«Journalist*innen zu fördern, ist die Lösung»
GLP-Grossrat und Medienpolitiker Johannes Sieber erklärt, wieso man künftig nicht mehr einzelne Medien, sondern Journalist*innen fördern sollte. Und bietet auch gleich an, als Jurymitglied die Förderwürdigsten auszusuchen.
Herr Sieber, haben Sie heute Morgen die Zeitung gelesen? Beziehungsweise: Wie informieren Sie sich? Auf Papier oder online?
Alles zusammen. Ich bin Abonnent von der BaZ und der bz und Gönner bei Bajour, ich lese die Zeitungen aber auf E-Paper, für mich ist wichtig, dass ich das Layout habe und so die Gewichtung der Beiträge, wie sie bebildert sind, in welchem Teil sie stehen. Nur online durchzuscrollen, ist nicht so meins.
Das Mediennutzungsverhalten verändert sich bekanntlich, die Erträge im Printbereich sind rückläufig, wie auch die Einstellung von 20 Minuten Print zeigt. Trotzdem erhalten Online-Medien vom Staat kein Geld, obschon sie wie auch Printmedien zur Meinungsbildung und damit zu einem funktionierenden demokratischen System beitragen. Ist das fair?
Fair oder nicht fair, finde ich ein bisschen schwierig. Eher müsste man fragen: Macht es Sinn oder nicht? Und in dieser Form macht es sicher nicht mehr gleich viel Sinn wie auch schon, aber es ist organisch gewachsen, die ganze Presseverteilgeschichte der Printmedien musste finanziert werden, die Unabhängigkeit war dadurch gewährleistet, weshalb das Modell Bestand hat und man es weiter ausbauen will. Aus diesem Grund ist auch die Weiterentwicklung der Fördermodelle schwierig.
Sie setzen sich als GLP-Grossrat für Medienförderung ein. Warum finden Sie das wichtig?
Ich beobachte eine sinkende Berichterstattung im regionalen Bereich, als Politiker verfolgt man die Themen dieser Stadt und sieht, was journalistisch reflektiert wird, wie was aufbereitet wird. Ich bin auch im Kulturbereich tätig, auch dort sehe ich eine sinkende Reflexion des Kulturschaffens. Von dem her: Wir hatten mal eine BaZ mit einer Extrabeilage für Kultur im Print, aber das gibt es alles nicht mehr. Man merkt, dass Journalist*innen unter Druck sind, wenig Zeit haben, sich in Themen zu vertiefen. Diese Entwicklung bereitet mir Sorgen, deshalb engagiere ich mich für eine Förderung.
«Es geht nicht unbedingt um die Vielfalt der Titel, sondern um die Vielfalt der Themen und wie tief diese bearbeitet werden.»GLP-Grossrat Johannes Sieber
Das heisst, es geht Ihnen weniger um eine Medienvielfalt, die in Basel (noch) gewährleistet ist, sondern um die Tiefe der Berichterstattung?
Ja, wir haben in Basel das Glück, dass wir viele Titel haben, neben den beiden Tageszeitungen haben wir verschiedene Onlineformate, die mit viel Engagement betrieben werden, sie sind unterschiedlich finanziert, das ist sicher ein Thema. Es geht aber nicht unbedingt um die Vielfalt der Titel, sondern um die Vielfalt der Themen und wie tief diese bearbeitet werden. So macht es keinen Sinn, wenn in fünf Publikationen das Gleiche steht oder das gleiche Falsche steht, wenn oberflächlich recherchiert wird. Sinn würde machen, wenn man in den fünf Titeln auch verschiedene Aspekte vertieft thematisieren würde. Das findet aufgrund der zeitlichen Ressourcen immer weniger statt.
Sie haben vorher schon das Stichwort gegeben: die verschiedenen Titel sind unterschiedlich finanziert. Wir wollen in diesem Interview über neue Wege für die Finanzierung des Lokaljournalismus sprechen. Im Vorfeld haben Sie mir schon verraten, dass Sie eine konkrete Idee haben, wollen Sie uns diese präsentieren?
Es gibt bereits eine Medienförderung und diese soll weiterentwickelt werden. Ich glaube, die Komplexität ist, wer entscheiden soll, wie diese auszusehen hat. Ist das die Branche? Die Politik? Wir haben bei der nationalen Abstimmung im Jahr 2022 gesehen, dass die Branche am Ende uneinig war, was man überhaupt will. Das sind denkbar schlechte Voraussetzung, um eine Abstimmung zu gewinnen.
Sie sagen, die Branche soll entscheiden, aber Sie machen ihr einen Vorschlag?
Die Regierung sollte gemeinsam mit der Branche ein Modell entwickeln, aber ich habe eine Vorstellung davon, wie das funktionieren könnte: Wir sollten wegkommen von der Idee, dass wir Titel fördern wie die BaZ, bz oder Bajour. Wir sollten in die sogenannte Subjektförderung reingehen, das ist ein bisschen ein komischer Begriff, aber ich finde, wir sollten Journalist*innen fördern. Man hat also zum Beispiel zehn Journalist*innen, die sich um die Region kümmern, und die kriegen dann einen Leistungsvertrag für vier Jahre. Dadurch haben sie viel mehr Zeit als heute, sich mit den Themen auseinanderzusetzen, was eine tiefere Recherche zulässt.
«Es ist eine berechtigte Frage. Wählt man dann nur Künstler*innen aus, die dem Staat nicht gefährlich werden?»GLP-Grossrat Johannes Sieber
Und wer sucht die Journalist*innen aus?
Das müsste man herausfinden, was der richtige Modus wäre.
Sie vielleicht?
(lacht) Ich würde gerne mithelfen, selbstverständlich. Das ist eine Frage, die bei Förderungen immer zuoberst steht: Wie soll das funktionieren? Mit einer Jury, ohne Jury? Mit einer Kommission, aber da gibt es Lösungen.
Ihr Ansatz ist interessant.
Ich finde sogar, das ist die Lösung.
Die Frage ist aber doch, wer wen aussucht. Oder würde man nur bereits prämierte Journalist*innen aussuchen? Und würden die dann selbständig arbeiten?
Die Frage stellt sich auch bei Werkbeiträgen von Künstler*innen. Wer soll sich künstlerisch zum Beispiel mit Europa und Flucht auseinandersetzen. Hier könnte man auch hinterfragen, wie sehr sich der Staat einmischt. Es ist auch eine berechtigte Frage. Wählt man dann nur Künstler*innen aus, die dem Staat nicht gefährlich werden? Das sind alles berechtigte Fragen, die man sich in der Kunstförderung in unserem Land nicht stellt.
Naja, ein bisschen war das ja schon Thema mit Leila Moon, als die DJ und Musikproduzentin den kantonalen Kulturförderpreis nicht erhalten hat, oder nicht?
Klar. Leila Moon, Alain Claude Sulzer, hier kommen die Themen. Aber sie werden verhandelt, es wird darüber gestritten, ob das nun richtig oder falsch ist. Es gibt eine Meinungsbildung. Es ist nicht so, dass das stattfindet und niemand weiss davon. Es gibt keine systematische Steuerung.
Nein, das nicht.
Also wenn man jetzt eine Journalistin fördern würde und die würde die ganze Zeit staatsfreundlich schreiben, dann würde die Chefredaktion doch irgendwann finden, das geht nicht auf.
«Sicher ist: Ihre Recherche ist besser, weil Sie mehr Zeit gehabt haben, sich darum zu kümmern.»GLP-Grossrat Johannes Sieber
Aber wer soll denn bei Ihrer Idee das Geld bekommen? Ich als Journalistin, sollte ich von Ihnen in der Jury ausgewählt werden?
Genau, die Journalistin. Sie kriegen für vier Jahre eine Leistungsvereinbarung.
Aber arbeite ich dann als Freie bei Bajour?
Das ist die Frage, ob Sie dann noch bei Bajour arbeiten. Auch, was Sie bei Bajour noch verdienen.
Oder ich mache mich mit dem staatlichen Geld selbständig. Aber dann muss ich meine Artikel ja trotzdem irgendwo publizieren. Wer kauft das ab? Bajour?
Bajour kauft das ab, weil das eine super Recherche ist.
Aber davon hat Bajour ja nicht mehr Geld.
Aber eine bessere Recherche für das gleiche Geld, oder vielleicht für weniger. Das muss die Medienbranche selber ausknobeln. Sie als freie Journalistin müssten mit Bajour schauen, zu welchen Bedingungen sie verkaufen, aber sicher ist: Ihre Recherche ist besser, weil Sie mehr Zeit gehabt haben, sich darum zu kümmern. Und Sie werden die bessere Recherche fürs gleiche Geld oder sogar günstiger anbieten können, also haben Sie einen Marktvorteil als freie Journalistin, aber im Gegenzug verlangt man was von Ihnen, hier ist die Frage: Was?
Ja, und?
Als Gemeinschaft definieren wir, wo uns Journalismus und Reflexion wichtig ist, das müsste man dann quantifizieren, beispielsweise wollen wir monatlich eine vertiefte Recherche im Bereich Kultur und Gesellschaft oder eine Auseinandersetzung mit dem Zustand von gesellschaftsrelevanten Themen wie dem Zusammenhang von Migration und Gewalt auf der Dreirosenanlage.
Einverstanden, hier finde ich Ihre Idee unproblematischer, aber wer macht die Interviews mit der Regierung vor Wahlen zum Beispiel? Was, wenn ich eine Leistungsvereinbarung habe mit dem Kanton beziehungsweise Regierungsrat Kaspar Sutter, der für die Medien zuständig ist und mir diese Leistungsvereinbarung unterschrieben hat, und ein Interview machen möchte. Von wegen der Staat hat keinen Einfluss … Würden Sie ein schlechteres Interview machen?
Nein, ich würde sagen: nein.
Eben.
Aber man ist als Individuum natürlich schon exponierter gegenüber seinem Arbeitgeber oder seiner Arbeitgeberin als man es in einer Redaktion ist, hier geniesst man einen gewissen Schutz.
Ja, das kann sein.
Mehr zum Thema Medienförderung kannst du dir im Interview anschauen: