Kräfte für das Friedensprojekt Europa bündeln
Geopolitische Spannungen, Kriegsherde, Überalterung: Es sei höchste Zeit, gemeinsam mit Europa Weltpolitik zu machen, statt auf den eigenen Nabel zu starren, meint Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter.
Die geopolitische Plattentektonik setzt gerade enorme Kräfte frei. Der Ukraine-Krieg zeigt, was Russland für seine Weltmacht zu tun bereit ist. Der kalte Krieg zwischen den USA und China hat den Gefrierpunkt erreicht. Mit China First beschleunigt das Reich der Mitte die Abkopplung von der amerikanischen Wirtschaft und zieht gleichzeitig die politische Daumenschraube für Taiwan an. Als wichtiger Handelspartner und Geldgeber erhöht China zudem seinen Einfluss in Afrika. Der Iran wiederum steht an der Schwelle zur Atommacht, weshalb sich die politischen Spannungen mit dem Westen verschärfen.
Das ist noch nicht alles: Zinserhöhungen der US-Notenbank und Inflationstendenzen könnten in Schwellenländern wie der Türkei oder dem Libanon Finanzschocks herbeiführen. Denken wir ausserdem an die zahllosen Entwicklungsländer, deren Verschuldungsgrad schon heute nicht mehr tragbar ist. Es erstaunt nicht, dass populistische Parteien von rechts- und linksaussen weltweit an Zulauf und Lautstärke gewinnen. Die westliche Hemisphäre erlebt derzeit ein beispielloses Ausmass an parteipolitischer Polarisierung und Radikalisierung.
Was haben unsere Vertreter*innen in Bern zu sagen? Im Wahljahr überlassen wir regelmässig unseren nationalen Politiker*innen den Platz. Heute Elisabeth Schneider-Schneiter. Sie ist Die-Mitte-Nationalrätin BL, Mitglied der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats und Stellvertreterin in der parlamentarischen EFTA/EU-Delegation. Schneider-Schneiter präsidiert zudem die Handelskammer beider Basel und den Verwaltungsrat der Raiffeisenbank Basel. Ihre Schwerpunkte setzt sie bei der Standortpolitik für die Region Basel, der Wirtschaftspolitik und der Aussenpolitik. Elisabeth Schneider-Schneiter lebt seit über 30 Jahren mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Biel-Benken, Baselland.
Diese Konfliktherde werden von systemischen Risiken befeuert. 2021 konnten wir die Folgen des Klimawandels hautnah erleben: Hitzewellen, Waldbrände, Überschwemmungen, Taifune. Demografische Verschiebungen machen sich ebenfalls bemerkbar. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung voraussichtlich bei 9,7 Milliarden liegen. Sie wird immer älter, wächst am stärksten in den ärmsten Ländern und konzentriert sich zunehmend in den Städten. Nur Europa schrumpft.
Und die Schweiz? Wir diskutieren zum Beispiel über die 4- oder 8-Tage-Meldefrist für kurzfristige Erwerbstätige. Im Parlament debattieren wir den Verteilschlüssel zwischen Kantonen und Bund für die erwarteten Mehreinnahmen des OECD-Gewinnsteuersystems. Und wir streiten darüber, ob wir uns wegen unserer rechtlichen Neutralität politisch zur Militarisierung der Ukraine äussern dürfen.
In der Schweiz nehmen wir es eben genau und konzentrieren uns gerne auf uns selbst. Dabei vergessen wir leider allzu oft, dass die reellen Bedrohungen ganz woanders schlummern. Es ist meines Erachtens schon lange keine Frage des nationalen Stolzes mehr, ob wir uns mit der Europäischen Union (EU) wieder vertragen oder nicht – es ist eine zwingende Notwendigkeit. Allein erreichen wir nämlich gar nichts. Dazu genügt ein Blick auf die Sicherheitspolitik. Um Frieden und Stabilität zu wahren, müssen wir einem starken Sicherheitsverbund angehören, auch wenn uns die Neutralität eine Nato-Mitgliedschaft verbietet.
«Wir brauchen den diskriminierungsfreien Zugang zur EU, denn für die meisten Schweizer Unternehmen ist der Binnenmarkt schlicht zu klein.»Elisabeth Schneider-Schneiter, Nationalrätin Mitte Baselland
Eine starke Wirtschaft trägt wesentlich zur Stabilität, zum sozialen Frieden und zum Wohlstand unseres Landes bei. Wir brauchen den diskriminierungsfreien Zugang zur EU, denn für die meisten Schweizer Unternehmen ist der Binnenmarkt schlicht zu klein. Die Versorgung der Schweiz mit Strom, Medikamenten, Rohstoffen, Halbfabrikaten und vielem mehr aus dem Ausland muss gesichert sein. Wir können es uns nicht leisten, von europäischen Forschungs- und Entwicklungsprogrammen, der Digitalisierung oder der Harmonisierung von Rahmenbedingungen ausgeschlossen zu werden. Am runden Tisch der Schlüsselentscheidungen für Europa müssen wir uns einen Platz sichern.
Seit über 70 Jahren garantiert die europäische Staatengemeinschaft eines der erfolgreichsten Produkte überhaupt: Frieden. Diesen Frieden herbeizuführen und zu bewahren, ist Bestandteil des Schweizer Staatsverständnisses. Demnach gehört es auch zu unseren Aufgaben, mit der EU zu kooperieren und das Friedensprojekt Europa mitzutragen – erst recht in bewegten Zeiten wie diesen.
Für die Schweiz gibt es aktuell mehr als genug gute Gründe, die Kräfte mit Kerneuropa zu bündeln und gemeinsam klug zu politisieren. Dazu sollten wir in die Vogelperspektive wechseln und den Blick fürs grosse Ganze zurückerlangen. Nur so können wir die Zukunft zum Wohl der Menschen dies- und jenseits der Landesgrenzen mitgestalten.