Kaspar Sutter: «Das Haus war leer»
Ab Mitte Juni ziehen Geflüchtete in einen Block an der Inselstrasse, der letztes Jahr leergekündigt wurde. Die Anwohner*innen fühlen sich vom Kanton im Stich gelassen.
Im Klybeck entsteht gerade ein temporäres Wohnhaus für Geflüchtete. 150 Plätze für Familien und Einzelpersonen stellt der Kanton Basel-Stadt bis Ende 2026 an der Inselstrasse 62-66 zur Verfügung, ab Mitte Juni ziehen die Geflüchteten etappenweise dort ein.
Dass dies bei den Anwohner*innen Unmut auslösen könnte und sie deshalb im Vorfeld ins Boot geholt werden müssen, machen sowohl das Einladungsschreiben des Kantons zu einem Infoanlass am Mittwoch als auch die eröffnenden Worte von Regierungsrat Kaspar Sutter deutlich. Vor vollbesetzter Aula im Inselschulhaus sagt Sutter zu Beginn seiner Rede: «Sie haben vielleicht Fragen. Vielleicht auch Ängste oder Wut.» Und damit trifft er ins Schwarze.
«Es wurde nicht einer Person darin gekündigt wegen dem Bedarf nach Asylliegenschaften.»Kaspar Sutter, Regierungsrat (SP)
Denn die Liegenschaft an der Inselstrasse hat eine Vorgeschichte: Letztes Jahr wurde allen Mieter*innen gekündigt – und dies nach Inkrafttreten des neuen Wohnschutzgesetzes. Der Immobilienbesitzer Thomas Götz der Firma Varioserv begründete die Massenkündigung damals gegenüber der bz mit einer Komplettsanierung. Die Mieter*innen könnten wegen Asbest-Vorkommen nicht dort bleiben. Der Mieterverband hielt die Argumentation und das Vorgehen von Götz nicht für rechtens und ging auf die Barrikaden.
Und ausgerechnet diese leergekündigte Liegenschaft wird der Kanton nun für die Unterbringung von Geflüchteten zwischennutzen. Im ersten Teil seiner Ausführungen versucht Kaspar Sutter denn auch, bereits viele der potenziellen Ängste und Ärgernisse vorweg zu nehmen, indem er die Situation von Geflüchteten in der Schweiz und die Rahmenbedingungen schildert.
Der Bund rechnet dieses Jahr mit 33’000 Asylgesuchen und 25’000 Schutzgesuchen aus der Ukraine. Für die Unterbringung von Asylsuchenden ist zuerst der Bund in Bundesasylzentren zuständig. Wenn dort die Plätze nicht ausreichen, stellen die Kantone weitere Unterkünfte zur Verfügung, wie zum Beispiel die unterirdische Zivilschutzanlage Bonergasse in Kleinhüningen. Dort waren zwischen Oktober 2022 und Dezember 2023 Personen ohne gültigen Asylentscheid untergebracht. Im neuen temporären Wohnhaus für Geflüchtete werden im Gegensatz dazu Personen einziehen, die in der Schweiz vorläufig aufgenommen sind. Insgesamt betreut die Sozialhilfe Basel-Stadt 3’200 vorläufig Aufgenommene.
Sowohl Sutter als auch die nach ihm Sprechenden der Sozialhilfe betonen, dass «Menschen wie Sie und ich» an die Inselstrasse ziehen würden. Die kommenden Bewohner*innen hätten eine Perspektive, sie erhielten Asylsozialhilfe, lernten die Sprache, suchten einen Job. Ihre Kinder würden bereits die Schule besuchen.
Dann schlägt Sutter den Bogen zum Thema Wohnraum. «Derzeit sind die Zahlen sehr hoch. Das heisst, wir brauchen sehr viel Wohnraum für diese Menschen.» Er führt aus, dass Immobilien Basel-Stadt im Asylbereich oft auf temporäre Strukturen und Zwischennutzungen zurückgreife – und auf dieser Suche habe die Stadt das Haus an der Inselstrasse gefunden. Eine Frau in der hintersten Reihe schüttelt den Kopf, man hört leises Gemurmel.
Sutter verteidigt sogleich: «Das war weit nach den Kündigungen. Das Haus war leer. Es ist mir sehr wichtig, das hier zu betonen. Es wurde nicht einer Person darin gekündigt wegen dem Bedarf nach Asylliegenschaften.» Er wisse um den Unmut bezüglich der Kündigungen. Ob diese rechtens gewesen seien, müssten Gerichte entscheiden. Er wiederholt: «Das Haus, das war leer.» Aus dem hintersten Teil des Raumes antwortet eine Stimme mehrfach und lauter werdend: «Das ist ein Witz.»
Noch deutlicher wird der Unmut der Anwesenden spürbar, als Sutter kurz darauf eine Karte einblendet mit der Verteilung der Asylunterkünfte in Basel-Stadt. «Sie sehen, es gibt in Kleinhüningen einige Standorte, aber es gibt auch in anderen Quartieren eine wesentliche Anzahl von Standorten.»
«Ich habe meine Kinder in diesem Haus geboren und sie haben uns weggeschickt.»ehemalige Bewohnerin der Inselstrasse
Als die Zeit für Fragen der Anwesenden kommt, schnellen Hände in die Höhe. In der darauffolgenden Stunde erzählen langjährige Anwohner*innen von den Schwierigkeiten der Wohnungssuche nach der Kündigung durch Varioserv. Ein Votum ist besonders emotional: 44 Jahre habe sie an der Inselstrasse gewohnt, erzählt eine Frau, in ihrer Stimme ist Verzweiflung zu hören. Sie sei Italienerin und habe nichts gegen die Geflüchteten, «es ist recht, dass wir den Leuten helfen», sagt sie. «Aber wer hat uns geholfen? Ich habe meine Kinder in diesem Haus geboren und sie haben uns weggeschickt.» Sie sei zum Umzug gezwungen worden, zahle jetzt 800 Franken mehr Miete. «Ist das gerecht?», fragt sie mehrmals und richtet sich an Kaspar Sutter. Applaus aus dem Raum.
Viele betonen: Dass Geflüchtete in ihr «Multikulti-Quartier» ziehen, sei nicht das Problem. Das Problem sind die Umstände. Die ehemaligen Inselstrasse-Anwohner*innen verstehen nicht, weshalb sie ausziehen mussten, jetzt aber noch 2,5 Jahre lang nicht saniert wird und dafür Geflüchtete einziehen. «Der Kanton hätte das Haus kaufen sollen», sagt jemand im lauter werdenden Stimmengewirr. Und jemand anderes fragt, ob es für die Geflüchteten in den Wohnungen nicht gefährlich sei aufgrund des Asbests.
«Es muss einfach mitbedacht werden, in welchem Quartier solche grossen Dinge gemacht werden.»Christoph Wüthrich, Co-Leitung KLŸCK Quartierarbeit
Es regen sich auch vermittelnde Stimmen, zum Beispiel von Christoph Wüthrich von der Quartierarbeit. Sie hätten mit «zig Personen» versucht, neue Wohnungen zu suchen. «Es ist nicht einfach für die Leute, in diesen Lebensverhältnissen etwas zu finden. Und ich möchte, dass der Kanton das endlich mal realisiert.»
Wüthrich kritisiert auch, dass sich der Kanton mit einer Immobilienfirma wie Varioserv einlasse. Und er schliesst: «Die Quartierbevölkerung macht eine grosse Leistung mit sehr wenig Ressourcen für Personen mit praktisch keinen Ressourcen. Ich möchte darauf hinweisen, dass hier im Klybeck/Kleinhüningen diese Ressourcenfrage verdammt wichtig ist. 150 Personen mussten raus. Es gab keine Hilfe von niemandem.» Der Mieterverband habe nicht viel ausrichten können. «Es muss einfach mitbedacht werden, in welchem Quartier solche grossen Dinge gemacht werden.»
Anschliessend erhebt sich SP-Politiker Nino Russano als Vertreter des Stadtteilsekretariats Kleinbasel und macht darauf aufmerksam, dass eigentlich Vertreter*innen von Varioserv anwesend sein müssten, weil sich ganz viele der Voten an sie richten würden – und nicht an die Sozialhilfe und das Wohnhaus für Geflüchtete. «Spielen wir nicht die Bevölkerung hier, die wenig Mittel zur Verfügung hat, gegen Menschen aus, die noch weniger haben.»
Das findet auch eine Frau im Publikum problematisch und fragt: «Gibt’s auch etwas Positives?» Der Fokus liege nur darauf, was schief gehen könnte. «Aber haben Sie auch etwas Kreatives? Ein Willkommensfest?» Bisher sei das nicht geplant, sagt Renata Gäumann von der Sozialhilfe, aber der Vorschlag kommt gut an.
Und auch der Wohnschutz ist Thema an diesem Abend. Basta-Grossrätin Heidi Mück wirft Thomas Götz von Varioserv vor, er nutze die Notlage des Kantons aus und warte wegen geplanter Renditesanierungen nun darauf, bis der Wohnschutz gelockert werde. SP-Grossrat Ivo Balmer doppelt nach: Jetzt habe man den Beweis, dass die Mieter*innen noch 2,5 Jahre ohne Sanierung in den Wohnungen hätten leben können. Bürgerliche im Raum widersprechen: Der Wohnschutz sei das Problem, denn ohne diesen hätte der Vermieter längst sanieren können.
Nach eineinhalb Stunden haben sich sowohl die Gemüter und der Raum soweit erhitzt, dass alle erleichtert sind, als die Veranstaltung zu Ende geht. Kaspar Sutter rauft sich die Haare und zieht ein Fazit für Bajour: Drei Punkte nehme er von der heutigen Veranstaltung mit. «Erstens haben wir gesehen, dass die Asylsuchenden, die neu ins Quartier ziehen, nicht das Hauptthema der Anwesenden sind.» Er ist zuversichtlich, dass die Veranstaltung und die vorgesehenen Massnahmen in der Liegenschaft diesbezüglich eine «gewisse Sicherheit» schaffen konnten. Zweitens: «Die Frage, wie wir es als Stadt schaffen, weiterhin bezahlbaren Wohnraum zu haben, drückt bei vielen Menschen.» Er verstehe die Frustration der Anwesenden aufgrund der früher erfolgten Leerkündigung.
Sutter hält aber weiterhin daran fest, dass die Entscheidung zur Zwischennutzung in der besagten Liegenschaft an der Inselstrasse richtig war: «Wir haben nicht die Chance auszuwählen, welche Liegenschaften mit welcher Vorgeschichte wir zwischennutzen. Wir brauchen Liegenschaften und so viele Angebote gibt es auf diesem Markt nicht», sagt er. «Bevor wir Menschen unterirdisch unterbringen, nutzen wir lieber so eine Liegenschaft für eine beschränkte Dauer.»
Drittens habe er «die verschiedenen Betroffenheiten» im Quartier gespürt. «Hier kommen einige Themen zusammen, die als belastend wahrgenommen werden und das Quartier stellt deshalb zu Recht Forderungen an die Stadt. Der Kanton muss schauen, dass hier genügend Ressourcen vorhanden sind, sei es im Schul-, Freizeit oder im Stadtentwicklungsbereich.»
«Die enorme Verzögerung und Unsicherheit ist weder Schuld noch Wunsch der Hauseigentümer.»Thomas Götz, Varioserv AG
Und was sagt Immobilienbesitzer Thomas Götz von Varioserv? Auf Anfrage von Bajour schreibt er, sie seien «sehr froh, dass wir dem Kanton auf seine Anfrage nach temporärem Wohnraum für Geflüchtete eine positive Antwort geben konnten, was die Zwischennutzung der Wohnungen angeht. Sowohl für den Kanton als Aufnahmeverpflichteter, als auch für die geflüchteten Menschen, als auch für uns als vorerst blockierte Anleger ist es eine Win-win-win-Situation, wenn man diese Zeit sinnvoll überbrücken kann.» Von einem Ausnützen einer Notlage könne «keine Rede» sein. «Wir hätten dem Kanton durchaus auch andere Wohnungen in Basel-Stadt vermieten können, wenn wir den Bedarf früher gekannt hätten, und können dies auch künftig machen, wenn weiterhin Bedarf besteht.»
Der Grund für die Sanierung sei weder eine «Luxussanierung» noch das Asbestvorkommen, sondern «die mehrheitlich demodierten Einrichtungen sowie der Zustand des Leitungssystems». Asbest werde erst freigelegt, wenn die Bauarbeiten beginnen. «Deshalb können die Wohnungen während der Totalsanierung nicht bewohnt werden, wohl aber bis zur Sanierung.» Den Vorwurf, Varioserv würde mit der Zwischennutzung Zeit schinden, bis der Wohnschutz gelockert würde, weist Götz von sich: «Die enorme Verzögerung und Unsicherheit ist weder Schuld noch Wunsch der Hauseigentümer.» Sanierungen seien eine «notwendige und extrem kostspielige Angelegenheit», die langfristig geplant und finanziert werden müsse.
Das Wohnhaus wird zwischen Juni und August in drei Etappen bezogen. Tagsüber werde eine Ansprechperson für Anliegen der Bewohner*innen und aus der Bevölkerung vor Ort sein, nachts ist ein Sicherheitsdienst anwesend. Im Herbst 2026 «muss die Liegenschaft stufenweise wieder abgegeben werden», schreibt der Kanton. Dann werden die Geflüchteten wieder ausziehen müssen. Ob sie dann das Quartier wieder verlassen, hängt auch von bezahlbaren Wohnraum ab. Und dieser, das hat sich an der Veranstaltung erneut deutlich gezeigt, bleibt sowohl für den Kanton als auch für die Bevölkerung eine grosse Herausforderung.