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Q&A

Schon wieder eine Wohndiskussion – Basel, was geht?

Du suchst eine günstige Wohnung und hast den Überblick über die 100 letzten politischen Geschäfte verloren? Hier entlang.

01/11/21, 03:00 AM

Aktualisiert 01/14/21, 08:10 AM

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Das «Recht auf Wohnen» wird Realität. Der Grosse Rat stimmte am Mittwoch, 13. Januar, dem Geschäft zu. Nur einer war dagegen: SVP-Grossrat Patrick Hafner hat bis heute keine Freude, dass die Stimmbevölkerung im Juni 2018 vier Wohninitiativen angenommen hat. Deshalb stimmte er am Mittwoch «nein». 

Doch was bedeutet das Recht auf Wohnen überhaupt? Bekomme ich jetzt endlich eine günstige Wohnung? Fast alle Antworten findest du in unserem Q&A.

Irgendwie ist es sowieso schräg mit dem Wohnen in Basel. Seit Jahren streitet die Politik über teure Mieten. Und trotzdem werden immer noch Leute aus ihren Wohnungen geschmissen und günstige Miethäuser zu teuren Luxuslogen umgebaut. Hat sich überhaupt irgendwas bewegt in den vergangenen Jahren? Und was passiert jetzt? Wir haben wichtige Fragen zusammengetragen und versuchen, einen Weg durchs Dickicht zu schlagen. 

Falls du nach der Lektüre noch offene Fragen hast oder dir sonst irgendwas fehlte: Schreib uns unten in die Kommentare.

Los geht's.

Der Grosse Rat redete schon wieder über Wohnpolitik. Aber wir haben doch erst gerade über ein Wohn-Thema abgestimmt im November. Ich komme nicht mehr draus!

Die Basler Stimmbevölkerung hat am 10. Juni 2018 vier Initiativen zum Wohnen angenommen. Die Forderung: Mehr günstiger Wohnraum. Über jede einzelne muss der Grosse Rat verhandeln. Diese Woche war die Verfassungsinitiative «Recht auf Wohnen» dran.

Die Bau- und Raumplanungskommission (BRK) hat den Vorschlag der Regierung geprüft. Mal abgesehen von ein paar wenigen Anpassungen, sind die Kommissionsmitglieder mit den Bestimmungen einverstanden. Am 11. Dezember haben sie hierzu ihren Bericht einstimmig verabschiedet. 

Was heisst «Recht auf Wohnen» eigentlich? 

Die Verfassung hält fest, dass die Menschenwürde geschützt werden soll: Die Existenzsicherung ist nach Artikel 12 der Bundesverfassung ein Menschenrecht. Dazu gehört auch, dass man Anspruch auf Unterstützung hat, um sich ein Dach über dem Kopf leisten zu können. 

«Dank dem ‹Recht auf Wohnen› sollen Menschen aus prekären Verhältnissen vereinfacht Zugang zum Wohnungsmarkt erhalten.»

Das klingt schwammig. Was bedeutet das für mich als Bewohner*in von Basel?

Der Kanton muss dafür sorgen, dass du eine Wohnung findest, die a) gross genug ist und b) du dir leisten kannst.

Was heisst das? Ich verdiene etwa den Schweizer Durschnittslohn, monatlich netto etwa 5000 Franken. Profitiere ich also vom «Recht auf Wohnen»? 

Eine genaue Lohngrenze ist momentan nicht festgehalten. Das «Recht auf Wohnen» richtet sich aber an Menschen, die unter finanziellen Nöten leiden. Wer genau von den Änderungen profitieren können wird, ist noch nicht klar. FDP-Grossrat Andreas Zappalà, der Mitglied der BRK ist, sagt gegenüber Bajour, dass Basler*innen, die Ergänzungsleistungen oder Sozialhilfe beziehen, darunter fallen werden.  

Ich bin alleinerziehende Mutter und lebe von der Sozialhilfe. Ich würde gerne in eine grössere Wohnung ziehen, damit mein Kind sein eigenes Zimmer hat und kann mir das aber nicht leisten. Was kann ich in Zukunft tun, wenn dieses «Recht auf Wohnen» kommt? 

Dank dem «Recht auf Wohnen» sollen Menschen aus prekären Verhältnissen vereinfacht Zugang zum Wohnungsmarkt erhalten. Sozialhilfe- und Ergänzungsleistungsbezüger*innen könnten in Zukunft ein Darlehen verlangen, um sich eine Genossenschaftswohnung zu leisten. 

Warum muss ich dafür in eine Genossenschaftswohnung?

Genossenschaftswohnungen haben sozialen Charakter und die Mieten sind in der Regel bezahlbar. Genossenschaftswohnungen wollen nicht an ihren Mieter*innen verdienen, sie stecken die Renditen wiederum in den Wohnraum. Das heisst langfristig günstigere Mieten. Das Problem: Wer in einer Genossenschaft wohnen möchte, muss sich mittels Anteilsschein einkaufen, je nach Genossenschaft kosten die zwischen 5000 und 30’000 Franken. Das  können sich viele Menschen nicht leisten. Ein Darlehen, finanziert von einer öffentlich-rechtlichen Stiftung, soll Abhilfe schaffen. 

Ich rede nicht so gern darüber, dass ich die Miete nicht alleine stemmen kann. 

Aber du bist nicht alleine! Fast jeder fünfte Haushalt in Basel braucht Hilfe vom Staat, weil er sich die Wohnung nicht leisten kann. Aktuell bekommen 17‘000 Haushalte im Kanton Basel-Stadt Mietzinszuschüsse im Rahmen der Sozialhilfe (ca. 5‘300 Haushalte), Ergänzungsleistungen (rund 10‘000 Haushalte) oder der Familienmietzinsbeiträge (rund 2‘200 Haushalte). Sie machen also ungefähr 17 Prozent aller Haushalte im Kanton aus oder 20 Prozent aller Mietshaushalte bei insgesamt 83‘000 Miet- und Genossenschaftswohnungen. 

Wir besetzen Basel.

Uff, das klingt nach einer Menge Bürokratie. Wie erhalte ich so ein Darlehen für eine Genossenschaftswohnung?

Der Prozess soll möglichst niederschwellig und schnell sein, hält die Bau- und Raumplanungskommission fest. Konkret ausgearbeitet ist er aber noch nicht. 

Muss ich dieses Darlehen für den Anteilschein der Genossenschaft zurückzahlen?

Nein, für dich fallen keine Kosten an. Wenn du ausziehst, gibt die Genossenschaft der Stiftung das Darlehen zurück. 

Ich bin Soziahilfebezüger*in. Wenn ich mich für so ein Darlehen bewerben wollte, hätte das Einfluss auf meine bisherigen Ansprüche? 

Nein. Das Darlehen der Stiftung ist als Ergänzung gedacht. 

Diese Stiftung, gibt es die schon? 

Noch nicht. Der Grosse Rat hat den Bericht der Bau- und Raumplanungskommission angenommen. SP-Grossrat René Brigger sagte in der Sitzung vom 13.1., dass seine Partei davon ausgeht, dass die Stiftung dann Mitte 2021 loslegen wird.

Wie wird diese Stiftung finanziert? 

Gestaffelt soll die Stiftung insgesamt 35 Millionen Franken vom Kanton erhalten.

(Foto: Ergebnisbericht Leerstandserhebung 2020)

Was macht die Stiftung mit diesem Geld? Abgesehen von der Vergabe der Darlehen? 

Die Wohnbaustiftung wird ausserdem den Auftrag haben, mehr preisgünstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, in dem sie Wohnhäuser erwirbt oder selbst baut. Sie soll ein Portfolio von bis zu 250 Wohnungen aufbauen, die vor allem an Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen vermietet werden können.

Das heisst, es gibt es bald mehr günstige Wohnungen? 

Theoretisch ja. Trotzdem heisst es erstmal abwarten, bis die Vorlage umgesetzt wird. Das Angebot von preisgünstigem kommunalem Wohnraum des Kantons soll von heute 500 auf 1'500 Wohnungen verdreifacht werden, so der Plan des Regierungsrats. Um das zu realisieren würde die Bauweise angepasst und das Prinzip der Kostenmiete angewandt. 

Kostenmiete – was heisst das?

Die Miete ist genau so hoch, dass sie den Aufwand der Baufirma deckt. Ausserdem werden mit der Kostenmiete die Schuldzinsen und die Verwaltungskosten bezahlt, der Unterhalt und Werterhalt der Immobilien und die Rückstellungen für allfällige Erneuerungen sichergestellt. Das hat mittel- bis langfristig finanzielle Auswirkungen: Nämlich vergleichsweise günstigere Mieten. Zum Vergleich: Investor*innen, die hohe Renditen erwirtschaften wollen, erhöhen die Mieten, wenn die Wohnungen knapp sind. Das geht auf Kosten der Mieter*innen. Genossenschaften tun das nicht.

Wohnungen von Immobilien Basel-Stadt sind nicht immer günstig: 2'660 Franken Miete – nicht wenig für eine Familie mit geringem Einkommen.

Wohnungen von Immobilien Basel-Stadt sind nicht immer günstig: 2'660 Franken Miete – nicht wenig für eine Familie mit geringem Einkommen.

Wann tritt das «Recht auf Wohnen» in Kraft?

Das ist noch unklar. 

Bei den Wohninseraten sehe ich manchmal Wohnungen vom Kanton, und zwar von dieser so genannten «Immobilien Basel-Stadt». Die sind aber häufig nicht so günstig. Warum braucht es eigentlich eine neue Stiftung? Warum senken Immobilien Basel-Stadt (IBS) nicht einfach die Mieten?

IBS hat eine andere Kernaufgabe: Sie verwaltet die Liegenschaften der Einwohnergemeinde Basel sowie der Pensionskasse Basel-Stadt, zum Teil nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen, weil deren Vermögen (wozu die Liegenschaften zählen) ertragsgemäss zu bewirtschaften sind, sagt FDP-Grossrat Andreas Zappalà. Das heisst nicht, dass IBS nicht auch Liegenschaften aus ihrem Bestand zu preisgünstigen Konditionen vermieten soll. Das tut sie auch, wenn man an die diversen Sozialwohnungen denkt. Und sie wird das auch noch vermehrt tun. Zudem ist man der Meinung, dass private Liegenschaftseigentümer*innen eher bereit sind, einer gemeinnützigen Stiftung ihre Liegenschaften kostengünstig zu verkaufen oder gar zu vererben. Und schliesslich wird sich eine solche Stiftung freier auf dem Markt bewegen dürfen, als eine staatliche Organisation, so Zappalà weiter. 

Was passiert, wenn mein*e Vermieter*in mich aus meiner Wohnung schmeisst, weil er*sie sanieren will? Was nützt mir da das «Recht auf Wohnen»?

Das «Recht auf Wohnen» hilft da nicht, weil es einen anderen Sinn und Zweck hat. Theoretisch würde in diesem Fall das Wohnraumfördergesetz greifen, das am 29. November 2020 angenommen wurde. 

Wie war das nochmal? Was ändert sich schon wieder mit dem Wohnraumfördergesetz?

Das Wohnraumfördergesetz, kurz WRFG, schreibt vor, dass bezahlbarer Wohnraum in Basel erhalten wird. Sinkt der Leerwohnungsbestand unter 1,5 Prozent (aktuell liegt er bei 1 Prozent), muss  der Kanton dafür sorgen, dass insbesondere ältere, langjährige Mieter*innen vor Mieterhöhungen wegen Sanierungen geschützt werden. Die Linke kritisiert häufig, Immobilienbesitzer*innen würden Wohnungen luxussanieren, um die Mieten zu erhöhen und mehr zu verdienen. Das soll das Gesetz verhindern. Basta-Grossrat Beat Leuthardt sagt gegenüber Bajour, dass das jetzige WRFG faire Vermieter*innen bestrafe, weil sie unter die 50-%-Medianlimite fallen und damit bewilligungspflichtig seien, während die «klotzenden Grossinvestoren wie die Credit Suisse» wegen ihrer eh schon höheren Mietdurchschnitte bewilligungsfrei blieben. Das soll sich mit dem «echten Wohnschutz» ändern. Aber zu diesem Punkt später mehr. 

Und? Macht der Kanton das? Erhält er bezahlbaren Wohnraum? 

Das wird sich zeigen. Bajour hat letzten November mehrere Sanierungen aus unserem Massenkündigungsticker den beiden Grossräten Andreas Zappalà vom Hauseigentümerverband (Befürworter) und Beat Leuthardt vom Mieterinnen- und Mieterverband (Gegner) vorgelegt und sie gefragt: Hätte das Wohnraumfördergesetz die Mieter*innen vor einer Kündigung bewahrt? Es herrschte Uneinigkeit. 

Ab wann gilt das Wohnraumfördergesetz?

Das angepasste Gesetz ist noch nicht in Kraft. Aber die Linke ist mit der geplanten Umsetzung nicht zufrieden. Darum hatte sie letzten Frühling das Referendum gegen den Regierungsvorschlag ergriffen. Sie sprachen von einem «Bschiss-Gesetz». 

Ich komme immer noch nicht draus: Was ist jetzt der Unterschied zwischen dem Wohnraumfördergesetz und dem «Recht auf Wohnen»?

Beide Vorlagen gehören zum gleichen Mieter*inneninitiativen-Paket, über das die Basler*innen im Juni 2018 entschieden haben. Aber das Wohnraumfördergesetz richtet sich an einen breiteren Teil der Bevölkerung, also nicht nur an Geringverdienende und sozial und ökonomisch schwach gestellte Personen. Das «Recht auf Wohnen» ist dagegen für Menschen mit kleinem Portemonnaie. 

«Die Mieter*innen werden durch das WRFG zu wenig geschützt.»

Beat Leuthardt, Co-Geschäftsleiter des Basler Mieter*innenverbands

Wir haben doch über vier Initiativen abgestimmt. Was ist mit den anderen beiden? 

Die zwei Gesetzesinitiativen sind am 5. Juli 2018 in Kraft getreten: «Mieterschutz am Gericht» und «Mieterschutz beim Einzug». 

Was bringt mir der «Mieterschutz beim Einzug»?

Neu gibt es für Vermieter*innen eine Formularpflicht. Sie müssen angeben, welche Differenz zwischen dem Anfangsmietzins und der heutigen Miete besteht. Diese Transparenz soll verhindern, dass Vermieter*innen plötzlich deutlich mehr Geld von ihren neuen Mieter*innen verlangen. Wenn du also eine neue Wohnung mieten willst, muss die*der Vermieter*in dir sagen, wie viel die vorherigen Mieter*innen bezahlt haben. Wenn du viel mehr zahlen musst, kannst du protestieren. Ob das nützt, ist eine andere Geschichte.

Und der «Mieterschutz am Gericht»?

Wer wegen einer unfairen Kündigung oder teuren Sanierung gegen seine*n Vermieter*in oder Wohnhausbesitzer*in rechtlich vorgehen wollte, musste für gewöhnlich tief in die Tasche greifen. Neben den Gerichtskosten musste der*die Anwält*in und bei einer Niederlage auch der*die Gegenanwalt*in bezahlt werden. Das neue Gesetz hat die Gerichtskosten auf maximal 500 Franken limitiert. Der*die Gegenanwält*in muss nicht mehr bezahlt werden, nur noch der*die eigene*r Anwält*in. 

War's das erstmal mit der Wohnpolitik oder kommt da noch was?

Da kommt noch was. Der Mieter*innenverband  hat im letzten Jahr zusammen mit der Basler Seniorenkonferenz und der SP die Initiative «Ja zum echten Wohnschutz» lanciert. Als Reaktion auf das oben besprochene Wohnraumfördergesetz. Die Mieter*innen würden auch durch das WRFG zu wenig geschützt, findet Basta-Grossrat Beat Leuthardt, der auch Vertreter des Mieter*innenverbands ist. Darum brauche es nun diese Initiative. Das WRFG würde ausserdem nicht regeln, ob Investor*innen und Vermieter*innen ökologisch sanieren müssen. Der «echte Wohnschutz» würde das ändern. Den Bürgerlichen geht die Vorlage zu weit. Sie halten das aktuelle Wohnraumfördergesetz für ausreichend und dem Willen der Bevölkerung entsprechend. Die Initiative befindet sich momentan zur Berichterstattung bei der Regierung. Geht es nach Beat Leuthardt, stimmen wir Ende Jahr darüber ab.

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