«Euer Pass macht euch nicht zu besseren Schweizer*innen»

Checkt eure Swissness, Papierlischweizer*innen. Ein Ex-Ausländer teilt aus.

fauil
Endlich den Pass nach einem Leben hierzulande erhalten: Der Autor dieses Textes im Februar 2020.

Ausländer*innen in Basel sollen das Wahl- und Stimmrecht erhalten. Gut so. Eine knappe Mehrheit im Grossen Rat hat sich an der Grossratssitzung vom 3. Juni für das Begehren für eine Verfassungsänderung von Edibe Gölgeli (SP) ausgesprochen und an die Regierung überwiesen.

In spätestens zwei Jahren kommt die neue Gesetzesvorlage vors Volk. 

Im Grossen Rat flogen in der Debatte über der Vorlage offenbar die Fetzen. Wer nicht dabei war, kann sich erst ein paar Tage später selber ein Bild davon machen. So lange dauert das Aufbereiten der Audio- und Videoaufzeichnungen. Die Demokratie lässt sich Zeit.

Egal, in den Zeitungen steht’s: Links war pro, rechts dagegen und in der Mitte machten eine jüngst in den Regierungsratswahlkampf eingestiegene Esther Keller und zwei sich enthaltende Stimmen aus der GLP den Unterschied. Die Voten verliefen entlang den Kampflinien Inklusion und Identität. Und unterm Strich fragen wir uns alle, warum diese Debatte auch 2020 noch immer so verknöchert und altbacken daherkommt, als hätten wir gestern erst die Idee mit dem Nationalstaat aus der Taufe gehoben. 

Von der Fragilität der Deutungshoheit

Wir haben den Nationalstaat nicht gestern erfunden. Es ist Zeit für Veränderung. Darum zum Mitschreiben gerne ein bisschen Zunder aus der Feder eines Ex-Ausländers:

Euer 👏Pass 👏macht 👏euch 👏nicht 👏zu 👏Schweizer*innen.

Die Idee, nur mit dem Pass in der Hand ein*e fähige*r Staatsbürger*in zu sein, ist so lachhaft, dass mir das Zwerchfell schmerzt. Ich kenne Schweizer*innen, die sind demokratisch so engagiert wie eine Scheibe Toast. Ihre Grosseltern heissen Heidi und Peter, aber sie sind Papierli-Schweizer*innen, wie sie im Bilderbuch stehen. Bei den letzten Abstimmungen war jede*r zweite Basler*in nicht an der Urne. Just saying. 

Pardon, jede*r zweite stimmberechtigte Basler*in. 36 Prozent aller Basler*innen hatten nichts zu melden.  

Auf der anderen Seite hat Hasan mit seinem Tiefbauunternehmen ziemlich viele Steuern abgeführt. Bei der nächsten Verkehrsinitiative möchte er eigentlich gerne über das Parkplatzproblem mitentscheiden. Das Argument mit der Swissness ist dermassen vorbei, dass ich mit grossem Vergnügen das daran anknüpfende Ohne-Schweiss-kein-Preis-«Argument» auch noch zerstöre.

Zückerli my ass

Man müsse es sich eben verdienen, sagen sie. Nicht noch ein Zückerli, bitte. Ungerecht für die, die sich die Staatsbürgerschaft geduldig erarbeiten. Ich verlinke gerne alle vierhundert Artikel über absurde Einbürgerungstests, die kein*e Schweizer*in je bestehen würde, also Zückerli my ass. Geduldig erarbeiten sagen sie, und meinen fünf Jahre Wohnsitz in Basel seien nicht genug.

Ich kenne Leute, die haben in wenigen Monaten mehr Verbundenheit mit ihrem Quartier entwickelt, als unser Nachbar Hampe-Hösch-Wegge-Toni hinter dem Geranien-Bunker im vierten Stock. Mein Coiffeur aus Syrien geht zum Beispiel im Quartier umher und fragt fremde Leute, welche Gesellschaft sie sich wünschen und dann geht er heim und schreibt Texte darüber. Wenn das keine proaktive Auseinandersetzung mit der direkten Umgebung ist, dann weiss ich auch nicht.

«Zu hohe Kosten sind eine ziemlich mediokre Ausrede.»

von BaZ-Autor Sebastian Briellmann

Drehen wir noch eine Runde in der Steilkurve waghalsiger «Argumente» gegen das Abstimmungsrecht: Verschenkt wird nix, der Pass kostet und Leistung muss sich lohnen. Warum sich die Einbürgerungsberechtigten unter den 36,4 Prozent Ausländer*innen nicht einfach die Schweizer Staatsbürger*innenschaft leisten, fragt die BaZ, und antwortet:

«Zu hohe Kosten sind eine ziemlich mediokre Ausrede.»

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten: Meine Einbürgerung war eine never-ending Ankunft von Rechnungen. Wieviel Cash kann ein Stück Papier kosten? 

Diese Arroganz der Begüterten, das macht mich fertig. Viele Menschen haben dieses Geld nicht einfach so, darum würde ich folgenden Satz gerne in eure roten Pässli tätowieren:

Euer 👏Geld 👏macht 👏euch 👏auch 👏nicht 👏zu 👏Schweizer*innen.

Apropos fertigmachen. Ich musste auch einen Einbürgerungstest machen. Einen erleichterten, weil ich bereits hier zur Schule gegangen bin. Die Beamtin fragte mich diesdas und wenn ich was nicht wusste, lachten wir darüber. Dann wollte sie ein bisschen über «ganz andere Kandidaten» plaudern, die manchmal nicht mal die einfachsten Fragen im Dialekt verstünden.

Irgendwann ist mir aufgefallen, dass mir auf allen Ämtern – und ich hab viele von innen gesehen – alle das Gefühl gaben, das sei mit mir alles kein Problem. Ich sei ja einer, also, man merke mir ja gar nichts an. Ich bin sehr weiss und mein Schweizerdeutsch ist top. Wenn ich sage, ich bin Ausländer, reagieren alle so: Was, krass, hätte ich nie gedacht, bist ja voll einer von uns hehe lol und grüezi. 

Ich erfinde das nicht. Das war wirklich so. 

Es geht hier immer noch um ein Wir und ein Sie

Und in diesem sehr subtilen «einer von uns» und «dir merkt man nichts an» steckt das ganze dumme alte Kernproblem dieser Debatte. Auch wenn das fast niemand mehr sagen würde geht es hier um ein Wir und ein Sie, eine Leitkultur und eine Gastkultur. Es geht um innen und aussen und um Sichtbarkeiten. Es geht um eine uralte Angst, etwas Abgeschlossenes gegen das Nicht-ganz-Vollwertige zu bewahren.

Das ist Gefühlspolitik, sonst nichts. 

Es geht hier aber nicht um Gefühle, sondern um Repräsentanz. Es geht um Mitentscheiden und Sachlichkeit. Es geht um Demokratie. Wer Gefühle bolzen will, kann ja in der Bürger*innengemeinde zusammensitzen und ein bisschen Schnupftabak durch die gerollte Tausend-Stutz-Note ziehen. Uns doch egal. Wir machen derweil Politik, wenns recht ist. 

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