Früher war es auch nicht besser
Während bei der Generalversammlung des Theater Basels im Foyer Public über Erfolg und Kritik im vergangenen Geschäftsjahr diskutiert wird, erinnert sich Bajour-Kolumnistin Cathérine Miville an die Eröffnung des Theaters in den 70er-Jahren. Auch damals wurde viel kritisiert.
Im locker besetzten Foyer des Theaters stehen Menschen in Grüppchen beieinander: Januar 2025 – Generalversammlung der Theatergenossenschaft. Ich spaziere durch den Raum, schnappe kurze Fetzen aus den Gesprächen auf und gewinne den Eindruck, hier sind Menschen versammelt, denen ihr Theater wichtig ist. Viele haben ziemlich genaue Vorstellungen, wie es zu sein hat, ihr Theater und daran wird sein Erfolg gemessen, auch der Erfolg des Intendanten und seines Teams.
Cathérine Miville ist in Basel geboren und aufgewachsen. Sie unternahm ihre ersten Karriereschritte am Theater Basel, später lebte sie lange Zeit in Deutschland, führte an verschiedenen Häusern und bei Dieter Hildebrandts Sendung «Scheibenwischer» Regie und leitete zuletzt als Intendantin das Stadttheater Giessen. Als vor drei Jahren Mivilles Vater, der Basler SP alt Ständerat Carl Miville-Seiler, starb, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Intendantin, wieder in Basel zu leben. In ihrer neuen Kolumne «Ma ville» wirft die 70-Jährige regelmässig einen genauen Blick auf das kulturelle Leben in der Stadt und reflektiert, wie sich Basel entwickelt hat.
Erfolgreich? Was ist unter erfolgreich zu verstehen? Natürlich, die Zahlen sollen stimmen. Aber schon bei der Frage, welche Zahlen denn den Erfolg eines Theaterbetriebes beschreiben, gehen die Meinungen auseinander. «Die Auslastung ist zwar etwas gestiegen, muss aber besser werden», war vorab zu hören. Besser ist bekanntlich der Feind des Guten. Und diese Kennzahl weist ja nur die Relation aus zur variierenden Zahl der Plätze, die jeweils für eine Produktion angeboten werden. Sie ist eine allgemein beliebte Stellschraube, nicht nur im Theater Basel.
Einnahmen sind nicht gleichzusetzen mit Erfolg
Aussagekräftiger sind natürlich absolute Zuschauerzahlen und Eigeneinnahmen. Nur, es wird allgemein begrüsst, dass Kinder und Jugendliche zu möglichst moderaten Preisen ins Theater können, es soll auch besondere Tickets für Menschen mit kleinen Budgets geben und Abonnent*innen sollen für ihre Treue Rabatte bekommen. Und wenn diese und andere entsprechende Angebote von sehr vielen Menschen angenommen werden, erfüllt dies den Anspruch, «Theater für alle» zu machen, zumindest etwas und ist daher als Erfolg zu verbuchen. Aber es kostet, denn es werden weniger Einnahmen generiert als beim Verkauf von Tickets zu hohen Tagespreisen.
Oder anderes gesagt, die Eigeneinnahmen hängen nicht allein vom Erfolg eines Theaters ab. Sie stehen auch in direktem Zusammenhang mit dem kulturpolitischen Willen einer Stadt. Intendant*innen erhalten von der jeweiligen Trägerschaft einen Auftrag. Und wenn der heisst, Theater für ein möglichst diverses Publikum anzubieten, dann hat das ganz klare wirtschaftliche Konsequenzen. Aber gerade auch darauf basiert doch – neben künstlerischen und inhaltlichen Belangen – die Berechtigung von Kulturinstitutionen von der öffentlichen Hand gefördert zu werden.
Foyer public funktioniert
Und wenn ein Raum wie das einzigartige Foyer des Theaters nach 50 Jahre endlich so genutzt wird wie es ursprünglich von den Planer*innen und somit auch von der Politik gewollt war, dann ist das ein grossartiger Erfolg. Das Foyer Public ist angenommen, über 55'000 Menschen haben in der letzten Spielzeit diesen Raum für sich entdeckt und geniessen es, ganz selbstverständlich auch durch den Tag ins Theater gehen zu können. Besser kann sich Schwellenabbau in einer Kulturinstitution nicht manifestieren. Darüber hinaus spricht die Liste der Kooperationspartner*innen für sich. Und wenn für den Aufwand, der insbesondere im Personalbereich dafür entsteht, nun zusätzliche Fördermittel genehmigt wurden, so ist das bestens investiertes Geld.
Während der Versammlung im Foyer schweife ich gedanklich ab. Ich mag den Raum mit seiner grosszügigen Offenheit und der geschwungenen Decke. Ich fühl mich hier wohl – nicht erst seit es das Foyer Public gibt.
Vor ziemlich genau 50 Jahren im Dezember 1974 standen im Foyer auf der Balustrade über dem Haupteingang hohe Bautürme. Sie waren Teil der Raumbespielung bei der ersten Premiere im neuen Haus. Der Doppelabend «Die letzten Tage der Menschheit» wurde in der Inszenierung von Hans Hollmann von vier Verfolgern beleuchtet. So war ich bei den Proben und Aufführungen hoch oben unter der Decke und bewegte einen grossen Scheinwerfer, sodass mein Lichtkegel die Schauspieler* durchs ganze Foyer über die Treppen und in abgelegene Winkel begleitete.
Nie wieder habe ich so kompakt Theater, seine Wirkung und Möglichkeiten wahrnehmen und verstehen gelernt. Es war die beste Schule für szenische Arbeit im freien Raum sowie über das Zusammenspiel von Musik und Licht und vieles mehr. Letzteres nutze mit später im Fernsehstudio bei der Regie von Live-Sendungen mit mehreren Kameras: der Rhythmus von Schnitten und Fahrten, visuelles Timing bei pointierten Dialogen – all das lernte ich quasi im Trockendock-Foyer.
Die Kritik wiederholt sich
Während ich beim Zuhören meinen Gedanken nachhänge, geht die Sitzung ihrem Ende entgegen. Doch da ergreift ein Mann, denn ich nicht kenne, noch das Wort und hält ein fünfminütiges Statement, in dem er mit ausnehmender Höflichkeit zu einem kritischen Rundumschlag ausholt: nicht uninformiert, aber - nach meiner Einschätzung - auch nicht wirklich fundiert. So frage ich mich, was ist sein Ziel? Inzwischen weiss ich, es war ein jüngerer Basler Politiker mit kulturellem Hintergrund. BaZ und bz haben kurz darüber berichtet. Ich will diesen Auftritt nicht bewerten, nur erwähnen, dass das Theater in seinen Publikationen sehr transparent zwischen zahlenden Besucher*innen und dem Publikum im Foyer Public unterscheidet. Aber diese Randerscheinung bei der Versammlung weckte kulturpolitische Erinnerungen:
Das neue Haus konnte vor 50 Jahren nicht planmässig eröffnet werden, weil die Abstimmung über eine Erhöhung der Theaterförderung zum Ausgleich für die höheren Betriebskosten des Theaterneubaus Bach ab ging. Der extrem beliebte und erfolgreiche Theaterdirektor Werner Düggelin schmiss hin.
Danach entstand in der Bevölkerung eine grosse Solidarisierung mit dem Theater. Auch wir Schüler*innen haben uns stark eingesetzt und eine Veranstaltung im alten Stadttheater organisiert, volles Haus. Da haben uns Erwachsene zugehört und erfahren, wie wichtig uns jungen Menschen unser Theater war.
Die Kritikpunkte an Theater sind im Kern eigentlich die gleichen geblieben. Das mag daran liegen, dass allenthalben zwar gesellschaftliche Veränderungen wahrgenommen und oft auch begrüsst werden. Aber Theater soll aus Sicht der jeweils älteren Generation möglichst so bleiben, wie man es in jüngeren Jahren kennen und lieben gelernt hat. Und so setzt sich der kontroverse Diskurs munter fort. Jede Generation hat ihre eigene Vorstellung von ihrem Theater. Und darüber bildet sich dann zum Glück doch auch die Veränderung des Theaters ab.