Bürgerliche Hoffnung im Keller

Wer hätte gedacht, dass die Strategie der Grünen aufgehen könnte? Mit ihrer eigenen Kandidatur stellen sie dank Rückzug der Bürgerlichen eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Grünliberale Esther Keller dar. Anina Ineichen hat intakte Chancen, die rot-grüne Mehrheit wiederherzustellen.

Wochenkommentar Keller Ineichen
(Bild: Ernst Field/Adobe Stock/Collage: Bajour)

Vor vier Jahren war sie dahin, die rot-grüne Mehrheit im Regierungsrat. Jetzt gibt es eine reale Chance, die linke Mehrheit wieder zu installieren. Nachdem FDP-Kandidatin Eva Biland von ihrer Partei vom Rückzug überzeugt wurde – zu gross war die Angst, dass sich die bürgerlichen Stimmen verfransen – heisst es: Esther Keller gegen Anina Ineichen. Grünliberale Bürgerliche gegen linke Grüne.

Dass Esther Keller in den zweiten Wahlgang muss, überrascht nicht so sehr. Dass sie als einziges Mitglied der bisherigen Regierung nochmal in den Ring steigen muss, jedoch schon. Der Druck, der auf ihr lastet, ist enorm. Was steckt unter Kellers Gürtel? Vier Jahre in der Regierung inklusive Diskussionen über Topfbäume, Baustellen, Parkplätze, Fernwärme und ein überfordertes Bauinspektorat. Ärger überall. Und alle wissen’s besser. Das Bau- und Verkehrsdepartement war noch nie ein Ort der tief hängenden Früchte, um es euphemistisch auszudrücken. Auch bei ihren Vorgänger*innen nicht. So macht Keller nun auch das einzig Mögliche: Sie betont, dass sie viel aufgleisen konnte, dass es Zeit brauche, bis man Ergebnisse sieht. Vielleicht reicht das für den zweiten Wahlgang, vielleicht aber auch nicht.

Wenn die Bürgerlichen aus Angst vor ihrem Geschwätz von gestern ihre Gefolgschaft nicht mobilisieren, wird am Abstimmungssonntag die rot-grüne Mehrheit zementiert.

Dumm ist, dass sich gerade die bürgerlichen Parteien in den vergangenen Jahren an der grünliberalen Regierungsrätin abgearbeitet haben. Von rechts gab es kaum Lob für ihre Arbeit und wenn es etwas gibt, das links und rechts zu einen scheint, dann ist das die gemeinsame Ablehnung der Grünliberalen. 

Aber die Bürgerlichen, das ist ihr Dilemma, müssen es nun schaffen, dass ihre Wähler*innenschaft für die dauerkritisierte Esther Keller stimmt. Mit der verbalen Kehrtwende tut man sich sichtlich schwer. Die Mitte-Partei ist die einzige, die ehrlich sagt, was die anderen nur implizieren: Bitte, liebe bürgerlich Wählende, geht am 24. November zur Wahl und gebt Keller eure Stimme.

Dass LDP, SVP und FDP nun auch noch plötzlich hässig sind, weil die Mitte vorgibt, was die anderen nur hinter vorgehaltener Hand auszusprechen wagen, ist aus Sicht der bürgerlichen Wähler*innen nur noch lächerlich. Das wissen die rechten Parteistrateg*innen vermutlich selbst. Wenn die Bürgerlichen aus Angst vor ihrem Geschwätz von gestern ihre Gefolgschaft nicht mobilisieren, wird am Abstimmungssonntag, der notabene geprägt ist von linken Themen, die rot-grüne Mehrheit zementiert.

Die Strategie der Grünen ist aufgegangen. Es hat sich gelohnt, die SP zu verärgern, ohne die Basta in die Wahl zu gehen und eine eigene Kandidatin zu profilieren.

Und die Grünen haben plötzlich eine echte Chance auf einen Sitz in der Regierung – ein Szenario, das vorher eher als unwahrscheinlich galt. An dieser Stelle muss man – mit einiger Verwunderung über den Politbetrieb – zugestehen: Die Strategie der Grünen ist aufgegangen. Es hat sich gelohnt, die SP zu verärgern, ohne die Basta in die Wahl zu gehen und eine eigene Kandidatin zu profilieren. Die Grünen geben aus Sicht von Onlinereports jetzt sogar den Takt vor.

Wer hätte das gedacht? Ich zumindest nicht. Ich bescheinigte den Grünen, dass sie Eier hätten, aber kein Profil. Meine Vermutung war: Ohne eine gemeinsame Kandidatur von Grünen und Basta in Person einer Sibel Arslan wird das nichts. Jetzt sieht es nach einem knappen Rennen aus, und dafür müssen Basta und SP den Grünen ein grosses, linkes Kränzchen winden. Die Mehrheit im Regierungsrat ist die Kirsche auf der Torte. Und selbst, wenn Anina Ineichen es nicht schaffen sollte: Die Grünen konnten mit ihrer Kandidatur Eindruck hinterlassen.

SP und Grüne können den süssen Duft des Sieges schon riechen – genauso wie die Schwäche der Gegner*innen.

SP und Grüne stehen plötzlich so harmonisch da wie schon lange nicht mehr. Sie können den süssen Duft des Sieges schon riechen – genauso wie die Schwäche der Gegner*innen. SP-Präsidentin Lisa Mathys reibt sich die Hände und schiesst in der Baz gar einen Giftpfeil auf die Grünliberalen: Die Partei würde schwächeln und «Bei wichtigen Themen können wir nicht auf die GLP zählen», sagt Mathys.

Die Bürgerlichen hätten diese Aussage vor wenigen Wochen wohl genauso getroffen. Auch sie wissen, dass die GLP bei Umwelt- oder Verkehrsfragen eher links stimmt. Doch ihre Hoffnungsträgerin heisst jetzt Esther Keller. Das bisherige Mäkeln der Rechten an Keller sollte blitzschnell bürgerlichen Wahlempfehlungen weichen. Sonst werden sie links überholt. Ironie des Schicksals. 

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Kommentare

Biedermann07310021439 (2)
Johanna Biedermann
25. Oktober 2024 um 05:16

Klug

Eine sehr kluge, treffende Analyse