Künstler*innen sorgen sich um Meinungsfreiheit
Nach der Berichterstattung über den designierten Direktor der Kunsthalle haben über 2000 Künstler*innen einen Solidaritätsbrief unterschrieben. Sie sorgen sich um die Meinungsfreiheit. Und Arbeitsrechtler Thomas Geiser stuft die Aussagen von Regierungspräsident Beat Jans als «heikel» ein.
Das hat Mohamed Almusibli wohl nicht vorausgesehen. Noch bevor er seinen Posten als Direktor der Kunsthalle angetreten hat, ist er schon Teil des ersten Shitstorms, ausgelöst durch einen Bericht der Basler Zeitung. Weil er zwei offene Briefe unterzeichnet hat, die Israels Vorgehen im Gazastreifen kritisieren. Mittlerweile hat er sich von den umstrittenen Passagen distanziert. Der Trägerverein der Kunsthalle hat seine Anstellung bekräftigt.
Nun erhält Almusibli Unterstützung. In der Kunstszene zirkuliert ein offener Brief an den Kunstverein: «Art Professionals in Solidarity with newly appointed Director at KB». Über 2000 Kunstschaffende äussern ihre Solidarität mit Mohamed Almusibli. Sie kritisieren die «explosive und verkürzte» Medienberichterstattung zum Fall und drücken ihre Sorge um die Meinungsfreiheit aus. Es sei dringend erforderlich, «dass unser Berufssektor in seiner Haltung gegen Zensur, Diskriminierung und faschistische Unterdrückung sowie zur Verteidigung von Vielfalt und Meinungsfreiheit und Ausdrucksfreiheit fest bleibt».
Welle der Einschüchterung
Almusibli stehe es «im Einklang mit den schweizerischen Werten der Meinungsfreiheit zu», die offenen Briefe zu unterzeichnen. Die Kunstschaffenden appellieren an den Trägerverein der Kunsthalle, Almusibli zu stärken: «Nachzugeben und seine Rücknahme oder jegliche weitere öffentliche Erklärung zu fordern, die nicht mit dem beruflichen Mandat seiner Rolle als Direktor einer zeitgenössischen Kunstinstitution zusammenhängt, würde dazu beitragen, eine schockierende Welle repressiver Einschüchterung zu unterstützen, die eine Bedrohung für die Integrität der Kunst im Allgemeinen darstellt.»
Diverse Persönlichkeiten haben den Brief unterschrieben. Etwa Salomé Neuhaus von der Liste, Jeanne-Salomé Rochat von der Art Basel, die Künstler*innen Sophie Jung, Benedikt Wyss, Pedro Wirz oder Latifa Echakhch, ebenso wie Marlene Wenger vom HEK oder Jurriaan Cooiman und Kateryna Botanova von Culturescapes.
Bajour hat Cooiman, Gründer und Direktor des Festivals Culture Scapes, gefragt, warum er den Solidaritätsbrief unterschrieben hat. Er fürchtet um die Meinungsfreiheit im «sehr komplexen Nahostkonflikt». Die offenen Briefe, welche Almusibli unterzeichnet hat, findet Cooiman «undifferenziert». Doch: «Es muss möglich sein, etwas Undifferenziertes zu sagen, ohne dass deswegen medial und politisch dermassen Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt wird, wie das jetzt passiert.»
Ins Fettnäpfchen treten
Es sei nahezu unmöglich, sich zu äussern, ohne in ein Fettnäpfchen zu treten. «Gewisse Politiker und Journalisten scheinen fast schon darauf zu warten, bis einer etwas Undifferenziertes sagt, um ihn anschliessend öffentlich zu rösten.»
Zum Verständnis: Die BaZ hat bei Geldgeber*innen der Kunsthalle angefragt, wie man nun reagiere, da man von der Unterschrift auf den offenen Briefen wisse. Etwa die Dreyfus-Stiftung. Diese wollte sich nicht äussern. Und ein SVP-Politiker forderte den Kunstverein auf, die Wahl von Almusibli zu widerrufen. Ein anderer fragte den Regierungsrat per Interpellation, ob der Kanton sein finanzielles Engagement beim Kunstverein überdenken würde, wenn Almusibli seine Stelle antrete, wie die bz berichtete.
Daraufhin sagte Regierungspräsident Beat Jans (SP) in der BaZ: «Es ist ein Fehler gewesen, dass der Kunstverein bei der Berufung von Mohamed Almusibli nicht geprüft hat, ob und wie er sich politisch geäussert hat». Es könne einer Institution schaden, wenn sie das nicht wisse. Das habe Martin Hatebur als Vorsteher des Basler Kunstvereins ihm gegenüber inzwischen auch eingeräumt.
Und dann forderte Beat Jans Almusibli zu einer eindeutigen politischen Aussage auf: «Selbstverständlich liegt es mir fern, die politische Haltung eines Institutsleiters zu beurteilen oder einzuschränken», sagte er. Doch: «Ich erwarte vom Leiter einer Basler Kulturinstitution aber, dass er jeglichen Verdacht von Antisemitismus klar ausräumt. Das bedeutet, wenn er sich zum Nahostkrieg äussert, dann soll er erstens die Hamas als Organisation ohne Wenn und Aber für deren barbarischen Angriff, für die Geiselnahmen und für deren Schutzschildtaktik verurteilen.» Zweitens, so Jans: «Wenn er die Unabhängigkeit von Palästina fordert, soll er im gleichen Satz auch das Recht des Staates Israel anerkennen. Denn Israel wurde gegründet, um die jüdische Bevölkerung vor Verfolgung und Antisemitismus zu schützen.»
Darf Jans das?
Arbeitsrechtler Thomas Geiser hat Bedenken. Ein Arbeitgeber kann seiner Einschätzung nach von einem Angestellten in einer öffentlichen Position verlangen, sich mit politischen Äusserungen zurückzuhalten und sich neutral zu verhalten. Und er kann ebenfalls verlangen, dass ein Arbeitnehmer Aussagen zurücknimmt, die er bereits getätigt hat. So, wie das Almusibli getan hat. Aber, so Geiser: «Ein Arbeitgeber kann nicht von einem Arbeitnehmer verlangen, eine bestimmte politische Äusserung zu tätigen. Das ist eine Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit.» Es sei also unzulässig, von Almusibli zu verlangen, das Existenzrecht von Israel ausdrücklich anzuerkennen, wenn er sich für ein freies Palästina ausspreche. Die zweite Äusserung widerspreche der von Jans verlangten ersten ja nicht.
Die ganze Sache ist aber noch vertrackter. Denn: Beat Jans ist gar nicht Almusiblis Chef. Die Kunsthalle ist eine private Institution, getragen vom Kunstverein. Der Kanton Basel-Stadt unterstützt die Kunsthalle mit Subventionen. Vor diesem Hintergrund sind Jans Aussagen «heikel», wie Arbeitsrechtler Thomas Geiser sagt: «Der Staat muss eine politische Neutralität an den Tag legen.»
«Ich habe nie gedroht, der Kunsthalle Geld zu entziehen.»Beat Jans, Regierungspräsident
Beat Jans war sich bewusst, dass seine Aussage «eine Gratwanderung ist», sagte der Regierungspräsident auf Anfrage gegenüber Bajour. Er habe aber nicht von Almusibli verlangt, sich politisch zu äussern. So habe er beispielsweise nie gedroht, der Kunsthalle die Subventionen zu entziehen. «Meine Aussage war mehr als Ratschlag gedacht, dass Herr Almusibli einen guten Start in Basel haben kann», so Jans. Ein Ratschlag, wie er seinen plötzlichen Wechsel zu einer öffentlichen Person gut über die Bühne bringe. Und zwar auf eine Art und Weise, dass er die Ängste der jüdischen Bevölkerung in Basel nachvollziehen könne.
Er, Jans, habe selbst eine Weile gebraucht, bis er diese Ängste verstanden habe. Zur Erklärung: Der Regierungspräsident war in Kritik geraten, weil er sich eine Woche lang nicht zum Terroranschlag der Hamas in Israel vom 7.Oktober geäussert hatte. Jans versteht sein aktuelles Statement in der BaZ als einen Schritt für die Kunsthalle und für die Kunststadt Basel: «Herr Almusibli ist eine gute Wahl und hat eine Chance verdient, auch wenn er einen Fehler gemacht hat mit dem Unterschreiben des offenen Briefs.» Eins stellt Beat Jans am Schluss auch noch klar: Er erwarte von Institutionen, dass sie sich von Antisemitismus distanzieren. «Welche politische Haltung einzelne Künstler*innen haben, hat mich nicht zu interessieren.»
Kein Platz für politische Diskussionen
Jurriaan Cooiman wünscht sich, «dass die Kunsthalle kühlen Kopf bewahrt». Dann wird er selbst politisch: «Der Terror der Hamas vom 7. Oktober steht ausser Frage», sagt er. Es müsse aber möglich sein, die Reaktion der demokratisch gewählten israelischen Regierung ebenfalls zu kritisieren. «Solche Fragen diskutiert man aber besser auf einem Podium. Für den Kunstverein kann nur entscheidend sein, dass Almusibli ein gutes und offenes Programm macht. Die politische Diskussion führen wir ausserhalb.»
Auch Yves Kugelmann, Chefredaktor von tachles, beobachtet die aktuellen Diskussionen mit Erstaunen: «Kritik gerade an öffentlichen Äusserungen ist immer berechtigt», schreibt er auf Anfrage. Die Frage sei nur, ob sie richtig sei oder nicht.
Laut Kugelmann ist klar, «dass der aktuelle Nahost-Diskurs in einer problematischen und der offenen Debatte widersprechenden Form stattfindet». Das beginne bei der Wortwahl: «Solidarität mit Zivilisten in Gaza ist nicht per se Israelkritik. Die Gaza-Offensive ist kein Genozid.» Das gehe weiter mit den Absendern: «Heute ist wichtiger geworden, wer was und nicht was wer sagt.»
Israelkritik sollte laut Kugelmann «keine eigene Sportdisziplin sein». Vielmehr gehe es um die Kritik an der Verletzung von Rechtsstaatlichkeit, Menschen- oder Völkerrecht durch Staaten. «Israel verletzt solche Grundsätze ebenso immer wieder, wie die USA, die Schweiz oder Ungarn. Israel hat da kein Alleinstellungsmerkmal.»
Kritik ohne Ideologie und Propaganda
Diktaturen, Autokratien und so fort allerdings basieren auf der Verletzung dieser Grundsätze und respektieren die Disziplin der Kritik nicht, sondern bekämpfen sie. Und da sind wir dann bei der Kultur, sagt Kugelmann: «Das Privileg der Freiheit ist eines, das man nutzen soll und muss.» Wer dies mit Integrität tut, kommt nicht in den Verdacht, ein Amt zu miss- sondern glaubwürdig zu brauchen. «Das bedeutet: Kritik, die keine Propaganda, keine Ideologie, kein falsches Prinzip wird, ist per se wichtig und selten falsch.»
Klar sei aber auch, dass nicht alle Ämter im Kulturbereich von Menschen bekleidet werden, die im jeweiligen Thema genügend Expertise mitbringen. Das Vorgehen Israels in Gaza kann zur kritischen Disposition gestellt werden. Wer dies einen Genozid nennt – also die Idee der Vernichtung einer Ethnie oder Nation – redet ebenso Unsinn wie jene, die die Barbarei der Hamas und die Massaker einen Holocaust nennt.
Die BaZ sieht keinen Fehler in ihrer Berichterstattung, wie Chefredaktor Marcel Rohr am Freitag in einem Editorial auf der Front schreibt. Es gehöre zum «journalistischen Reflex» zu fragen, ob der neue Kunsthalle-Direktor «seine Haltung gegenüber Israel vor seinen neuen Chefs erläutert» hat.
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