Das sagen die ED-Kandidaten zu den Sorgen der Lehrer*innen
Wir haben Lehrer*innen danach gefragt, welche Probleme sie derzeit beschäftigen. Das sind die drängendsten Baustellen – und das sagen die potenziellen Erziehungsdirektoren Mustafa Atici und Luca Urgese dazu.
Bei der Kantonalen Schulkonferenz am 13. März diskutierten sämtliche Lehrpersonen, die in Basel arbeiten, über die Erwartungen und Wünsche an die Schule. Wir waren vor Ort und haben mit Lehrpersonen darüber geredet, wo der Schuh drückt. Die Anliegen haben wir auch in unserer Frage des Tages vom 13. März 2024 gesammelt.
Welche Lösungsansätze haben die beiden Regierungskandidaten Mustafa Atici (SP) und Luca Urgese (FDP) für die drängensten Probleme? Wir haben sie mit drei häufig genannten konfrontiert.
– Antonia, Primarlehrerin
Primarlehrerin Antonia: «Der Raum, beziehungsweise der Platzmangel ist bei Primarschulen und Kindergärten ein grosses Thema und die integrative Schule in der Primarschule. Wie kann man Kinder mit psychosozial komplexen Situationen, solche mit Verhaltensauffälligkeiten und jene mit Lernschwierigkeiten betreuen und alles unter einen Hut bringen. Ausserdem werden die Anforderungen an die Lehrpersonen immer höher – also der administrative Aufwand, die Schülerinnen und Schüler zu integrieren, die Elternarbeit, die Digitalisierung und alles drumherum. Das Gesamtpaket würde ich sagen.»
– Mustafa Atici, SP
Mustafa Atici: Dass wir jetzt ein grosses Raumproblem haben, hat viel mit einer nicht vorausschauenden Planung zu tun. In unserem flächenmässig kleinen Kanton ist das schwierig, da wir nicht unendlich Platz haben. Es ist daher nötig, dass die Abläufe in der Verwaltung verkürzt und optimiert werden. Schüler*innenzahlen können besser berechnet werden, wenn frühzeitig die Frage nach mehr Schulraum geklärt und aufgegleist wird. Und es kommt dazu, dass sich die Schulen und der Unterricht in den letzten Jahren sehr verändert haben. Es muss mehr attraktiver und funktional guter Raum zur Verfügung stehen. Es braucht flexiblere Klassenzimmer und Gruppenräume.
Die integrative Schule braucht dringend weitere Massnahmen. Es braucht eine effektive Entlastung in Schulklassen, in denen besonders starke Integrationsleistungen zu erbringen sind. Es sind gute Vorschläge da: Heilpädagogisch unterstützte temporäre Kleinförderklassen, die das Ziel haben, Kinder wieder in die Regelklassen zurückzubringen; Teamteaching, also der Einsatz von Zweierteams mit pädagogisch und sozialpädagogisch ausgebildeten Personen vor allem in der Schuleingangsstufe und danach in den Klassen mit einer starken Belastung.
Damit die Lerninseln nachhaltig sind und dem Kind helfen, braucht es eine gute Zusammenarbeit zwischen der Klassenlehrperson und der*dem Sozialpädagog*in, zu dem das Kind in die Lerninsel geht. Ein Kind ist nicht einfach «verhaltensauffällig», es kann unterschiedlichen Gründe dafür geben. Um dem Kind zu helfen, braucht es eine sorgfältige Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen, Sozialpädagog*innen und Eltern – da setze ich ganz auf Dialog.
– Luca Urgese, FDP
Luca Urgese: Dieses Statement spricht viele wichtige Punkte gleichzeitig an. Der Bedarf an weiterem Schulraum bleibt anhaltend hoch. Vor über zehn Jahren gab es eine Schulraumoffensive, ein schweizweit einmaliges Grossprojekt für 790 Millionen Franken. Das hat nicht gereicht. Wir brauchen deshalb eine neue Schulraumoffensive.
Lehrpersonen möchte ich unter anderem mit «Supportteams Elternarbeit» konkret entlasten. Diese mehrsprachigen Teams sollen Eltern z.B. über unser duales Bildungssystem aufklären und sie als wichtige Bezugspersonen für die Schule mit ins Boot holen.
Digitalisierung macht nur Sinn, wenn sie auch zu einfacheren und effizienteren Prozessen führt. Da müssen wir besser werden. Und ich meine, dass wir in der integrativen Schule mehr Ruhe in die Klassenzimmer bringen müssen. Unter anderem mit Förderklassen, wenn Kinder nicht fähig oder willens sind, sich in einen Klassenverband einzufügen.
– Andraina und Nicole, Kindergärtnerinnen
Andraina und Nicole arbeiten als Kindergärtnerinnen im Kindergarten Rennweg. Sie sagen: «Es fehlen personelle Ressourcen – mehrheitlich bei der Logopädie, aber auch bei der Doppelbesetzung im Kindergartenalltag. Es kommen immer mehr Kinder, die mehr Ressourcen brauchen, und deshalb sollte man mehr Personal kriegen, das zur Unterstützung da ist.»
– Mustafa Atici, SP
Mustafa Atici: Im Kindergarten wird eine wichtige Basis gelegt, darum braucht diese Stufe auch grösste Aufmerksamkeit und Ressourcen. Seit einiger Zeit werden mehr Logopäd*innen ausgebildet. Aber trotzdem fehlen zur Zeit viele ausgebildete Logopäd*innen. Dass die Kindergärten besser ressourciert werden, ist dringend nötig. Je schneller und früher Kinder mit besonderen Bedürfnissen adäquat unterstützt werden können, umso einfacher haben sie es in ihrer späteren Schulkarriere.
– Luca Urgese, FDP
Luca Urgese: Es ist klar, dass mehr Kinder auch mehr Ressourcen benötigen. Ich finde es deshalb richtig, dass der Regierungsrat dem Grossen Rat bereits konkret höhere Kindergarten- und Logopädie-Ressourcen beantragt hat. Sobald das Parlament das beschlossen hat, kann das umgesetzt werden.
Weil die Ressourcen für die Kindergärten neu in einem eigenen Pool zusammengefasst werden, wird sichergestellt, dass diese auch effektiv im Kindergarten eingesetzt werden. Ob Doppelbesetzungen oder andere geeignete Förderformen besser sind, sollen die Schulleitungen vor Ort entscheiden können.
– Anonyme Lehrerin
Eine anonyme Lehrerin, die im Schulheim mit Erst- bis Viertklässler*innen arbeitet, erklärt: «Ein grosses Problem ist die Frühförderung. Es sollte frühzeitig erkannt werden, wenn ein Kind ein Umfeld hat, das nicht wirklich fördern kann, das schwierig ist, wo Vernachlässigung stattfindet. Doch die Personen, die in der Frühförderung arbeiten, werden nicht gleichgesetzt mit Lehrpersonen. Sie haben eine weniger fokussierte Ausbildung. In Ländern, in denen die Frühförderung einen grösseren Stellenwert hat, in denen auch wirklich hochqualifizierte Personen dort arbeiten, können Dinge aufgefangen werden, die bei uns zu spät gesehen werden.»
– Mustafa Atici, SP
Mustafa Atici: Eines meiner wichtigen Ziele ist, dass die Frühförderung in allen Bereichen funktioniert. Es geht allgemein um Basiskompetenzen, wie z.B. Feinmotorik. Alle Kinder und ihre Familien sollten unterstützt werden, wenn dies notwendig ist. Unter Frühförderung verstehe ich mehr als Sprachunterricht. Es heisst auch: Talente und Kompetenzen fördern, zum Beispiel im Sport oder in der Musik. Es heisst auch: Kinder und Familien unterstützen, wenn es Probleme gibt; Familien nicht allein lassen. Sie erhöhen die Chancen auf einen guten Einstieg ins Leben deutlich. Wichtig ist auch, das Selbstwertgefühl der Kinder früh zu stärken.
Die Arbeitsbedingungen und die Löhne im Frühbereich sollten unbedingt attraktiv sein. Das ist ein Problem. Das sehen wir bei der Spielgruppenthematik. Sie ist von gesellschaftlicher Relevanz, aber wird als «Nice to Have» behandelt. Tatsächlich brauchen wir in diesem Bereich hochqualifizierte Menschen. Es geht nicht nur darum, Kinder zu betreuen, sondern sie spielerisch in den unterschiedlichsten Bereichen zu fördern. Spielgruppen wäre da ein wichtiger Teil, um die Frühförderung zu stärken.
– Luca Urgese, FDP
Luca Urgese: Wir können mit Frühförderung schon früh die richtigen Weichen für die Entwicklung eines Kindes stellen. Das gilt einerseits bei der Sprache, weshalb wir erst im Dezember im Grossen Rat einen Ausbau der obligatorischen Sprachförderung beschlossen haben. Aber auch bei anderen Kompetenzen, z.B. Frustrationstoleranz, Konzentration etc., kann Frühförderung viel Positives bewirken. Die Nachfrage nach solcher Förderung steigt, weshalb auch hier bereits ein konkreter Antrag des Regierungsrates an den Grossen Rat für mehr Ressourcen auf dem Tisch liegt, was ich sehr unterstütze.