Powerplay im Hinterzimmer
Im Grossen Rat soll geklärt werden, was preisgünstiges Wohnen bedeutet. Mit intensiver Lobby-Arbeit versuchen Investor*innen, in der Wohnpolitik auch mal wieder eine Etappe zu gewinnen. Auch Linke weibeln wie wild.
Es gibt politische Geschäfte, die an den Grossratssitzungen zur Akkordarbeit gehören. Ein Votum, Abstimmung, nächstes Traktandum, abgehakt.
Dann gibt es Geschäfte, und die Motion René Brigger (SP) zur Definition preisgünstigen Wohnraums in Basel gehört dazu, die hinter den Kulissen der politischen Bühne über mehrere Wochen hinweg zu einem ausgewachsenen Tauziehen bezahlter und unbezahlter Lobbyist*innen führen.
«Ich bin ja schon lange dabei», sagt der Motionär Brigger zu Bajour, «aber ein Powerplay in dieser Dimension, das habe ich noch gar nie erlebt.»
Von Powerplay spricht man im Eishockey, wenn ein Team vorübergehend mit weniger Personal arbeiten muss und das andere folglich in Überzahl powert.
Das Bild auf die politische Bühne übersetzt: Team 1, Brigger und Konsorten, will, dass preisgünstiger Wohnungsbau nach dem Prinzip der Kostenmiete definiert und gesetzlich verankert wird.
Der kantonale Richtplan legt fest, dass auf Entwicklungsarealen wie dem Klybeck ein Drittel kostengünstige Wohnungen gebaut werden. Was aber als preisgünstig gilt, ist aus Sicht der Linken nicht geklärt.
Der Regierungsrat orientiert sich bislang am Markt. So hatte er 2020 einmal kommuniziert, dass eine preisgünstige Anfangsmiete in Neubauten 25 Prozent unter dem Median der marktüblichen Mieten liegen soll.
Die Linke sieht diese Mietpreisbindung kritisch. Der Immobilienmarkt ist umkämpft, die Mieten steigen seit Jahren und damit auch der Median. Die reduzierte Anfangsmiete gilt derweil beschränkt auf einen Zeitraum von fünf Jahren.
Brigger will darum, dass preisgünstiger Wohnungsbau nach dem eidgenössischen Wohnraumförderungsgesetz definiert wird. Das sieht vor, dass die Mietzinse in der Regel auf Grund der Bau- und Unterhaltskosten festgelegt werden. Dabei wird auf eine maximale Rendite verzichtet: «Der so definierte preisgünstige Wohnungsbau nach dem Prinzip der Kostenmiete kann nachhaltig und langfristig der Mietpreisspirale entzogen werden», sagt Brigger zu Bajour.
Brigger ist überzeugt: «Der so definierte preisgünstige Wohnungsbau nach dem Prinzip der Kostenmiete kann nachhaltig und langfristig der Mietpreisspirale entzogen werden», sagt Brigger zu Bajour.
Er und seine politischen Mitstreiter waren in den letzten Wochen aktiv. Nicht nur auf den sozialen Medien, sondern auch im Hintergrund: Bajour hat einige Mails und Anrufe wegen des politischen Geschäfts erhalten.
Heisser Draht ins Vorzimmer des Ratshauses
Zurück zur Powerplay-Metapher: Team 2, die Handelskammer, Immobilienverbände und ein Konsortium von Investor*innen will die Motion verhindern.
Also schickt es Unterhändler*innen aufs Eis, die wacklige Parlamentarier*innen an der Hand nehmen und aufs eigene Feld führen sollen.
Mehrere Grossrät*innen bestätigen gegenüber Bajour, dass in den vergangenen Wochen mehr telefoniert wurde als vor anderen Grossratssitzungen. Viel mehr.
Berater*innen des PR-Büros Farner Consulting AG, haben im Auftrag des Investor*innen-Konsortiums Rhystadt AG demnach gezielt bei mehreren Liberalen, Mitte-Politiker*innen und einzelnen linken Politiker*innen angerufen, um sie von einem Nein zur Motion von Brigger zu bewegen. Auch ausgewählte Politiker*innen der Linken standen auf der Telefonliste der Lobbyist*innen. Um jede Stimme wird gekämpft.
Die Rhystadt AG wäre direkt von der Neudefinition von «günstigem Wohnraum» betroffen. Nebst der Swiss Life ist sie Eigentümerin eines Teil des Klybeckareals. Dort soll in den nächsten Jahren ein neues Wohn- und Arbeitsquartier entstehen.
Rhystadt-CEO Christian Mutschler höchstselbst wandte sich in einer Mail «an die Partei- und Fraktionspräsidien von FDP, GLP, Mitte-EVP, SVP und LDP» und bat, die Motion abzulehnen. Zentrales Argument: Mit der angepeilten Definition könnten sich nur noch «gemeinnützige Bauträger» und die «öffentliche Hand» an der Schaffung von preisgünstigem Wohnraum beteiligen. Private Investor*innen würden ausgebootet, ein «dirigistisches Verständnis von Wohnpolitik» werde durchgesetzt, schreibt Mutschler. Die Mail ist auch von Rhystadt-Verwaltungsratsmitglied Anita Fetz unterzeichnet.
Parallel dazu arbeiteten die Berater von Farner am Telefon. Nach den Telefonaten wurden den Angerufenen Handouts übermittelt mit den zentralen Argumenten für ein Nein. Manchmal sei auch mehrfach angerufen worden. Ein Grossrat nennt es eine richtiggehende «Bearbeitung», die stattfand. Auch persönliche Gespräche waren im Angebot, kurz, es wurde alles getan, um die Überweisung der Motion, die bei der Erstbehandlung noch eine Mehrheit hinter sich hatte, zu kippen.
Adrian Kohler, Senior Consultant und Leiter Farner Basel, bestätigt auf Anfrage die Kontakte zu Basler Parlamentarier*innen: Bei der Motion Brigger handelt es sich um ein sehr relevantes Geschäft für die Wohnbaupolitik in Basel-Stadt. Es ist zugleich eine sehr komplexe Materie. Im Auftrag von Rhystadt AG informieren wir die Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen über das komplexe Geschäft und geben die Einschätzung unserer Kundin wieder. Es handelt sich dabei um einen üblichen Vorgang.
Die Frage, wie viel sich die Rhystadt AG die Hilfe zur Meinungsbildung kosten lasse, wollte Kohler nicht beantworten.
Zu den Aufwänden machen wir keine Angaben. Die Intensität von Kontakten richtet sich jeweils nach der Relevanz und der Komplexität der Fragestellung. Die Rückmeldungen auf die Kontakte sind durchwegs positiv, und dies unabhängig von der individuellen Haltung der Gesprächspartner.
Mitte-Politiker*innen: Noch nicht alles entschieden
Die Motion Brigger war im Oktober 2021 mit 52 zu 40 Stimmen überraschend deutlich überwiesen worden. Den Unterschied machten zwischen dem Linken und dem Bürgerlichen Block mehrere Politiker*innen der Mitte wie zum Beispiel die drei GLP-Grossrät*innen Bülent Pekermann, Claudia Baumgartner und Johannes Sieber und vier von neun Grossrät*innen aus der Mitte-EVP-Fraktion, darunter Daniel Albietz.
Er habe in den letzten Wochen tatsächlich eine erhöhte Überzeugungsarbeit registriert, sagt der Riehener Mitte-Grossrat Albietz auf Anfrage. Bislang konnte er nicht umgestimmt werden. «In der Wohnpolitik wird so oft mit dem Begriff ‘preisgünstig’ gearbeitet. Ich finde es sinnvoll, dass wir uns da auf eine verbindliche Definition einigen.»
Die GLP hat das Geschäft bei ihrer Fraktionssitzung von Montagabend diskutiert. «Abgestimmt ist erst, wenn gedrückt ist, aber die Fraktion der Grünliberalen wird das Anliegen voraussichtlich grossmehrheitlich als Anzug überweisen», sagt Grossrat Johannes Sieber. Die Umwandlung entspricht der Forderung des Regierungsrats. Dass in den Tagen und Wochen vor den Märzsitzungen des Grossen Rats derart lobbyiert wurde zeige, sagt Sieber, «dass das Thema Wohnen weiterhin virulent ist und die Lösung nicht so einfach auf der Hand liegt, wie in anderen Fällen».
Er habe übrigens nicht nur Post von Investoren erhalten. Auch die andere Seite, namentlich die Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz (WBG NWCH), hätten Abstimmungsempfehlungen verschickt. Brigger sitzt dort im Vorstand.
In der Tat ist das Geschäft als weitere Etappe einer umkämpften Boden- und Wohnpolitik zu verstehen, in der die Linke hartnäckig darum ringt, steigenden Mietpreisen mittels Eingriff in den Wohnbaumarkt einen Riegel zu schieben. Sie tut das an mehreren Fronten: Motionär Brigger ist unter anderem auch Teil des Komitees der Initiative «Basel baut Zukunft», die noch weitergeht als sein Vorstoss. Sie fordert auf Entwicklungsarealen 50 Prozent gemeinnützigen Wohnraum.
Eine Klage gegen die Initiative Basel baut Zukunft wurde soeben vom Appellationsgericht abgewiesen. Die Kläger*innen akzeptieren das Urteil. Und erst im November hat die Bevölkerung die Initiative «für echten Wohnschutz» angenommen, welche die Hälfte der Basler Wohnungen vor Renditesanierungen erhöhen will.
Vor diesem Hintergrund ist auch das Lobbying der Investor*innen zu verstehen: Politisch haben die Linken das Momentum auf ihrer Seite. Eigentümer*innen müssen fürchten, dass sich ihre Investitionen mit jedem weiteren Regulierungsschritt weniger rechnen.
Wir lieben es. Du auch? Dann Bajour-Member werden und noch mehr über die Basler Politik lesen.