Wandel statt Polemik

Der SP-Grossrat und Geschäftsführer des Behindertenforms Region Basel, Georg Mattmüller, argumentiert in seiner Replik für die integrative Schule. Die Wissenschaft spreche für die Inklusion, um die aktuellen Probleme zu beheben, müsse man mit genügend Ressourcen dagegen ankämpfen.

Mattmüller Replik
Georg Mattmüller: «Die Kleinklassen waren einfach die bildungspolitische Antwort von vor 30 oder 40 Jahren.» (Bild: Pixabay & Grosser Rat Basel-Stadt)

Der SP-Grossrat und Geschäftsführer des Behindertenforms Region Basel, Georg Mattmüller, ist mit der Darstellung der integrativen Schule von Bajour-Kolumnist Roland Stark nicht einverstanden. Dieser argumentierte in seinem Beitrag mit dem Titel «Die Basler Kleinklassen werden verleumdet», dass die Kleinklassen früher dank einer engagierten und heilpädagogisch bestens qualifizierten Lehrerschaft höchstes Ansehen genossen haben – und versucht sich in einer Ehrenrettung. In dieser Replik widerspricht Mattmüller unserem Kolumnisten.

Die integrative Schule ist sicher die umstrittenste «Baustelle» der öffentlichen Schule und wird entsprechend emotional diskutiert. Aktuell stehen die geplanten Massnahmen des Erziehungsdepartements Basel-Stadt der zur Abstimmung kommenden «Förderklasseninitiative» gegenüber. Die Diskussion erfolgt regelmässig unter dem Stichwort «Kleinklassen», was wenig zielführend ist: Zu jeder Zeit versuchte die öffentliche Schule auf Frage- und Problemstellungen Antworten zu geben und geeignete Massnahmen umzusetzen. Die Kleinklassen waren einfach die bildungspolitische Antwort von vor 30 oder 40 Jahren.

«Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.» - Kaiser Wilhelm II, letzter Deutscher Kaiser

Kinder Schule
Die Basler Kleinklassen werden verleumdet

Unser neuer Kolumnist Roland Stark findet, die Kleinklassen genossen früher dank einer engagierten und heilpädagogisch bestens qualifizierten Lehrerschaft höchstes Ansehen. Eine Ehrenrettung.


Zur Kolumne

Die Schule heute ist eine andere: Schüler*innen bringen in einem sich stark veränderten gesellschaftlichen Umfeld andere Ressourcen mit, Eltern, aber auch Lehrpersonen haben andere Erwartungen und die Bildungsverantwortlichen andere gesetzliche Vorgaben. Die Schule befindet sich also in stetem Wandel. Unterstützende der schulischen Inklusion als Bildungsromantiker*innen zu bezeichnen und die heilpädagogischen Bildungsforschenden in einen Elfenbeinturm zu stecken, ist nicht viel mehr als Polemik und kein ernstzunehmender Beitrag zur aktuellen Situation und deren Anforderungen.

Die wissenschaftlichen Fakten sprechen für die schulische Inklusion: Die grosse Mehrheit der Studien belegen seit Längerem, dass Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten eine bessere Leistungsentwicklung zeigen und dass separative Beschulung Verhaltensprobleme auch verstärken kann. Sie zeigen aber auch auf, dass Schüler*innen aus benachteiligten sozialen Schichten oder mit Migrationsgeschichte in Sonderklassen deutlich überrepräsentiert und somit strukturell diskriminiert sind. Dies galt früher auch für behinderte Kinder und Jugendliche, weshalb die integrative Schule seit Jahrzehnten ein zentrales Anliegen der Behindertenselbsthilfe ist.

Georg Mattmüller SP
Zur Person

Georg Mattmüller, geboren 1968, ist Vater von drei erwachsenen Kindern und Grossvater von zwei Enkelkindern. Er ist Jurist und Betriebsökonom (EMBA) und seit 2001 Geschäftsführer des Behindertenforum Region Basel. Das Behindertenforum ist die regionale Dachorganisation der Behindertenselbsthilfe und vertritt 21 Mitgliedorganisationen. Seit 2014 ist er für die SP Basel-Stadt Mitglied des Grossen Rates. Er ist Mitglied der Gesundheits- und Sozialkommission sowie der Finanzkommission.

Steigende Komplexität des pädagogischen Alltags, der zeitliche Mehraufwand durch die Kooperation mit Fachpersonen oder Eltern und verhaltensauffällige Kinder sind grosse Herausforderungen für Lehrpersonen, für manche ist dies eine zu grosse Belastung. Der Leidensdruck von Lehrpersonen im Schullalltag ist anzuerkennen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass bei den meisten Schüler*innen mit Auffälligkeiten, Benachteiligungen oder Behinderungen der integrative Beschulungsansatz funktioniert. Dazu tragen Lehrpersonen mit viel Fachlichkeit, Erfahrung und Engagement bei.

Um die aktuellen Probleme möglichst beheben, mindestens aber verbessern zu können, müssen genügend Ressourcen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort eingesetzt werden. Dies kann mit kurzfristigen, situativen Entlastungsangeboten wie Lerninseln, aber auch mit situativ entlastenden Poolressourcen erfolgen. Weiter ist der Wechsel von Regelklasse zu den Speziellen Angeboten (separative Beschulung) in beide Richtungen zu optimieren und zu vereinfachen. Was es sicher nicht braucht, sind neue (oder eben alte) Klassengefässe. Die Wiedereinführung von Sonderklassen - heissen diese nun Kleinklassen, Hilfsklassen oder Förderklassen - mögen an einer Stelle Probleme lösen, schaffen aber an anderer Stelle neue.

Vergessen wir nicht, dass die öffentliche Schule die letzte grosse Klammer unserer Gesellschaft ist. Tragen wir ihr daher Sorge und entwickeln sie mit den gemachten Erfahrungen der schulischen Inklusion weiter und vor allem: Gestalten wir sie mit Bedacht.

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