Prämien: Wer bietet weniger?

Krankenkassen mit den tiefsten Prämien müssen auch dieses Jahr mit einem Kund*innenansturm rechnen. Das bringt Risiken, die eigentlich niemand eingehen will, ist SP-Gesundheitspolitikerin Sarah Wyss überzeugt. Sie befürchtet: Die Kassen treiben deswegen die Prämien künstlich in die Höhe.

Krankenkasse Wyss
(Bild: zVg / Adobe, Collage: Bajour)

Jedes Jahr zu dieser Zeit wird einem von allen Seiten nahegelegt: Jetzt die Krankenkasse wechseln! Das günstigste Angebot finden! Nicht zu viel bezahlen!

Gerade jetzt, wo nicht nur ein saftiger Anstieg der Krankenkassenprämien angekündigt ist, sondern auch die Mieten und die Energiepreise steigen, werden sich viele einen Wechsel überlegen. Schon wieder, muss man sagen, denn auch letztes Jahr stiegen die Prämien deutlich. Die Folge: Überdurchschnittlich viele Personen wechselten ihre Krankenkasse.

«Es lässt sich auch feststellen: Je höher der Prämienanstieg ausfällt, desto mehr Versicherte wechseln.»
BAG (Bundesamt für Gesundheit), auf Anfrage

Auch dieses Jahr könnte ein Ansturm auf die günstigsten Grundversicherungsanbieter zukommen. «Gewisse Wechselbewegungen» gebe es immer, schreibt das BAG auf Anfrage. Aber: «Es lässt sich auch feststellen: Je höher der Prämienanstieg ausfällt, desto mehr Versicherte wechseln.»

Ist das für Versicherungen überhaupt attraktiv, so viele Neukund*innen aufs Mal?

Eine Kasse, die letztes Jahr einen enormen Zuwachs an neuen Kund*innen bewältigen musste, ist die KPT. Sie war eine der Versicherungen mit den niedrigsten Prämien – und dem höchsten Zuwachs: Ihr Kundenbestand wuchs um mehr als 50 Prozent. Man sei dabei, 40 bis 50 neue Stellen zu schaffen, sagte KPT-CEO damals und bat die Kundschaft um Verständnis für Verzögerungen im Service. 

«Trotz vorübergehender Herausforderungen» spricht Unternehmenssprecher Beni Meier rückblickend von einem «positiven Erlebnis». Die KPT gehe davon aus, dass sie einen Teil der neuen Kund*innen dieses Jahr wieder verlieren, weil das Wachstum auch von «Jahreswechslern» verursacht worden sei – also solchen, die jedes Jahr ihre Grundversicherung wechseln. «Das ist ein bekanntes Phänomen und folglich ganz normal», so Meier auf Anfrage. 

Also alles gut? 

Die Basler SP-Nationalrätin und Gesundheitspolitikerin Sarah Wyss findet: Nein. Sie befürchtet, dass dieser «KPT-Effekt» die Kosten weiter in die Höhe treibt. Es sei so nicht mehr attraktiv, die günstigsten Prämien zu haben – einerseits wegen des administrativen Aufwands, andererseits auch wegen des finanziellen Risikos: Viele neue Versicherte bedeuten auch höhere Reserven, dafür muss eine Krankenkasse gerüstet sein.

«Kommen diese massiven Prämienschübe sozusagen natürlich, oder sind sie gewollt, weil niemand die günstigste Kasse sein will?»
Sarah Wyss, Frage im Vorstoss an den Bundesrat

«Kurz: Niemand will dieses Jahr die KPT sein, solche einjährigen Versicherten lohnen sich für die Kassen nicht», folgert Wyss. Sie vermutet, «dass die Kassen deswegen absichtlich die Prämien höher ansetzen als nötig.» In einem Vorstoss will sie darum vom Bundesrat wissen, ob ihre Schlussfolgerung stimmt. «Kommen diese massiven Prämienschübe sozusagen natürlich, oder sind sie gewollt, weil niemand die günstigste Kasse sein will?», fragt sie.

Christoph Thommen
Gesundheitsökonom Christoph Thommen von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) (Bild: zVg)

Gesundheitsökonom Christoph Thommen von der ZHAW bezweifelt das. Zwar sei das Risiko für die Versicherungen hoch, wenn sie auf einen Schlag viele neue Versicherte anlockt. «Tatsächlich muss eine Kasse dieses Risiko bei der Festsetzung der Prämien berücksichtigen, weil sie sonst im schlimmsten Fall zu wenig Reserven hat, um die zusätzlichen Krankheitskosten der vielen neuen Kunden abzudecken.»

Es sei allerdings «kein Zufall, wenn man die günstigste Krankenkasse ist. Das passiert nicht einfach so», vermutet er, sondern nur dann, wenn man die Strategie habe, den Kundenstamm deutlich auszubauen. «Eine Krankenkasse kennt zwar die neuen Prämien der Konkurrenz nicht. Es ist aber eine bewusste Entscheidung, die eigenen Prämien sehr tief anzusetzen.» Ausserdem hätten auch Kassen ohne eine solche Wachstumsstrategie einen Anreiz, nicht zu teuer zu sein, «damit sie möglichst alle Wechselwilligen behalten können».

«Ein Versicherer hat als oberstes Ziel, seine Kunden zufriedenzustellen und kein Interesse, höhere Prämien als nötig einzugeben, damit die Kosten gedeckt sind»
Simone Hinnen, Kommunikationsleiterin des Branchenverbands Curaviva

Dieser Ansicht ist auch der Branchenverband Curaviva, zu dem unter anderem die KPT gehört. «Ein Versicherer hat als oberstes Ziel, seine Kunden zufriedenzustellen und kein Interesse, höhere Prämien als nötig einzugeben, damit die Kosten gedeckt sind», schreibt Kommunikationsleiterin Simone Hinnen auf Anfrage.

Wyss hält trotzdem an ihren Vermutungen fest – und zieht daraus gesundheitspolitische Schlüsse: «Wenn wir steigende Gesundheitskosten und steigende Krankenkassenprämien haben, ist der Wettbewerb zwischen den Kassen eigentlich der letzte Anker, der noch rechtfertigt, dass wir so viele verschiedene Anbieter haben.» Wenn nun aber gemäss ihrer Vermutung dieser Wettbewerb nicht mehr funktioniert, wäre am System zu rütteln: Ein Wettbewerb zwischen den Grundversicherern, die per Gesetz alle die gleichen Leistungen erbringen müssen, ist für Wyss per se schon fraglich. «Nun häufen sich aber die Gründe, weshalb wir nicht mehr 47 Krankenkassen brauchen», so Wyss.

Krankenkasse
Frage des Tages

Bei der Frage des Tages vom 29. August konnten unsere Leser*innen über das Thema «Umstrukturierung der Krankenkassen» diskutieren. Fazit: Viele der Bajour-Leser*innen befürwortet einen radikalen Umbau der Grundversicherung hin zu einer Einheitskasse. 

Zur Debatte

Die SP hat deswegen schon vor ein paar Wochen den Vorschlag einer Einheitskasse wieder aus der Schublade geholt. Denkbar für Wyss wäre aber eine Reduktion des Angebots, zum Beispiel auf eine Kasse pro Kanton. «Die Rechnung ist einfach: Wenn keine oder weniger Wechsel-Kosten mehr anfallen, können diese auch nicht mehr an die Prämien angerechnet werden.» Eine ZHAW-Studie von 2011 schätzte, dass solche Wechsel allein für 20 Prozent der Verwaltungskosten von Krankenversicherern verantwortlich sind. 

Bereits letztes Jahr wollte Wyss vom Bundesrat wissen, ob angesichts des Prämienanstiegs eine «Reorganisation des Kassenwesens» angezeigt wäre. Damals verneinte der Bundesrat. Der Prämienanstieg sei auf Faktoren zurückzuführen, die nicht in Verbindung mit der Organisation des Krankenkassensystems stünden. Ausserdem seien mehrere Initiativen für eine solche Systemveränderung vom Parlament und vom Volk verworfen worden.

Jetzt liegt es am Bundesrat, zu entscheiden, ob er dieses Jahr den Zusammenhang von Prämienanstieg und Funktionsweise des Systems anders beurteilt.

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