Gasausbau als Stolperstein für Netto-Null?
Der Klimastreik möchte das geplante Gas-Terminal in Muttenz mit einem grossen Protest verhindern. Wir haben nachgefragt, wie die Baselbieter Parteien, insbesondere die Grünen, zu dem Projekt stehen.
Als «Meilenstein in der Energieversorgung der Schweiz» bezeichnete die Sonntagszeitung vergangenen Dezember den geplanten Flüssiggas-Terminal, welcher im Baselbiet, in Muttenz, zu stehen kommen soll. Dagegen regt sich nun Widerstand: Der Klimastreik möchte das Projekt verhindern, wie Bajour am Mittwoch publik machte. Denn, so Aktivistin Helma Pöppel: Der Ausbau von fossilen Energien befeuere die Klimakatastrophe.
Pöppel spricht nicht von einer kleinen Demo: «Dieser Widerstand hat grosses Potenzial: Das könnte das Lützerath von Basel werden.» Das übergeordnete Ziel des Klimastreiks ist die 1.5-Grad-Grenze, sprich: Der vom Menschen gemachte Temperaturanstieg müsse darauf begrenzt werden. Dabei fühlt sich Pöppel von den Parteien im Stich gelassen: Bisher habe sich keine einzige Partei dafür gezeigt. Darunter fallen etwa auch die Grünen Schweiz*, die sich Netto-Null per 2040 zum Ziel gesetzt haben, obwohl eine Studie der ZHAW zeigt, dass die Schweiz bis 2035 klimaneutral sein muss, um das Pariser Klimaabkommen einhalten zu können.
«Ein Gasausbau schafft nur neue Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern.»Florence Brenzikofer, grüne Nationalrätin, Baselland
Der Baselbieter Präsident der Grünen, Michael Durrer, verteidigt seine Partei: «Wenn man in die Regierungsverantwortung eingebunden ist (Anmerkung der Redaktion: Wie es die Grünen mit Isaac Reber als Vorsteher der Umweltschutzdirektion sind), orientiert man sich am Machbaren.» Die Grünen Baselland haben selbst allerdings nie offiziell eine Jahreszahl für das Netto-Null-Ziel genannt. Durrer sagt: «Wir bekennen uns zu den Pariser Klimazielen und wollten diese mit unserer letztjährigen Klimaschutz-Initiative auch verpflichtend ins Baselbieter Gesetz schreiben. Diese Ziele orientieren sich aber ausschliesslich am 1,5-Grad-Ziel und beinhalten keine Jahreszahl.» Derweil hat sich die Baselbieter SP das Ziel 2030 auf die Fahne geschrieben; auch sie sind mit Kathrin Schweizer als Sicherheitsdirektorin in der Exekutive vertreten. Durrer ist der Meinung, Baselland als urbürgerlicher Kanton mit bürgerlichen Mehrheiten brauche einen Kompromissweg.
«Weg von den Fossilen»
Zum Terminal in Muttenz, das nicht zu den vom Bund als Reserve zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit geplanten drei Gas-Anlagen gehört, haben die Baselbieter Grünen zwar noch keine offizielle Position gefasst, Durrer äussert gegenüber Bajour indes seine persönliche Meinung: «Wir wollen weg von den fossilen Energien und zwar so schnell wie möglich.» Deshalb sieht er alles, was den Ausbau von erneuerbaren Energien verzögert, kritisch. Dieselbe Haltung vertritt Florence Brenzikofer, grüne Nationalrätin aus dem Baselbiet und Vizepräsidentin der Grünen Schweiz: «Ein Gasausbau schafft nur neue Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern.» Am 18. Juni wird das Stimmvolk über das Referendum der SVP zur Gletscher-Initiative entscheiden und damit über die Frage, ob die Schweiz von Öl- und Gasheizungen wegkommen soll. Da müsse nun sicher nicht in feste Infrastruktur investiert werden. Brenzikofer: «Jeder Ausbau von fossilen Energieträgern bremst den Wandel hin zu Erneuerbaren.»
«Der bürgerliche Bundesrat hat die Verhandlungen mit der EU abgesagt, weshalb die Schweiz nun keinen Zugang mehr zum europäischen Energiemarkt hat.»Michael Durrer, Präsident Grüne, Baselland
Auch der im Regierungswahlkampf erfolglose SP-Kandidat Thomas Noack stellt die Investitionen in die geplante Infrastruktur in Frage: «Unsere Netto-Null-Strategie bedingt einen raschen Ausstieg aus dem Erdgas für die Stromproduktion und für die Erzeugung von Gebäudewärme. Die Investitionen würden Präjudizien schaffen, die einem raschen Ausstieg aus der Verbrennung von Erdgas diametral entgegen stünden.» Finanziellen Ressourcen dürften nicht mehr in teure, unrentable und kurzfristige Gasinfrastrukturen fliessen, sondern müssten in den Zubau von Fotovoltaik- und Windanlagen mit besonderem Augenmerk auf die Produktion von Winterstrom und den Aus- und Umbau des Stromnetzes wie auch in einen Ausbau der Speichermöglichkeiten investiert werden. Insgesamt sei das Projekt zu kurzfristig gedacht: Der Flüssiggasimport löse, falls er überhaupt nötig sei, lediglich das Problem der Gasabhängigkeit von russischem Erdgas. Und: «Den Gasspeicher brauchen wir, falls überhaupt, aus dem gleichen Grund.»
Stromabkommen mit der EU gefordert
Sowohl Durrer als auch Noack fordern denn auch, dass nun endlich an einem Stromabkommen mit der EU gearbeitet werden muss. Durrer sieht die Bürgerlichen in der Schuld: «Der bürgerliche Bundesrat hat die Verhandlungen mit der EU abgesagt, weshalb die Schweiz nun keinen Zugang mehr zum europäischen Energiemarkt hat.» Auch seien es die Bürgerlichen gewesen, die den Ausbau der Erneuerbaren in der Vergangenheit verzögert hätten. Es entbehre nicht einer gewissen Ironie, findet Durrer, dass nun die Grünen, die sich seit 40 Jahren für einen Wandel stark machten, an den Pranger gestellt würden.
Der Baselbieter Parteipräsident der FDP, Ferdinand Pulver, meint: «An der aktuellen Situation ist allenfalls Russland schuld. Durch den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat sich gesamteuropäisch die Versorgungslage verändert, es kam und kommt zu Engpässen und darauf wird jetzt mit unterschiedlichen Projektideen reagiert.» Die FDP setze sich für den Ausbau der Erneuerbaren ein. Er gibt zu bedenken: «Neben der wichtigen und notwendigen Erreichung der Klimaziele des Bundes muss aber auch der Aspekt der Versorgungssicherheit eine wichtige Rolle spielen.»
Neuere Protestformen
Auch wenn nun also die Grünen mit ihrer in den Augen des Klimastreiks unambitionierten Klimapolitik in der Kritik stehen: Profitieren für die Wahlen im Herbst dürften sie vom geplanten Protest trotzdem. Nationalrätin Brenzikofer meint: «Der Protest könnte eine grüne Welle auslösen, er müsste aber unbedingt friedlich verlaufen.» Durrer zeigt sich zurückhaltender: «In der Vergangenheit gab uns die Bewegung auf der Strasse Schub, doch gewisse neuere Protestformen sind wenig zielführend.» Neuerdings habe er sich immer mal wieder die Frage anhören müssen, ob er sich nun auch auf den Boden kleben werde.
«Es braucht keine neue Partei, sondern Parteien, die sich an ihre eigenen Versprechen halten.»Helma Pöppel, Klimaaktivistin
Pöppel sagt in Bezug auf den geplanten Protest, dieser solle friedlich verlaufen. Bei den Strategien orientierten sich die Aktivist*innen am Globalen Süden; in Chile oder Mexiko habe man Erfahrungen damit, breiten Widerstand aufzubauen. Von diesen Menschen wollten die Aktivist*innen lernen. Ob der Klimastreik sich vorstellen könnte, selbst als Partei tätig zu werden, statt die Parteien für ihr Nichtstun zu kritisieren? Nein, sagt Pöppel, der Klimastreik wolle keine Konkurrenz auf politischem Parkett werden. Im Übrigen hätten sich alle Parteien – ausser die SVP – bereits zur 1,5-Grad-Politik verpflichtet. Sie alle stimmten im Parlament für das Pariser Abkommen. «Es braucht keine neue Partei, sondern Parteien, die sich an ihre eigenen Versprechen halten.»
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*Korrektur: In einer früheren Version hiess es, Helma Pöppel würde insbesondere die Grünen Baselland kritisieren. Das stimmt so nicht, Pöppel äussert eine Kritik gegenüber allen Parteien, die nicht nach dem 1.5-Grad-Ziel handeln.
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