Verlierer*innen, wo du hinschaust

Was bleibt übrig von der knapp einmonatigen Diskussion um die Vergabe des Kulturförderpreises an Leila Moon? Eine Jury, die sich und die Künstlerin angreifbar gemacht hat. Ein Amt für Kultur, das sich wieder einmal rechtfertigen musste. Und eine Künstlerin, an der nun ein Image haftet, das nur schwer zu revidieren ist. Ein Kommentar von Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Wochenkommentar Leila Moon
(Bild: Präsidialdepartement Basel-Stadt, Foto: Nasrin Naas (Collage: Bajour))

Die Musikproduzentin und DJ Leila Moon wird den Kulturförderpreis 2024 nicht bekommen. Und froh sein kann man kaum. Denn gewonnen hat niemand etwas mit der zuerst sistierten Vergabe und der nun final abgesagten Verleihung. 

Fast einen Monat lang wurde darüber diskutiert, ob Leila Moon die Auszeichnung verdient hat. Ihre Instagram-Posts zur Solidarität mit Palästina wurden auseinandergenommen und auf ihre Radikalität bzw. auf die Nähe zu antisemitischen Kreisen untersucht. Und die Künstlerin geriet unter Rechtfertigungsdruck, obwohl sie sich nie für diesen Preis beworben hatte. Eine unabhängige Jury hatte sie ausgewählt und nun in die Lage gebracht, dass sich Tausende Menschen eine Meinung zu ihr bildeten, während ihr Schaffen in den Hintergrund geriet. 

Und auch wenn es Hunderte von Kommentator*innen auf Social Media, Leila Moon eingeschlossen, so sehen: Dieser Preis wurde nicht aufgrund von Gesinnung aberkannt. Es steht ein wichtiger Satz in der Begründung des Amts für Kultur: «Die Aussagen der Künstlerin fallen unter die Meinungsäusserungsfreiheit.» Leila Moon hat sich mehrfach zum Konflikt in Israel und Palästina geäussert, sie sympathisiert mit den Palästinenser*innen, sie kritisiert die (Siedlungs-)Politik der israelischen Regierung, spricht von einem Genozid und sie teilte Posts von Artists against Apartheid. Das alles darf sie tun.

Das Präsidialdepartement hat das Narrativ gefüttert, wonach Leila Moon wegen ihrer Haltung zu Palästina und Israel abgestraft wurde.

Was jedoch den Ausschlag gegeben hat, um ihr den Preis wieder zu entziehen, waren eben nicht diese Posts und ihr Aktivismus für Palästina. Sondern Leila Moons Aufruf, den Boykott zu unterstützen von Institutionen und Kulturveranstalter*innen, die mit israelischen Kunstschaffenden zusammenarbeiten, welche sich nicht in einer bestimmten Weise zum Nahostkonflikt äussern. Der Kulturförderpreis sollte Leila Moon laut Jury-Begründung wegen ihrer vernetzenden Arbeit in der Basler Musik- und Clubszene zuteilwerden. Wer andere Künstler*innen boykottieren will, arbeitet nicht vernetzend – diesen Widerspruch konnte Leila Moon offenbar bei der Anhörung beim Amt für Kultur nicht auflösen. Entscheidend war also nicht ihre politische Haltung, sondern das Ausschliessen anderer Künstler*innen.

Warum aber bleibt nun trotzdem bei vielen hängen, dass Leila Moon wegen ihrer Haltung zu Palästina und Israel abgestraft wurde? Weil das Präsidialdepartement dieses Narrativ gefüttert hat. Zum einen war da der Zeitpunkt der Sistierung: Nur einen Tag nach Verkündung der vorgesehenen Preisträgerin infolge einer Interpellation der SVP und Kritik der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft beider Basel wurde die Preisvergabe auf Eis gelegt. Dass dies ein rein politischer Entscheid war – ohne Zweifel.

Zum Narrativ, dass die Haltung der Künstlerin ausschlaggebend sei für die Prüfung (und nun für die Absage) der Vergabe, hat auch ein Tweet von Regierungspräsident Conradin Cramer beigetragen. Er schrieb: «Antisemitismus darf in keiner Form toleriert werden. Nie. Ich bin froh, dass die Vergabe des Kulturpreises überprüft wird.» Damit wiederholte er implizit den Antisemitismus-Vorwurf und trug dazu bei, Leila Moon ausschliesslich anhand ihrer politischen Äusserungen zu bewerten. Dies unbeholfen zu nennen, ist noch charmant.

Es ist gut, dass das Amt für Kultur in seiner Begründung aufzeigt, dass Leila Moons Positionen durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt sind.

Es ist gut, dass das Amt für Kultur in seiner Begründung diesen Fehler nicht wiederholt, sondern aufzeigt, dass Leila Moons Positionen durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt sind. Und leider muss man das in der Schwarz-Weiss-Debatte, in der es nur zwei Seiten zu geben scheint, immer wieder sagen: Das heisst nicht, dass man ihre Äusserungen gutheisst oder verteidigt.

Doch leider haftet an der Künstlerin nun ein Image, das sie im besten Fall einfach als wenig tolerant gegenüber Andersdenkenden beim Thema Israel-Gaza darstellt und im schlimmsten Fall als antisemitische Hamas-Unterstützerin. Die Meinungen zu ihr schwimmen jetzt da draussen – auf Instagram und in Gesprächen in der Mittagspause – rum, ohne dass man sie wieder einfangen könnte. Die Jury hatte gute Absichten, hat sich und die Künstlerin durch ihre Wahl jedoch angreifbar gemacht.

Es offenbart sich das Unvermögen, sich differenziert mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen und zu unterscheiden zwischen künstlerischer Leistung, sozialem Verhalten und politischer Haltung. 

Anhand der Causa Leila Moon offenbart sich zum einen der heutzutage absurd hohe moralische Anspruch an Preisträger*innen, der neben der künstlerischen Leistung besteht, und gleichzeitig das Unvermögen unserer Gesellschaft, sich differenziert mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen und zu unterscheiden zwischen künstlerischer Leistung, sozialem Verhalten und politischer Haltung. 

Es bleiben eine Künstlerin mit einem durch die Preisjury verursachten erheblichen Imageschaden und ein paar ganz grundsätzliche Fragen:

1. Welchen Einfluss hat es auf Künstler*innen, wenn alles moralisch gegen sie verwendet werden kann, das sie jemals irgendwo geäussert haben? 

2. Würden diejenigen, die dem Kanton jetzt eine Aberkennung aufgrund der politischen Gesinnung vorwerfen, die Gesinnung aussen vor lassen, wenn es darum geht, z. B. einen AfD-nahen Balletttänzer mit einem Kulturpreis oder einem Stipendium zu ehren?

3. Gibt es etwas Schädlicheres für die liberale Gesellschaft, als (Künstler*innen) die Meinungsäusserungsfreiheit abzusprechen?

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Kommentare

Robin
15. Dezember 2024 um 14:35

Sehr guter, differenzierter Kommentar. Bin nur über eine Formulierung im letzten Abschnitt vor den Fragen gestolpert: Meinen sie ausdrücklich die Jury, die den Imageschaden verursacht hat oder schliessen sie das Präsidialdepartement und Kultur BS da mit ein?