Erde sei. Am Münsterplatz ist das Bau- und Verkehrsdepartement (BVD) zu Hause und damit auch Vorsteherin Esther Keller. Die GLP-Regierungsrätin steht seit den Ersatzwahlen von vorletztem Sonntag wieder im Mittelpunkt, denn im Herbst sind Gesamterneuerungswahlen – ihr Sitz gilt als besonders gefährdet, von links und rechts dürfte er angegriffen werden.
Das Baudepartement ist kein einfaches Departement, weil es neben dem Justiz- und Sicherheitsdepartement besonders exponiert und öffentlichkeitswirksam ist. Kaum im Amt, musste die mittlerweile 39-jährige Esther Keller wegen der zu fällenden Kugelahorn-Bäume an der Margarethenstrasse durch ihre erste Feuerprobe. Schon damals hiess es in einem Kommentar in der BaZ, die Grünliberale müsse sich an ihrem Wahlversprechen messen lassen. Und dieses lautete: Mehr Grün für Basel, dem Klima zuliebe.
Seither musste Keller Baumfällung um Baumfällung verteidigen, dem von der SVP geprägten Narrativ immer und immer wieder widersprechen und von Neuem erklären, dass der Baumbestand verjüngt werden muss, dass man nicht warten kann, bis sie uns auf den Kopf fallen. Entscheidend ist denn auch die Baumbilanz und die ist zumindest gemäss BVD positiv, auch das Kronenvolumen nimmt – trotz Rückschlägen aufgrund von Sturmschäden – zu.
Bauinspektorat und Mobilitätsstrategie
Natürlich gibt es im Departement von Keller andere wichtige Bereiche und Projekte als Bäume und Baumfällungen wie beispielsweise das Bauinspektorat mit seinen zu langen Wartezeiten, welche die Vorsteherin unter anderem durch Sprechstunden, mehr Personal oder einen Online-Schalter in den Griff bekommen möchte. Dieser Schalter wurde allerdings schon von ihrem Vorgänger Hans-Peter Wessels (SP) aufgegleist, muss man fairerweise sagen, denn bereits damals war nicht alles in Butter.
«Eine neun Millionen teure Beruhigungspille, die wir nicht schlucken möchten»Tonja Zürcher, Basta-Grossrätin
Auch immer wieder für Schlagzeilen sorgt die Mobilitätsstrategie für eine ressourcenschonende Verkehrspolitik; hier kritisiert die Linke, diese sei unzureichend, die Bürgerlichen finden, sie sei gegen den motorisierten Individualverkehr gerichtet. Die Reaktionen überraschten Keller wenig, versuche sie doch stets, die Mitte zu finden. Tatsächlich bekommt von den Grünen oder der Basta wenig Liebe, wer nicht halbwegs autokritisch ist. Das hatte auch Wessels immer wieder zu spüren bekommen. Was bei ihm die Parkplätze waren (er war bekannt für seinen Parkplatzabbau, der insbesondere die autofreundlichen Bürgerlichen auf die Palme brachte), sind nun bei Keller die Bäume beziehungsweise ist die Begrünung der Stadt.
Auch am vergangenen Mittwoch musste sie wieder für ihre Stadtbegrünung einstehen. Im Grossen Rat verteidigte Keller ihre Sofortmassnahmen des 2021 beschlossenen Stadtklimakonzepts erfolgreich. Dieses soll mehr sein als ein schöngeistiges Konzeptli: Es soll die immer unerträglicher werdende Hitze mit verschiedenen Massnahmen eindämmen. Die im Prinzip bedeutende Weichenstellung für die Stadtbegrünung umfasst auch die teuren Sonnenschirme (mit 10’500 und 15’000 Franken so teuer wie ein Kleinwagen) sowie die mobilen Topfpflanzen, welche vergangenen Sommer auf der Dreirosenbrücke standen und nun in üppigerer Form in der Freien Strasse Platz gefunden haben. Damals wie heute sorgen sie für viel Häme. An der letzten Fasnacht spazierten Cliquen als eben solche Topfpflanzen durch die Stadt, Keller nahm es mit Humor.
Dass die Topfpflanzen und Sonnenschirme wenig gegen das sich aufheizende Klima helfen, weiss auch Keller, die die Massnahmen jedoch als sinnvolle Ergänzung sieht. Die Polparteien halten das millionenschwere Massnahmenpaket hingegen für einen schlechten Witz, scheiterten im Parlament aber mit ihrem Widerstand. Basta-Grossrätin Tonja Zürcher spricht von einer «neun Millionen teuren Beruhigungspille, die wir nicht schlucken möchten», SVP-Fraktionssprecher Pascal Messerli fragt: «Bin ich eigentlich im falschen Film?» Ein Änderungsantrag von LDP-Grossrätin Annina von Falkenstein, wonach erstmal ein paar dieser teuren Sonnenschirme getestet werden sollen, wurde mit 49 zu 48 Stimmen haarscharf angenommen.
«Wo immer möglich, pflanzen wir Bäume.»Esther Keller, GLP-Regierungsrätin
Das unzufriedene Grünalternative Bündnis hat für diese Woche einen Vorstoss angekündigt. Dieser verlangt, dass das Stadtklimakonzept auch Baumpflanzungen oder Begrünungs- und Entsiegelungsmassnahmen als vordringliche Massnahme ausserhalb der Erhaltungsplanung vorsehen sollte. Zur Erklärung: Die Erhaltungsplanung ist quasi das Geschäftsmodell des BVD, gemäss welchem Strassen nur aufgerissen werden sollen, wenn diese auch saniert werden müssen, also nicht extra für Baumpflanzungen. Linke Kritiker*innen bezeichnen die Erhaltungsplanung als «die heilige Kuh», mit der viel zu zögerlich umgegangen werde. Es würde viel mehr Grün drinliegen, wenn man denn wirklich wollte.
Das BVD schreibt auf Anfrage, was man immer wieder liest, wenn es um Baumpflanzungen geht: «Wo immer möglich, pflanzen wir Bäume. Leider ist das nicht überall möglich. Hauptgrund ist häufig der bebaute Untergrund, also Leitungen im Boden.» Aber: «Strassen aufzureissen, obwohl sie noch eine lange Lebensdauer haben, belastet die CO2-Bilanz.» Die gepflanzten Bäume könnten das CO2, das die Bauarbeiten verbrauchten, auch nicht kompensieren. Und in den nächsten Jahren wird aufgrund des Fernwärmeausbaus in Basel deutlich mehr gebaut als üblich. Es sei demnach sinnvoll, die Planungen auf die Orte, wo ohnehin gebaut werde, zu fokussieren, findet das BVD. Die Antwort auf die Motion der Umwelt- und Verkehrskommission, die eine entsprechende Koordination fordert, ist noch ausstehend.
Keller sagt aber bereits heute: «Wo immer möglich, werden im Zuge dieser Arbeiten auch Bäume gepflanzt, so beispielsweise im Geviert Wettsteinallee/Grenzacherstrasse, wo nebst neuen Hecken und Grünflächen insgesamt 110 Bäume gepflanzt werden.» Es gebe zudem Projekte, bei denen auch ausserhalb der Erhaltungsplanung Böden entsiegelt würden, wie bei der Nachbegrünung des Elsässerrheinwegs oder in der Erlenmatt.
Ein personalpolitisches Problem
Am Ende ist es schwer nachvollziehbar, wie stark und bedingungslos der politische Wille für Baumpflanzungen vorhanden ist beziehungsweise, ob denn nun tatsächlich noch mehr Bäume gepflanzt werden könnten. Die Kritiker*innen finden, man sehe heute bei einem Spaziergang durch die Stadt Stagnation oder eine Verschlechterung, aber sicher keine Verbesserung. Die Projekte brauchen aber natürlich Zeit, der Planungshorizont beträgt 5-10 Jahre – die Lorbeeren tragen wird wohl einst die Nachfolger*in von Kellers Nachfolger*in.
Abgesehen davon wird hinter vorgehaltener Hand gerne betont, dass das eigentliche Problem ein personalpolitisches sei. Einzelne Personen im BVD würden die Entwicklung bremsen. Keller werde zu vorsichtig beziehungsweise zu konservativ beraten.
Keller sagt dazu: «Alle Mitarbeitenden des Bau- und Verkehrsdepartement sind verpflichtet, die klaren Schwerpunkte zugunsten von klimafreundlicher Mobilität, Begrünung und Klimaschutz mitzutragen.» Und weiter: «Bei den meisten Projekten sind mehrere Dienststellen des BVD involviert – wichtige Entscheide kann eine Dienststelle nicht alleine treffen.» Strategische Richtungsentscheide würden zudem von der Departementsvorsteherin getroffen.
«Bei den meisten Projekten sind mehrere Dienststellen des BVD involviert – wichtige Entscheide kann eine Dienststelle nicht alleine treffen.»Esther Keller, GLP-Regierungsrätin
Dass die Entscheidungen der GLP-Regierungsrätin sowohl links als rechts immer mal wieder für Kritik sorgen, ist wenig überraschend. Die GLP als Zentrumspartei ist keinem der politischen Lager zuzuordnen. So gehen die getroffenen Massnahmen den einen oftmals zu wenig weit, den anderen wiederum zu weit. Keller sah und sieht sich durch die Ablehnung der Stadtklima-Initiativen auf jeden Fall bestärkt: Das Stimmvolk scheint ihr zu vertrauen, dass die Sache halt einfach ein wenig Zeit brauche. Kommt hinzu, dass ein*e Regierungsrät*in ihre Entscheidungen nicht alleine fällt, sie muss das Gremium überzeugen. Die Person befindet sich also in einer politischen Abhängigkeit. Sprich: Die Realität von aussen betrachtet ist nicht immer die gleiche wie im Laden selbst. Da scheint es nicht so verkehrt zu sein, dass Kompromisse gesucht und oftmals auch gefunden werden.
Abgesehen von den Polparteien erhält Keller denn auch relativ gute Noten: ihre Arbeit wird von vielen geschätzt, wie mehrere Gespräche mit entsprechenden Kommissionsmitgliedern zeigen. Ob das reicht, wird sich im Herbst zeigen. Ihre Parteifreunde laufen sich auf jeden Fall schon warm und lassen keine Gelegenheit aus, Loblieder auf ihre Esther zu singen. Es ist interessant, die GLP steht der LDP in nichts nach, wenn es darum geht, die eigenen Leute wie eine Familie zu verteidigen. Warum eigentlich keine gemeinsames Ticket mit der LDP, um dann einst als imperiale Grossfamilie zu agieren? Das wird natürlich nicht passieren – am wahrscheinlichsten ist, dass Keller alleine in die Schlacht zieht. Und ihren Sitz verteidigen kann.
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