Ich bin alt, aber nicht doof
Unsere Kolumnistin Anni Lanz macht die Altersdiskriminierung zu schaffen. Doch die Erniedrigungen, die den Geflüchteten und Zugewanderten zugemutet werden, möchte sie deshalb nicht relativieren, wie sie schreibt.
Fast jeder Mensch ist irgendwann in seinem Leben Diskriminierungsopfer. Er oder sie wird gesellschaftlich herabgesetzt wegen irgendeiner angeborenen Eigenschaft. Aber es gibt grundsätzlichere Diskriminierungsformen als andere, und die erfahrene Intensität von rassistischer Erniedrigung nach Herkunft ist nicht zu vergleichen mit derjenigen, die ich zurzeit am eigenen Leib erfahre und über die ich nun schreiben werde: Die Altersdiskriminierung oder die Diskriminierung von alten Frauen.
Natürlich kenne ich die Frauendiskriminierung. Ich bin mit ihr in den 1950er- und 1960er-Jahren aufgewachsen und habe sie teilweise verinnerlicht. Ich kämpfte in den 1970er-Jahren mit viel Power gegen sie an. Sie gehört zu den grundsätzlicheren Diskriminierungen.
«Alte Frauen muss man vor ihrer eigenen Dummheit schützen. So die implizite Botschaft.»Anni Lanz
Die Altersdiskriminierung wiederum ist kulturspezifisch und ähnelt derjenigen von behinderten Menschen allgemein. Diese Diskriminierungsform ist oft gutmeinend-entmündigend. Unsere Persönlichkeit wird überschattet von der Annahme einer geistigen Unbedarftheit. Es ist ja gut gemeint, wenn mich ein Alki auf der Strasse als «Mutti» anspricht, weniger, wenn Bettelnde sich auf mich als alte Frau mit gutem Herzen stürzen und mir, wenn ich nichts gebe, «alti Zwätschge» nachrufen.
Es ist mir auch bewusst, dass ich eine gewisse Bekanntheit und Beliebtheit als verurteilte Fluchthelferin nur deshalb bekam, weil ich eine alte Frau bin. Und manche der ewigen Nörgler in den Medienkommentaren liessen sich entsprechend über mein Aussehen als alte Frau aus. Es ist mir klar, dass ich dennoch zum privilegierten Teil der Menschheit gehöre, auch wenn in unserer Kultur monetär-ertraglose Menschen als nutzlos angesehen werden. Aber vielleicht lohnt es sich, ein paar Gedanken zur Alterdiskriminierung zu verlieren: Wie gehe ich damit um, was erwarte ich von Jüngeren?
Anni Lanz ist selbsternannte Menschenrechtsaktivistin im Solinetz Basel. Seit fast 40 Jahren setzt sie sich für Geflüchtete und ihre Rechte ein. In ihrer Kolumne versucht sie ihnen eine öffentliche Stimme zu geben.
«Danke, dass Sie uns kontaktiert haben. ...Ihre Nachricht ist uns wichtig und wir versuchen uns so schnell wie möglich bei Ihnen zu melden», säuselte die Geldüberweisungsfirma RIA auf ihrer Kundensuche in der automatischen Antwort. Wie schon bei Westernunion hat auch diese Firma meine Überweisung blockiert. Vom Solinetz aus überweisen wir häufig kleinere Geldbeträge an Angehörige von Ausschaffungshäftlingen. «Es ist wegen dem Alter», begründete treuherzig der Angestellte von RIA meinen Ausschluss. Und eine anwesende Monygram-Angestellte doppelt nach: «Wir tun das nur zu Ihrem Schutz.»
Ältere Damen, sagte sie, gingen häufig jungen ausländischen Betrügern oder angeblichen Liebhabern auf den Leim. Meine Begründungen, weshalb ich die Überweisungen vornehme, interessierten niemanden, auch nicht die Zentralstelle, bei der ich mich zu beschweren versuchte. Alte Frauen muss man vor ihrer eigenen Dummheit schützen. So die implizite Botschaft.
«Körperlich gebrechlicher zu sein, heisst nicht automatisch schwerhörig oder begriffsstutzig zu sein.»Anni Lanz
Pauschalisierenden Vorstellungen von alten Menschen begegnen mir laufend. Auch in den Bildern, mit denen Altersvorsorge angepriesen wird: Diese stereotypen Abbildungen von älteren Paaren, die müssig auf einer Bank sitzend das Panorama bewundern. In den Stimmlagen, in der ältere Personen angesprochen werden, als seien sie nicht ganz bei Trost.
Klar, alte Personen leiden viel häufiger unter körperlichen Gebrechen, und wenn ich mit meinen Stöcken einen Wagen des ÖV besteige, nehme ich dankend den mir angebotenen Sitzplatz an. Aber körperlich gebrechlicher zu sein, heisst nicht automatisch schwerhörig oder begriffsstutzig zu sein.
Vielleicht gibt es auch alte Menschen, die sich mit Jammern, Klagen oder Kindlichkeit eine gewisse Zuwendung ergattern und eine angebliche Wehrlosigkeit des alternden Menschen zur Schau stellen und ausnutzen. Selbstkritische Reflexion steht auch alternden Menschen gut an. Aber Pauschalisierungen sind stets entwürdigend.
«Gerade wir Alten können protestieren und uns weigern, die von uns erwartete Xenophobie mitzutragen.»Anni Lanz
Solche altersbedingten Gedanken beschäftigen mich zuweilen, was aber nicht heisst, dass ich deswegen die Erniedrigungen, die den Geflüchteten und Zugewanderten zugemutet werden, relativiere. Auch bin ich als alte Frau überhaupt nicht wehrlos. Im Gegenteil: Gerade wir Alten können protestieren und uns weigern, die von uns erwartete Xenophobie mitzutragen.
Wir haben den Raum, Gastfreundschaft, neugierige Offenheit und eine menschennahe Widerständigkeit zu leben und die pauschalisierenden Rollenbilder der alternden Frau zu sprengen. Dies macht zuweilen viel Spass. Auch kommt mit den Geflüchteten und Zugewanderten aus anderen Kulturen oft eine Wertschätzung des Alters zu uns, die ich geniesse.
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