Karriere und Baby – ein Ammenmärchen?

Sind Kinder – besonders für Frauen – nach wie vor ein Karrierekiller? Die Debatte scheint den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Dabei wurde ein neuer Aspekt beleuchtet: Es braucht ein qualitativ hochwertigeres Betreuungsangebot.

Care-Arbeit Kita
Eine qualifizierte Betreuung, gerade auch der kleineren Kinder, muss garantiert werden. (Bild: Keystone)

Die Hoffnung stirbt zuletzt: Die Mehrheit unserer Leser*innen glaubt an eine Vereinbarkeit zwischen Kind und Karriere - für immerhin 53 Prozent ist dies kein Ammenmärchen. Dies zeigt die Auswertung unserer Frage des Tages von vergangenem Freitag. Allerdings müsse die Wirtschaft umdenken, so die Meinung von knapp 700 Stimmen.

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Frage des Tages vom 8. September

Wieder einmal diskutiert die Schweiz über Vereinbarkeit. Ausgelöst hat die Debatte der Fall von Julia Panknin, ehemalige Strategiechefin bei «20 Minuten». Sie schreibt, die Geburt ihrer Tochter sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie berichtet u. a. von Schlafstörungen und Panikattacken – bis nichts mehr ging.

Panknin ist damit nicht alleine. Erst im Frühling gab die Annabelle-Chefredaktorin ihren Posten aus den gleichen Gründen ab. Das Konzept «Kind und Karriere» habe nicht funktioniert, solche Berichte gibt es auch aus anderen Branchen und von Eltern ohne Kaderstellen.

Karriere und Baby: Ein Ammenmärchen?

Zur Diskussion

Was aber heisst das konkret? Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin Alliance F und Nationalrätin GLP Bern schreibt, die Rahmenbedingungen müssten besser werden: «Namentlich: erschwingliche Kinderbetreuungsinfrastrukturen, eine Elternzeit zu gleichen Teilen, verlässliche Tagesstrukturen». Sie ist der Meinung, dies würde unserer Wirtschaft, dem Fachkräftemangel und unserem Wohlergehen dienen, «weil wir ja schliesslich ein Interesse daran haben, dass Eltern erwerbstätig sein können.»

Bessere Rahmenbedingungen für die externe Kinderbetreuung spricht auch der Basler Grossrat Johannes Sieber (GLP) an und macht deutlich: «Wir sind als Gesellschaft in der Pflicht, gute Kinderbetreuung zu gewährleisten.» Pascal Ryf, Gemeinderat Oberwil, schreibt zudem: «Um den Fachkräftemangel zu reduzieren, die Gleichberechtigung zu fördern sowie die effektive Betreuungszeit mit den eigenen Kindern zu ermöglichen, braucht es ein Umdenken auf politischer und gesellschaftlicher Ebene.»

Wie könnte ein solches Umdenken aussehen? Martin Hafen, ehemaliger Dozent im Departement für Soziale Arbeit an der Hochschule Luzern sagt im Gespräch mit Bajour, er kenne den Schlüssel zur Entschärfung der aktuellen Situation: «Eine qualitativ gute, kostengünstige familienergänzende Kinderbetreuung mit angemessenen Arbeitsbedingungen muss gewährleistet sein.»

Martin Hafen
Martin Hafen ist überzeugt: «Ohne zusätzliche formal ausgebildete Mitarbeiter*innen kann unser aktuelles Betreuungssystem auf Zeit nicht überleben.» (Bild: zVg)

Hafen hat als Co-Autor Ende August die Studie mit dem Titel «Qualität in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung» publiziert. Darin wird aufgezeigt, dass die Politik noch viel mehr Geld in die Hand nehmen muss als bisher angedacht. Denn, so Hafen, «eine institutionalisierte frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in Form von Kindertagesstätten, Spielgruppen, Tageseltern und Hausbesuchsprogrammen ist eine unverzichtbare Notwendigkeit für die moderne Gesellschaft.

Umso mehr verwundert es, dass in der Schweiz im internationalen Vergleich und auch im Vergleich zum formalen Bildungssystem sehr wenig in die familienergänzende Kinderbetreuung investiert wird.

Altersarmut vermeiden

Das soll sich nun ändern. Der Nationalrat will die externe Kinderbetreuung mit 710 Millionen Franken unterstützen, nun muss der Ständerat darüber entscheiden. Der Bundesrat verkündete bereits, dass er einen Bundesbeitrag für tiefere Kinderbetreuungskosten der Eltern grundsätzlich ablehne. Hafner zeigt sich aus anderen Gründen skeptisch: «Diese Summe reicht bei Weitem nicht aus, sie ist nur eine Anschubfinanzierung.»

Er spricht von 2.2 Milliarden, die in die Hand genommen werden müssten, will man Kindern, Eltern und Fachkräften in der Kinderbetreuung langfristig gerecht werden. Denn gemäss Schätzungen der Hochschule Luzern arbeitet rund die Hälfte aller Angestellten ohne fachliche Ausbildung in Kitas, Spielgruppen oder Hausbesuchsprogrammen. Dies könnte gravierende Folgen haben. «Ohne zusätzliche formal ausgebildete Mitarbeiter*innen kann unser aktuelles Betreuungssystem auf Zeit nicht überleben», sagt Martin Hafen.

«Eine qualitativ gute, kostengünstige familienergänzende Kinderbetreuung mit angemessenen Arbeitsbedingungen muss gewährleistet sein.»
Martin Hafen, ehemaliger Dozent im Departement für Soziale Arbeit an der Hochschule Luzern

Die Burnout-Quote sei aufgrund der Arbeitsbedingungen hoch und aufgrund des oftmals geringen Gehalts der Teilzeitpensen werde die Altersarmut gerade von Frauen gefördert. Damit die Vorstellung von Karriere und Kind eben kein Ammenmärchen bleibt, müsse die Schweiz umdenken und Punkte wie Mutterschutz, Elternzeit für Mutter und Vater sowie eine qualifizierte Betreuung gerade auch der kleineren Kinder garantieren. «Die ersten Lebensjahre eines Kindes sind für die Entwicklung von sozialen Kompetenzen, Kreativität sowie motorischen und sprachlichen Fähigkeiten entscheidend.» Fehlt gut ausgebildetes Personal, wirkt sich dies langfristig nicht nur für die Kinder, sondern auch für Mitarbeiter*innen aus.

Es braucht ein Umdenken

Der Aspekt der qualitativ hochwertigen Betreuung hat bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen. In der politischen Debatte geht es aktuell vor allem um ein ausreichendes Angebot an bezahlbarer Kinderbetreuung. Dies zeigt auch die kantonale Volksinitiative betreffend «Kinderbetreuung für alle» der SP Basel-Stadt, die fordert, dass die Finanzierung der Betreuung mit staatlichen Mitteln erfolgen soll.

Die Basler Regierung hält mit einem Gegenvorschlag dagegen, der statt eines dreistelligen Millionenbetrags rund 28 Millionen Franken kosten soll. Die Bildungs- und Kulturkommission des Grossen Rats hat nun ebenfalls einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der beim Betreuungsschlüssel und den Löhnen der Initiative stärker entgegenkommt. Das Thema ist offensichtlich dringlich und in aller Munde.

«Es braucht ein Umdenken in der Wirtschaft und unbedingt mehr Teilzeitstellen auch für verantwortungsvolle Aufgaben.»
Annina, Bajour-Leserin

Auch Bajour-Leserin Annina beteiligt sich an der Debatte: «Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht einfach. Ich habe das Glück, dass ich einen tollen Arbeitgeber habe, viel Flexibilität geniesse. Es braucht aber ein Umdenken in der Wirtschaft und es braucht unbedingt mehr Teilzeitstellen auch für verantwortungsvolle Aufgaben.»

Und Leserin Sibylle wünscht sich «eine Option zu haben», um das geeignete Modell für ihre Familie zu wählen.» Dies ist offenbar auch im Sinne von Leser Robbi, der darauf aufmerksam macht, dass «die Unterstützung für Eltern deren Performance, Loyalität und ihren Beitrag zum guten Betriebsklima verbessert.» Was langfristig ein Vorteil nicht nur für die Familien, sondern auch für die Arbeitgeber*innen wäre.

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Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Senior-Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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