Lena blockiert eine Grossbank: Teil 1, Die Blockade

Im Juli 2019 kämpfte Lena mit ihrem Körper vor der UBS gegen den Klimawandel. Sie betonierte ihren Arm in ein Fass. Wie weit geht ziviler Ungehorsam – und was passiert dann? Eine Reportage in drei Teilen.

Am 8. Juli 2019 blockieren Aktivist*innen die UBS-Filiale am Aeschenplatz.
Am 8. Juli 2019 blockieren Aktivist*innen die UBS-Filiale am Aeschenplatz. (Foto: Olivier Christe) (Bild: Olivier Christe)

Am 8. Juli 2019 rief eine Gruppe von Klima-Aktivist*innen zu einer Blockade der UBS in Basel und der Credit Suisse in Zürich auf. Sie protestierten gegen die Geschäfte dieser Banken mit der fossilen Industrie. Diese Serie schildert die strafrechtlichen Folgen für eine Person, die sich sprichwörtlich mit ihrem Körper gegen die Klimaerhitzung stellt.

Es ist ein heisser Sommertag 2019. Die Luft hat ihre morgendliche Frische verloren und staut sich bei über 30 Grad zwischen den Hauswänden und Strassen am Aeschenplatz. Mittendrin sitzt Lena auf der Einfahrt zur Mitarbeiter*innen-Tiefgarage der UBS. Ihr linker Arm verschwindet in einem Rohrstück, das in einem betongefüllten Fass steckt. Ihre Hand ist in diesem Rohr so angekettet, dass sie nur durch ein Aufschneiden des Fasses gelöst werden kann. 'Lock-on' nennen die Aktivist*innen diese Technik.

Auf der anderen Seite des Rohrs sind weitere Menschen angekettet. Die Mensch-Fass-Mensch-Installation ist so positioniert, dass Autos nicht an ihr vorbei in die Tiefgarage fahren können. Die Zufahrt zur UBS ist damit versperrt.

Lena ist jung, aufgewachsen in einer Kleinstadt. Lena heisst in Wirklichkeit nicht Lena. In diesem Text wird sie zu ihrem Schutz auch nicht näher beschrieben. Ihre Biografie liest sich nicht aussergewöhnlich: behütetes Elternhaus, Schule, Ausbildung, Konzerte am Wochenende und Radfahren über die Felder. Lange deutete nichts darauf hin, dass sich Lena an Fässer ketten und Banken blockieren wird.

Wie kam es dazu?

Die Klimabewegung hat in den vergangenen Jahren viel öffentliche Beachtung erlangt. Doch die Bewegung war nie eine homogene Masse, ihre Aktionsformen unterscheiden sich. Wir fragen nach Motiven, Strategien und Konsequenzen für manche Handlungen von Menschen, die den Klimawandel als akute Bedrohung ernst nehmen.

Banken, Parlamente und Verwaltungen fehle aktuell der Wille, angemessen auf die Klimaerhitzung zu reagieren, so Lena. Sie empfindet deshalb zivilen Ungehorsam, also wenn sie sich zum Beispiel an Fässer kettet, nicht als blinden Aktivismus, sondern als Ultima Ratio. Doch wie reagiert unser Rechtssystem auf diese Auffassung? Es ist ein Clash zweier Welten.

«Wenn du verstehst, was gerade vor sich geht, musst du handeln.»
Lena, Klima-Aktivist*in

Das persönliche Treffen mit Lena fiel während des Corona-Shutdowns aus. Am Telefon klingt ihre Stimme ruhig. «Ich habe gemerkt, dass sich rasch etwas ändern muss. Wenn du verstehst, was gerade vor sich geht, musst du handeln», sagt sie. «Die Klimakatastrophe zerstört die natürliche Lebensgrundlage von Milliarden Menschen. Je ärmer diese sind, desto schlechter können sie sich davor schützen.»

Und was haben Banken damit zu tun?

«Banken versorgen die fossile Industrie mit Geld», sagt Lena. «Sie tragen damit entscheidend dazu bei, dass die Energiewende immer weiter in die Zukunft rückt und die schlimmsten Szenarien der Klimakatastrophe real werden.» Für Lena ist klar: Wenn die Menschen jetzt nicht handeln, wird es bald zu spät sein. Mit dieser Überzeugung sitzt Lena am 8. Juli auf dem heissen Teer. Ihre Hand steckt im Fass, sie kann sich nicht von der Stelle rühren. Andere Aktivist*innen bauen hinter ihr eine Stütze aus Rucksäcken, damit sie sich zwischendurch entspannen kann. Trotzdem schläft ihr Arm immer wieder ein. Hie und da wechselt sie ein Wort mit der Person auf der anderen Seite des Fasses. Freund*innen kommen vorbei und bringen Wasser und Essen.

Kohle
Mehrere Eingänge der UBS-Filiale sind blockiert. (Foto: Olivier Christe)

Vor den Eingängen zur Garage liegen Berge aus Holz oder herangeschaufelter Kohle. Rund 120 Menschen sind an der Blockade beteiligt. Sie sind einem Aufruf der 'Collective Climate Justice' (CCJ) gefolgt, einer Basler Gruppe. Im Jahr zuvor hatte diese den Ölhafen am Rhein blockiert.

Schweizer Bankmilliarden für Rohstoff-Abbau

«Banken versorgen die fossile Industrie mit Geld», hatte Lena gesagt. Was sie meint: Schweizer Banken, darunter die UBS, stellen Firmen viel Geld zur Verfügung – auch in Kohle-, Öl- und Gasunternehmen. Alleine zwischen 2016 und 2018 haben die UBS und Credit Suisse zusammengenommen solche Firmen mit 83 Milliarden US-Dollar finanziert. 2019 flossen von der UBS rund 200 Millionen in Projekte des Zuger Bergbauunternehmens Glencore, das sich als einen der grössten Rohstoffförderer der Welt einen Namen gemacht hat. Der Abbau von Kohle und anderen Rohstoffen wie beispielsweise Blei sind nebst dem Rohstoff-Handel sein Business, mit Folgeschäden für Mensch und Umwelt. 

Auch das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hält fest: Der Schweizer Finanzplatz trägt durch seine Investitionen zu einem Anstieg der globalen Erwärmung um 4 bis 6 Grad Celsius bei. 


Wir haben mehr Fragen als Antworten.

Die Aktivist*innen auf dem Asphalt am Aeschenplatz kennen diese Berichte und Studien, den Beteuerungen der Finanzbranche zur Besserung scheinen sie nicht zu glauben. Und sie sind entschlossen, sich an diesem Juli-Tag von der Sommerhitze nicht aufhalten zu lassen.

Raus dem Fass, rein in den Kastenwagen

«Wegschaffen! Aufstehen!» Lena erinnert sich, wie Befehle plötzlich über ihren Kopf hinweg flogen. Nachdem die UBS um 12.56 Uhr Anzeige erstattet hat, greift die Polizei mit einem Grossaufgebot um 14.15 Uhr ein und sperrt das Areal grossflächig ab. Presse und Publikum werden auf Distanz gehalten.

Abtransport
Die Polizei räumt die Blockade. (Foto: Olivier Christe)

Lena schildert, wie sie plötzlich mitten in einem Geschrei sitzt: Menschen werden zu Boden gedrückt, auf ihren Rücken zurren sich Kabelbinder um Handgelenke, Aktivist*innen werden über den Asphalt geschleift und in Fahrzeugen weggeschafft. Nach rund einer Stunde sind alle weg. Stille kehrt ein.

Übrig bleiben nur die vier Menschen an den Fässern, darunter Lena, und das Grossaufgebot der Polizei.

Links und rechts von Lena fahren Transporter heran. Auf Anfrage erklärt die Polizei, dass dies mit dem Ziel geschehen sei, die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen zu wahren.

Lena wird freigemacht und mitgenommen

Über Lena wird ein weisses Zelt aufgebaut, erzählt sie. Ein Kreis aus Beamt*innen umringten die am Boden sitzenden Aktivist*innen.  

Die Stimmung? Gereizt, erinnert sich Lena und beschreibt, wie einer der Polizisten die Einfahrt zur Tiefgarage hinunterschaut und sagt, das Fass könne ja auch einfach ins Rollen gebracht werden. Natürlich müsse dabei mit ausgekugelten Schultern gerechnet werden. Die Polizei äussert sich auf Anfrage nicht zu dieser Schilderung. Lena berichtet, wie sich ein weiterer Beamter unter dem Zelt dazuduckt. Er hielt demnach einen Winkelschleifer in der Hand und sagte: «Gut möglich, dass dir Finger, Hand oder Arm abgetrennt werden.» Auch diese Aussage weist Polizeisprecher Martin Schütz auf Anfrage zurück. Beim Lösen der Ketten seien die Mitarbeiter mit grösstmöglicher Vorsicht vorgegangen, so Schütz. 

Über Lenas Kopf wird eine Decke ausgebreitet, die Maschine dreht los, erzählt sie. Die Decke soll sie vor Metallsplittern schützen, mit Kopf auf den Knien sieht Lena die Funken drunter kriechen. Plötzlich endet der Lärm, ihre Hand ist frei, sie wird nach oben gerissen, Kabelbinder zurren die Handgelenke zusammen, ab in den Transporter. Die 15-minütige Fahrt endet in einer Tiefgarage. Dort geschieht lange nichts. Fast eine Stunde vergeht. So erinnert sich Lena. 

Dann wird sie aus dem Transporter geholt, die Kabelbinder werden entfernt, Leibesvisitation und Fotos. Lena erinnert sich, wie sie ihre Sonnenbrille abnehmen wollte, da habe ein Beamter geantwortet, sie solle sie nur aufbehalten, sie sei auch mit Brille attraktiv genug. Das SRF-Regionaljournal Basel berichtete kurz nach der Aktion über ähnliches Gebaren vonseiten der Beamt*innen gegenüber den Aktivist*innen.

Festnahme
Viele Aktivist*innen werden festgenommen, darunter auch Lena. (Foto: Olivier Christe)

Schliesslich wird sie in eine Zelle gebracht, im Waaghof. Dort verbringt sie den ersten Teil der Nacht. Um 2:30 Uhr wird sie anderswo hingefahren, durch die Milchglasscheiben hindurch erkennt sie nicht, wohin wie Fahrt geht. Das Fahrzeug hält, sie wird in eine Zweierzelle mit Bett geführt und schläft, trotz der Aufregung, sofort ein.

Fingerabdrücke, Fotos, DNA-Profil

Am nächsten Morgen legt ihr ein Beamter einen Befehl zur Entnahme von Fingerabdrücken, Fotos und zur Erstellung eines DNA-Profils vor. Die Verfügung, die Bajour vorliegt, informiert darüber, dass Lenas DNA-Profil ins gesamtschweizerische Informationssystem beim Bundesamt für Polizei eingespeist wird.

Ihre Hand wird mit dem Lesegerät gescannt, ein Wattestäbchen wird ihr in den Mund geführt, die Innenseite der Wange abgestrichen. In der folgenden Einvernahme verweigert Lena sämtliche Aussagen und verzichtet auf den angebotenen Rechtsbeistand.Das hatte sie im Vorfeld der Aktion mit einer juristisch geschulten Person abgesprochen – für genau diesen Fall. Um 16.00 Uhr erhält Lena schliesslich einen Strafbefehl und wird entlassen.

Der Straftatbestand lautet: Sachbeschädigung (aus öffentlicher Zusammenrottung mit grossem Schaden), Nötigung, Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Hinderung einer Amtshandlung, Übertretung des Übertretungsstrafgesetzes BS.

Einsprache – wie geht’s weiter?

Die Strafe beträgt 160 Tagessätze zu 30 Franken, wobei der Vollzug unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben wird. Eine zusätzliche Busse sowie die Verfahrenskosten belaufen sich auf fast 1000 Franken.

Lena erhebt Einsprache. Die Aktivist*innengruppe schreibt auf Anfrage, dass mindestens 62 Personen dasselbe taten. Diese hatten entweder ein bis zwei Nächte in Haft verbracht, oder ihnen wurden bei der Blockade die Personalien entnommen und später ein Strafbefehl zugeschickt. 

Lena erhält eine Bestätigung der Einsprache. Seither erfolgten keine weiteren Schritte durch die Staatsanwaltschaft, zumindest hat sie von keinen erfahren. Wann der Prozess stattfindet, ist zum aktuellen Zeitpunkt unklar. Auf Anfrage macht die Staatsanwaltschaft dazu keine Aussage.  

Unsere Geschichte könnte nun hier zu Ende sein, denn die Sache scheint klar: Lena bestreitet nicht, an der Blockade gegen die UBS anwesend gewesen zu sein. Sie bestreitet auch nicht, den Eingang zur Tiefgarage versperrt zu haben. Zwar wird die Höhe der Strafbestände zum Streitpunkt werden, doch auch wenn alle Aktivist*innen Einsprache gegen den Strafbefehl erhoben haben:

Weshalb sollte das Strafgericht Basel-Stadt die Sache anders als die Staatsanwaltschaft einstufen? Doch das ist durchaus denkbar. Denn: Unser nächster Halt ist Lausanne. Genauer gesagt: Ein Urteil in Lausanne.

Was das mit Basel und mit Lena zu tun hat? Das lest ihr im zweiten Teil.

Über den Autor: Olivier Christe ist freier Journalist. Er schreibt über Klimapolitik und die Finanzindustrie. Aktuell ist er zudem an einer kantonalen Volksinitiative beteiligt, die Basel bis 2030 klimagerecht ausrichten will.

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