Pizza-Plausch und eine Besetzung
Seit Montag besetzen mehrere Personen das Haus am St. Johanns-Ring 105. Die Besetzer*innen sind im Gespräch mit der Nutzerin der leerstehenden Liegenschaft, dem Universitätsspital. Eine Einigung ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Trotz der Androhung einer Räumung wollen die Besetzer*innen bleiben.
«Magst du deine Pizza vegi oder mit Fleisch?», fragt Mira*. Fast 30 Personen sind am Mittwochabend in den lauschigen Garten des Hauses am St. Johanns-Ring 105 gekommen. Unter Bäumen stehen kleine, runde Tische, Lampions hängen an den Ästen und die Stimmung ist ausgelassen. Es wirkt wie eine normale Gartenparty, an der die Gäste sich ihre Pizzen belegen, die sie im grossen Stahlofen selbst backen.
Es ist aber keine normale Gartenparty, denn das grosse Haus am St. Johanns-Ring 105 mit Gartenumschwung ist seit Anfang der Woche besetzt. Fast täglich organisiert die «besetzende Crew», wie sie sich selbst nennt, Anlässe. Mittagstisch, Pizzaabend, Pirat*innenbar. Die Unterstützer*innen, Leute aus der Nachbarschaft und Freund*innen kommen zahlreich. Sie sind jung, kaum jemand ist über 30 Jahre alt, eher alternativ, leger gekleidet und offen. Die Einladungen werden im Telegram-Kanal der Gruppe «Basel wird besetzt!» gepostet, der mehr als 3900 Mitglieder hat.
Eric*, der im Quartier lebt, hat das leerstehende Haus schon seit längerem beobachtet. «Als ich hierher gezogen bin, habe ich mich schon gefragt, warum dieses schöne Haus leersteht», sagt er. Er besucht die Anlässe, weil er gut findet, dass «der Ort wieder belebt wird». Auch die anderen Besucher*innen unterstützen die Besetzung. Eine junge Frau sagt: «Das Haus bietet mit seinem Garten so viele Möglichkeiten. Dieser Ort sollte sinnvoll genutzt werden. Es ist Ressourcenverschwendung, ein so grosses Haus einfach verfallen zu lassen.»
Die umstehenden Gäste pflichten ihr bei. Einige von ihnen sind ehemalige Hausbesetzer*innen, so auch Paul*, der mit seinen beiden Kindern am Pizza-Abend ist. Er lebt in der Genossenschaft in der Wasserstrasse, nachdem er und seine Mitstreiter*innen 2012 mit ihrer Besetzung Erfolg hatten. «Die Besetzer*innen stören hier doch niemanden», sagt er. «Ich finde es wichtig, mit Aktionen wie dieser zu zeigen, dass Leerstand in der Stadt nicht geduldet werden kann.»
Mit Namen genannt werden möchte niemand, auch die Crew selbst gibt keine persönliche Auskunft. So will sie auch nicht sagen, wie viele Personen das Haus besetzen. Wie auf Telegram zu lesen ist, wurde das Haus am Weltfrauentag, dem 8. März, erstmals, allerdings von anderen Personen, besetzt.
Anfang dieser Woche gibt die Gruppe «Basel wird besetzt!» auf Telegram bekannt, dass sie das Gebäude im Anschluss an den «feministischen Kampftag» besetzen werden, um darin zu wohnen. Denn aus ihrer Sicht besteht das Bedürfnis nach Wohnraum in Basel. Da das Haus bereits längere Zeit leer stehe, schreiben die Besetzer*innen: «Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie es auch noch weitere Jahre leer steht. Während sich immer mehr Menschen die Miete nicht leisten können, lässt das Unispital hier Wohnraum an bester Lage und in gutem Zustand verlottern.»
Die Besetzer*innen möchte darauf aufmerksam machen, dass es zu wenig günstigen Wohnraum in Basel gibt und das Haus am St. Johanns-Ring neu beleben. Sie suchen bewusst den Austausch mit Nachbar*innen, von denen einige am Pizza-Abend anwesend sind.
Wenige Stunden zuvor hatte am Mittwoch das erste Treffen mit drei Vertreter*innen des Unispitals stattgefunden. Die Crew berichtet: «Dabei kam es zu keiner Entscheidung, sie haben vielmehr im Namen der Spitalleitung unsere Anliegen angehört und diese dann weitergeleitet. Wir hoffen, dass es bald zu einer Einigung kommen kann und das schöne Haus nicht noch länger leer stehen muss.» Sowohl auf Telegram wie auch auf persönliche Nachfrage hin sagen die Besetzer*innen: «Egal was die Spitalleitung entscheiden wird, wir bleiben da. So lange keine konkreten Bauvorhaben beginnen, sehen wir keinen Grund, wieder zu gehen.»
Nun hat sich die Lage zugespitzt, denn das Universitätsspital verlangt, dass das Haus zeitnah wieder verlassen wird. Mediensprecherin Caroline Johnson bestätigt zwar, dass Verantwortliche des Spitals im Gespräch mit den Hausbesetzer*innen sind. Sie betont aber: «Wir haben den Austausch gesucht und den Personen mitgeteilt, das Haus baldmöglichst zu räumen. Natürlich hoffen wir, dass sie dieser Aufforderung nachkommen. Wenn dies nicht geschieht, behalten wir uns vor, weitere Schritte einzuleiten.» Sprich, das Haus würde zeitnah geräumt werden.
Johnson sagt weiter: «Uns liegt vor allem die Sicherheit der Personen am Herzen.» Das Haus sei in keinem sicheren Zustand. Es gäbe zum Beispiel einen alten Cheminée, der für die Besetzer*innen gefährlich sein könnte. Es handle sich bei dieser Liegenschaft um eine Holzbebauung ohne Strom- und Wasserzufuhr, was besonders wegen der Nutzung von Gaskochern durch die Besetzenden eine grosse Brandgefahr darstelle.
Das Augenspital ist Nutzerin des Gebäudes, Inhaberin ist die Stiftung Augenspital in Basel. Der Aussage, dass das Haus viele Jahre leer stehe, widerspricht Johnson: «Das Haus steht seit knapp einem Jahr leer und wurde erst im 2023 von sämtlichem Mobiliar geräumt.» Was mit dem Haus geschehen soll, ist noch unklar: «Das wird nun geprüft werden», sagt sie.
Die Besetzer*innen sagen zu Bajour, das Gebäude sei in den letzten Jahren «von Mitarbeitenden des Unispitals vereinzelt als Büroraum genutzt worden.» Dies aber so selten und unauffällig, dass es für die Nachbarschaft nach Leerstand ausgesehen habe. «Mit einem relativ geringen Aufwand wäre es möglich, das Haus bewohnbar zu machen, dass dies in Zeiten eines so drastischen Wohnraummangels nicht geschehen ist, ist höchst unverantwortlich.»
Auch sei eine Sanierung nicht geplant: «Konkrete Pläne für eine weitere Nutzung des Gebäudes sowie Investitionspläne sind von Seiten des Unispitals nach wie vor nicht vorhanden. Sie haben im Gespräch klargestellt, dass sie keine Intention haben, das Gebäude zu sanieren und wollen es bis auf weiteres leer stehen lassen.»
Von der Drohung, das Haus räumen zu lassen, lassen sich die Besetzer*innen nicht beeindrucken. Sie posteten am Donnerstag: «Das Unispital will uns ab heute Mittag draussen haben.» Die Sorge, dass eine Nutzung des Objekts aus Sicherheitsgründen nicht geduldet werden könne, würden sie «nicht akzeptieren».
Zu Bajour sagt die Gruppe: «Die Argumente vom Augenspital sind traditionellerweise schlecht, ihre Bedenken wegen Haftung würden sich problemlos mit einem Vertrag lösen lassen.» Dies würden zahlreiche Beispiele aus anderen Projekten zeigen. «Wir lassen uns nicht mit so vorgeschobenen Argumenten auf die nette Art vertreiben.»
Beide Seiten scheinen sich im Moment nicht anzunähern. Die Haltung des Unispitals ist ebenso klar und deutlich wie das Vorhaben der Besetzungs-Crew. Sie hat auf die Räumungsandrohung gleich das nächste Event organisiert und schreibt: «Kommt alle zur Unterstützung vorbei.» Und als Beweis dafür, dass das Haus in «wunderbarem Zustand» ist, postet die Crew Fotos aus dem Haus.
Im April 2021 endete eine Besetzung an der Florastrasse 23 im Kleinbasel mit einer Räumung. Wann aber kommt es dazu? Rooven Brucker, Mediensprecher der Kantonspolizei Basel-Stadt, sagt, es müsse ein Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs vorliegen, bevor die Polizei eine Räumung einleitet. Das ist am Pizza-Abend aber kein Thema. Hier geht es vielmehr um das Recht auf Wohnen und um den Mangel an günstigem Wohnraum in der Stadt. «Es ist schwer, eine bezahlbare Wohnung in Basel zu finden», sagt Mira*.
Ob eine Hausbesetzung friedlich verläuft, hängt massgeblich davon ab, ob die Eigentümer*innenschaft die Anliegen der Besetzer*innen akzeptieren kann und mit ihnen im Gespräch bleibt. Dies scheint am St. Johanns-Ring 105 aktuell am seidenen Faden zu hängen. Ein Ende der Aktion ist nicht Sicht, denn die Gruppe sagt zu Bajour: «Sollten sie die Polizei wirklich holen und die Räumung vollziehen, werden wir wohl oder übel erneut wiederkommen müssen.»
*Namen anonymisiert.
Begleite uns und werde Member.