So schmeckt der Herbst
Zu den gelben und fallenden Blättern der Robinien legt sich in Basel der Duft von heissen Marroni. «Herbst is coming!» Doch wer sind die Menschen, die bei jedem Wetter gekonnt Marroni bis zum kulinarischen Höhepunkt rösten?
Herbst bedeutet für viele Basler*innen, dass der Spaziergang oder die Shoppingtour durch die Innenstadt vom köstlichen Duft heisser Marroni begleitet wird. «Trüffel des armen Mannes», wie der Schriftsteller Joseph Roth die Nussfrüchte aus Südeuropa bezeichnete.
Für viele sind «heissi Marroni» ein überraschend gesunder Gelegenheitssnack, für wenige ist es ist es das täglich Brot. Wir geben ihnen eine Stimme und merken bald: Die Marroni-Verkäufer lieben ihren Job, wissen aber nicht, wer in Zukunft den Basler Herbst mit Marroni-Duft einläuten wird.
Renato Brambin
«Seit knapp 100 Jahren verkauft meine Familie auf dem Barfüsserplatz heissi Marroni», sagt Renato Brombin zwischen Kohlerauch und Säcken voller Kastanien.«Bereits meine Urgrossmutter war im 1927 gegründeten Familienbetrieb tätig. Ich bin jetzt die dritte Generation.»
Renato Brambin steht selbst schon seit über 30 Jahren jeden Herbst, Winter und Frühling auf dem Barfüsserplatz. Im Sommer arbeitete er 41 Jahre lang als Sanitätsinstallateur. «Mit 58 Jahren ging ich in Pension, also nur im Sommer natürlich. Ab Mitte September stehe ich teilweise bis zu 16 Stunden hier.»
Lange mag Renato Brambin nicht mehr, in zwei Jahren soll Schluss sein. Wer dann weitermacht, ist unklar, seine beiden Kinder jedoch definitiv nicht. «Ich bin auf der Suche nach einem Nachfolger. Aber man muss für diese Arbeit gemacht sein. Das kann nicht jeder.» Nachdenklich und über die beiden von seinem Vater erbauten Röstkessel, blickend fügt er an: «Jeden Tag alles auf- und wieder abbauen ist keine leichte Arbeit, aber der Kontakt und die vielen Gespräche mit meinen Kunden geben mir Kraft. Kraft und sehr viel Spass.»
Musli Kuci
Musli Kuci ist seit knapp 30 Jahren im Geschäft der heissen Marroni. 25 Jahre röstete er in den Herbst- und Wintermonaten vor dem Basler Zolli die Marroni. Vor vier Jahren machte er sich selbständig und baute seinen Stand am Rande des Claraplatzes auf. «Ich bin sehr glücklich hier, die Arbeit fällt mir leicht», sagt der studierte Geschichtslehrer aus dem Kosovo. «Vor allem meine Kunden bringen mein Herz zum Lachen.»
Von Anfang Oktober bis Ende März, steht Musli jeden Tag und bei jedem Wetter vor seinen beiden gasbetriebenen Röstkesseln. «Ich bleibe hier, bis ich nicht mehr kann», verspricht sich der heute 63-Jährige selbst. Ob seine beiden Kinder eines Tages den Familienbetrieb übernehmen, darüber macht er sich noch keine Gedanken. In den heissen Sommermonaten verkauft Musli Kuci Glace, wie viele seiner Kollegen.
Salvo Guarrera
«Ich fing mit neun Jahren an, auf dem Bau zu arbeiten», erzählt Salvo Guarrera mit einem verschmitzten Lächeln.«Nicht hier, in Sizilien.» Mit 17 Jahren kam er in die Schweiz und begann, nach ein paar Umwegen, vor 34 Jahren mit dem Marroni-Rösten. «Den Job bekam ich durch meinen Onkel. Von ihm habe ich auch den Umgang mit den Kunden gelernt.»
Aktuell steht sein Marronistand auf dem Marktplatz an der Ecke zur Freien Strasse. «Ich fühle mich hier nicht ganz zuhause, aber wegen der Baustelle in der Freien Strasse muss ich vorübergehend hier verkaufen.» Wie lange er noch weitermachen will, weiss Salvo Guarrera nicht, doch seine Kinder verfolgen andere Berufsziele: «Mein Sohn wird bald Direktor einer grossen Bankfiliale», sagt der zweifache Familienvater stolz.«Ich mag noch eine Zeit weiterarbeiten, vor allem die Kunden geben mir immer wieder Kraft aufs Neue.»
Pietro Puglisi
«Ich verkaufe seit 37 Jahren als selbständig Erwerbender heissi Marroni», sagt der 62-jährige Italiener Zigarette rauchend vor seinem Marronistand am Brunnen in der Freien Strasse. Pietro Puglisi übernahm den Stand von seinem Vater, der ebenfalls mehr als 40 Jahre vor dem Postgebäude in der Rüdengasse heissi Marroni verkaufte. Wegen dem Umbau in der Freien Strasse musste er den Familienbetrieb am anderen Ende der Flaniermeile aufbauen.
«Vieles hat sich in den letzten Jahren verändert«, sagt er. «Durch die höheren Preise kaufen die Leute weniger.» Doch auch wenn nicht mehr vieles ist, wie es einmal war, röstet Pietro Puglisi bis heute nach dem Rezept seines Vaters und auch immer noch mit «bester Holzkohle».
Im Sommer verkauft Pietro Glace am Rhein. «Ferien habe ich also nur bei schlechtem Wetter», sagt er lachend. «In zwei Jahren gehe ich in Pension, doch aufhören will ich noch nicht. Ich mag den Kontakt mit meinen Kunden und was soll ich schon mit der ganzen freien Zeit machen?» Doch auch Pietro Puglisi weiss, dass er nicht ewig weitermachen kann. Wer dann übernimmt, steht noch in den Sternen. Die beiden Kinder seien auf den Geschmack von klimatisierten Büros und bezahlten Überstunden gekommen, «sie werden mit Sicherheit meinen Marronistand nicht übernehmen».
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