Der hohe Preis der Mutlosigkeit

Nach der Aberkennung des Kulturförderpreises an Leila Moon ist ihr die Solidarität der Kulturszene gewiss. Unsicher ist ihre finanzielle Zukunft und die Frage, wie sich die Causa auf künftige Jury-Entscheide und damit die Förderung der Künstlerin auswirkt. Eine Analyse.

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Leila Moon gegen Conradin Cramer: Der Künstlerin bliebe juristisch der Weg, für das begangene Unrecht Strafanzeigen einzureichen. (Bild: Unsplash/Collage: Bajour)

Es war ein regelrechtes Solidaritätsmomentum, das die Künstler*in Leila Moon in den letzten Wochen neben der starken Kritik erlebt hat. Erst unterschrieben über 4000 Menschen aus der Kulturszene einen offenen Brief zur Unterstützung des Jury-Entscheids für den Kulturförderpreis 2024. Und auch als dieser ihr letzte Woche aberkannt wurde, bezogen zahlreiche Kritiker*innen in den sozialen Medien Stellung. Die Solidarität sollte sich aber nicht nur auf dem Papier zeigen, sondern auch im täglichen Business. So stehen die Basler Clubs auch in Zukunft hinter ihr und wollen sie, deren Image nun zumindest angeknackst ist, nicht im Regen stehen lassen. 

Beispielsweise Hischem Rouine, der Betreiber des gleichnamigen Clubs Rouine, wo die DJ quasi zu Hause ist, sagt: «Leila Moon war schon immer Teil der Rouine-Familie. Und wird es auch in Zukunft sein.» Auch Dominic Oehen, Booker der Gannet, wo die DJ bisher noch nicht aufgelegt hat, sagt: «Ich würde Leila Moon genauso buchen wie vor dem Entscheid, die Tür steht und stand für sie immer offen und wird ihr auch immer offen stehen.» Sein Blick als Veranstalter habe sich durch die Aberkennung des Preises nicht verändert. 

Denkbar ist aber auch, dass manche Booker*innen die Wahlbaslerin nun erst recht buchen werden. Denn ist sie, die 1991 als Tochter einer Algerierin und eines Tunesiers geboren wurde und in Frick aufwuchs, heute vermutlich bekannter als je zuvor. Das Image, was ihr nun nachhängt – laut Amt für Kultur nicht vernetzend zu arbeiten – muss also nicht zwingend negative Auswirkungen haben für sie und ihre Arbeit. Zumindest was ihre Auftritte in Clubs betrifft.

Soweit so tragisch. Und nun?

Es ist kein Geheimnis, dass Künstler*innen sich ihre Existenz kaum mit Auftritten in Nachtclubs sichern können. Das weiss auch Victor Moser, Filmemacher, Komponist, Musiker und Gründungsmitglied der IG Musik, die sich für die im November vom Stimmvolk abgelehnte Musikvielfalt-Initiative stark gemacht hatte. Zu Bajour sagt er: «Die wenigsten Musiker*innen können von ihrer Musik leben. Genau darum haben wir unsere Initiative gemacht.» Künstler*innen sind in der Regel auf Fördergelder angewiesen.

So drängt sich die Frage auf, ob der mögliche Imageschaden, den Moon erlitten hat, auch einen Einfluss haben könnte auf künftige Gelder? Wohlwissend, dass ein Förderpreis und reguläre Kulturförderung zweierlei Dinge sind, die unterschiedlichen Logiken folgen.

Mutlosigkeit der Fachjurys

Bei den kantonalen Förderinstitutionen zeigt man sich zuversichtlich. So schreibt die Kommunikationschefin des Amts für Kultur, Isabel Drews: «Selbstverständlich kann sich Leila Moon jederzeit um eine Projektunterstützung der kantonalen Kulturförderung bewerben.» Beurteilt würde in diesem Fall das konkrete Projekt auf der Basis der kommunizierten Kriterien. Und Sebastian Schlegel, Sprecher des Musikbüros, ergänzt, dass Moon als DJ auch in Zukunft die Möglichkeit habe, Tourbeiträge im Rahmen des RegioSoundCredit zu beantragen. Für produzierende Musiker*innen gäbe es zudem weitere Fördermöglichkeiten.

Philippe Bischof, Pro Helvetia Direktor, portraitiert in Zuerich am 14. Dezember 2017. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
«Wir leiten von der Aberkennung des Basler Förderpreises nichts ab für mögliche künftige Anträge der Künstlerin.»
Philippe Bischof, Direktor von Pro Helvetia

Auf nationaler Ebene klingt es ähnlich. So sagt der Direktor von Pro Helvetia, Philippe Bischof, der übrigens in der Vergangenheit auch mal Basler Kulturchef war: «Wir leiten von der Aberkennung des Basler Förderpreises nichts ab für mögliche künftige Anträge der Künstlerin.» Ein Gesuch von ihr würde «nicht anders behandelt als bisher.» Denn: «Wir stellen Künstler*innen nicht unter Generalverdacht, und genauso wenig gibt es eine Präjudiz durch eine Entscheidung anderen Ortes.» Pro Helvetia hat Leila Moon übrigens 2023 bereits einmal gefördert für eine Residenz, die aber auf 2024 verschoben wurde.

Doch auch wenn es danach aussieht, als ob Moon der Zugang zu Födertöpfen künftig nicht verwehrt bleiben wird, dürften nicht nur die Fachjurys, die über die Gelder beziehungsweise Preise entscheiden, sondern eben auch die Künstler*innen mutloser werden. Denn auch wenn offiziell nicht die durchgefallene Gesinnungsprüfung im Fall von Moon den Ausschlag für die Aberkennung des Preises gegeben hat, könnte in Zukunft nur schon die Möglichkeit einer Denunzierung wie ein Damoklesschwert über Preisvergaben schweben und so manch eine Künstler*in präventiv zum Schweigen bringen sowie Juror*innen den Weg des geringsten Widerstands bzw. Aufschreis suchen.

Und genau darin liegt wohl der Kern des Problems. Musikbüro-Sprecher Schlegel ist sich dessen bewusst. Wie möchte er sicherstellen, dass Entscheide auch künftig unabhängig gefällt werden können? Er sagt: «Entscheide werden als Gremienentscheid kommuniziert, was keine Rückschlüsse auf einzelne Mitglieder zulässt. Das Musikbüro Basel stellt sich vollumfänglich hinter die Jurymitglieder und deren Entscheidungen. Persönliche Angriffe werden nicht toleriert und unsere Unterstützung ist den Jurymitgliedern auf allen Ebenen sicher.» 

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«Das Musikbüro Basel stellt sich vollumfänglich hinter die Jurymitglieder.»
Sebastian Schlegel, Sprecher des Musikbüros

Auch Bischof von Pro Helvetia ist sich der Gefahr bewusst, dass der Kulturbetrieb mutloser wird, wenn die Einschüchterung zunimmt. «Die polarisierende Öffentlichkeit erzeugt eine gewisse Mutlosigkeit.» Wenn es nicht mehr möglich sei, Differenzen respektvoll und gut informiert auszutragen, gebe es auch eine gewisse Verunsicherung.

Kein Kommentar von Moon

Moon selbst spricht nach wie vor nicht mit den Medien. Vertraute berichten, sie müsse sich emotional erst einmal wieder aufraffen. Tatsächlich lässt sich in der ganzen Sache ein unausgewogenes Machtverhältnis – Kanton gegen Einzelmaske – beobachten, das nicht leicht zu verarbeiten sein dürfte. Eine junge Künstlerin scheint nun den Preis bezahlen zu müssen für etwas, um das sie den Kanton nie gebeten hat. Auch wenn eine Entschuldigung anders klingt, sagt Drews: «Die Abteilung Kultur bedauert, dass die Künstlerin exponiert wurde.» 

Der Künstlerin bliebe juristisch der Weg, für das begangene Unrecht Strafanzeigen einzureichen. Etwa wegen Persönlichkeitsverletzung aufgrund des Tweets von Regierungspräsident Conradin Cramer, der sie unmissverständlich in die Antisemitismus-Ecke gedrängt hat. Aufgrund des Tweets könnte sie versuchen, Geschäftsschädigung wegen möglicher Persönlichkeitsverletzung geltend zu machen. Aber grosse Chancen, auf diesem Weg Gerechtigkeit zu erlangen, sollte sie sich nicht ausrechnen. Das Präsidialdepartement hat – bis auf den besagten Tweet – doch relativ zurückhaltend kommuniziert. 

Ethisch gesehen ist der Fall hingegen mehr als problematisch. Und er wird die Stadt und darüber hinaus wohl auch im kommenden Jahr beschäftigen. Im Frühling steht der ESC an – und mit ihm die Frage, wie die Regierung sich gegenüber schwierigen Aussagen, wie sie durch den Nahostkonflikt auch in den nächsten Monaten getätigt werden dürften, verhalten will. Helfen könnte dabei: Mut. Und ein stärkerer Dialog. Zwischen Bund, Kantonen, Städten, aber auch: zwischen mutigen Kulturinstitutionen. 

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Kommentare

De Hanspi
20. Dezember 2024 um 18:13

ein liebliches Plätschern

Man würde ja gerne einen finanziellen Beitrag leisten an dieses Medium, aber aufgrund der Mutlosigkeit des Mediums ist es besser, das wenige Geld zu sparen. Basel ist auch nicht bekannt für intellektuellen Fortschritt, dafür aber für die Zweitverwertung bereits geleisteter harter (intellektueller und kultureller) Arbeit anderer. Das plätschert so dahin.