«Politik kann Position beziehen. Wir möchten das explizit nicht»
Es war ein bewegtes Jahr an der Uni Basel: Im Mai wurden mehrere Gebäude besetzt und auch heute beschäftigt die Debatte über den Nahostkonflikt die Institution. Zudem wurden Vorwürfe wegen sexueller Belästigungen laut, die mehrere Jahre zurückliegen. Mediensprecher Matthias Geering blickt im Interview auf die Geschehnisse zurück.
Das Jahr 2024 war für die Uni Basel bewegt. Wie haben Sie es erlebt?
Die Uni und ihre Angehörigen sind eine Art Abbild der Gesellschaft, das haben wir dieses Jahr besonders gespürt. Die politische Kommunikation stand stark im Vordergrund, und das war nicht nur für die Uni, sondern für die Gesellschaft als Ganzes eine Herausforderung.
Haben Sie ein Beispiel?
Zu Beginn des Jahres stand der Fachbereich Urban Studies aufgrund von einer Doktorarbeit in der Kritik. Das war eine sehr schwierige Zeit für das entsprechende Departement, aber auch für die Unileitung. Die Stimmung in der Gesellschaft und auch an der Uni war emotional aufgeladen, zumal der Krieg in Gaza andauerte. Die Situation hat sich dann weiter zugespitzt.
Matthias Geering ist seit Anfang 2011 Leiter Kommunikation und Marketing der Universität Basel. Neben seinem Studium an der ETH Zürich war er freier Sportjournalist und Pressechef des Schweizer Squashverbandes. 1995 wurde er in die Chefredaktion der Basler Zeitung berufen und war von Januar 2007 bis im August 2010 deren Chefredaktor. Von 2003 bis 2020 war Geering zudem Dozent mit Lehrauftrag im Bereich PR/Kommunikation an der Fachhochschule Nordwestschweiz.
War die Unileitung teilweise überfordert? Aus Sorge vor einer möglichen Besetzung wurde im Mai der Zugang zur Uni beschränkt, wenige Stunden später wurde das Bernoullianum dennoch besetzt.
Nicht über-, aber herausgefordert, und da waren wir in bester Gesellschaft mit anderen Universitäten in der Schweiz und weltweit. Wir wollten Gewalt verhindern, und haben deshalb den Zutritt zu den Gebäuden eingeschränkt. Natürlich kann man im Nachhinein sagen, wir hätten strenger oder lockerer sein müssen. Das ist Spekulation.
Gibt es an der Uni eine Kommunikations- oder Krisenstrategie, an der Sie sich orientieren können?
Für derartige Situationen haben wir keine fixfertigen Kommunikationskonzepte, die man aus der Schublade ziehen könnte. Wir sind als Unileitung relativ schlank und agil aufgestellt, und die Wege zwischen dem Rektorat, dem Unirat und mir sind sehr kurz. Das ist wichtig, um rasch agieren zu können. Daher brauchen wir in solchen Situationen keine übergeordneten Konzepte. Ich bezweifle auch, dass sie in diesem Fall geholfen hätten. Ich kann nur sagen, dass wir von Beginn an in Kontakt mit allen beteiligten Gruppierungen waren und immer signalisiert haben: Unsere Tür steht offen.
Was genau heisst: Unsere Tür steht offen?
Ich habe immer mit den Pro-Palästina-Aktivist*innen, aber auch mit besorgten Studierenden und Dozierenden gesprochen und deren Anliegen geprüft.
Die Rektorin auch?
Teilweise. Es muss aber auch nicht immer die Rektorin sein. Wichtig ist, dass die Anliegen ernst genommen und bestenfalls umgesetzt werden können. Gleichzeitig habe ich allen Gruppierungen klar gemacht, dass eine politische Positionierung der Universität nicht zur Debatte steht.
«Man kann ein Gremium nicht zum Gespräch zwingen, indem man ein Gebäude besetzt.»Matthias Geering
Also dass ein Verzicht auf jegliche Kooperationen mit israelischen Institutionen für die Universität nicht infrage kam.
Genau. Das ist aus unserer Sicht bis heute der richtige Entscheid. Wir haben schnell gemerkt, dass Forderungen im Raum stehen, die wir nicht erfüllen können. Als die Uni besetzt wurde, haben wir klar gemacht, dass wir erst wieder in einen Dialog treten, wenn der Weg der Illegalität verlassen und die Besetzung aufgelöst wird.
Sie haben im besetzten Bernoullianum versucht, mit den Aktivist*innen zu sprechen und wurden ausgebuht, weil die Student*innen mit der Rektorin Andrea Schenker-Wicki sprechen wollten. Warum war sie nicht vor Ort?
Die Besetzenden erwarteten eine Antwort der Universitätsleitung, und ich überbrachte diese im Auftrag des Rektorats. Es ist schwierig, wenn ein Kollektiv, bei dem keine Person mit Namen hinsteht, gleichzeitig die höchste hierarchische Person auf der anderen Seite, sprich der Uni, einfordert. Man kann das Rektorat nicht erpressen. Wir haben für uns den Vergleich mit Corona gemacht: Wären da Impfgegner*innen gekommen, die ein Gebäude besetzt und gesagt hätten: «Wir gehen erst raus, wenn ihr die Zertifikatspflicht aufhebt», hätte man dann die gleichen Sympathien ausgesprochen wie im aktuellen Fall?
Sie haben sich also nicht vom Rektorat im Stich gelassen gefühlt?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe gesagt, ich gehe dahin. Ich scheue die Debatten nicht und wollte den Spielraum aufzeigen, den wir haben. Leider ohne Erfolg. Es waren ja auch sehr viele Menschen vor Ort, die nicht der Universität Basel angehörten. Das waren auch die treibenden Kräfte, die einen Dialog verhinderten.
Die Uni hat also versucht, dialogisch und nicht repressiv zu agieren?
Absolut. Ich habe Sichtbarkeit gezeigt. An den Demos war ich immer irgendwo in der Nähe auf einer Bank, habe zugeschaut und signalisiert: Ich bin da. Mein Draht zum Rektorat ist sehr kurz. Im Namen der Universitätsleitung habe ich deshalb auch im Bernoullianum Gesprächsbereitschaft angeboten, fand die Stimmung dann aber sehr aggressiv und ungemütlich.
Andrea Schenker-Wicki hat im Zuge der Besetzungen ein BaZ-Interview gegeben, sich sonst aber nicht geäussert. Warum hat sie mit ihren Studierenden über die Medien kommuniziert?
Es war klar: Solange eine illegale Besetzung läuft, redet das Rektorat nicht direkt mit den Studierenden. Man kann ein Gremium nicht zum Gespräch zwingen, indem man ein Gebäude besetzt.
Wie stand es um den Austausch mit Mitarbeitenden der Uni? Es gab ja auch einen offenen Brief von Dozent*innen und Professor*innen, die sich hinter die pro-palästinensischen Aktivist*innen gestellt haben.
Im letzten Mai spürten viele eine Dynamik und einen Druck, sich im Nahostkonflikt positionieren zu müssen. Das war nicht nur innerhalb der Uni der Fall. Wir hatten in der Uni natürlich auch Sympathisant*innen mit den Besetzenden, aber auch viele Stimmen, die konträr zu dem waren, was gefordert wurde. Die waren einfach nicht so laut und nicht öffentlich.
«Für die politischen Parteien ist die Uni eine ideale Projektionsfläche für ihr jeweiliges Gesellschaftsideal.»Matthias Geering
Was hatten diese leisen Stimmen gefordert?
Sie wollten in Ruhe studieren und unterrichten können. Wir sollten den Betrieb aufrechterhalten, wurde gefordert. Wir sollten endlich durchgreifen und für Ordnung sorgen. Uns erreichten sehr viele verschiedene Anliegen, und das war intern eine Herausforderung. Der Druck seitens der Politik war aber auch sehr gross.
Was forderte die Politik?
Für die politischen Parteien ist die Uni eine ideale Projektionsfläche für ihr jeweiliges Gesellschaftsideal. Die Bürgerlichen haben von uns gefordert, dass wir gegenüber den Besetzenden durchgreifen und uns eher autoritär verhalten. Und die Linken haben gesagt, solche Debatten gehörten zu einem studentischen Leben, Unis seien ein Ort der Auseinandersetzung. Da müsse man auch mal Widerstand leisten können. Normalerweise findet eine solche Debatte in einem Parlament statt. Doch plötzlich war der Anspruch da, dass die Uni-Leitung all diese konträren Vorstellungen umsetzt, was schlicht nicht machbar war. Es war schwierig, der Politik klarzumachen, welchen Spielraum wir haben. Politik kann Position beziehen. Die Universität jedoch ist keine politische, sondern eine wissenschaftliche Institution.
Dürfen die Mitarbeitenden der Uni Position beziehen?
Wenn sie ihre Position akademisch begründen können, dann sicher. Politische Positionen zu äussern ist heikel und in gewissen Disziplinen sicher eine Gratwanderung. Wenn Wissenschaftler*innen zunehmend politische Positionen beziehen, riskieren wir auch, dass sich Politiker*innen in die Wissenschaft einmischen. Das haben wir während Corona erlebt. Das wollen wir nicht erneut riskieren.
Im Mai kamen die pro-palästinensischen Studierenden-Proteste auch in Basel an. Gebäude der Universität Basel wurden mehrfach besetzt, wodurch in der Prüfungsphase der reguläre Betrieb gestört wurde. Die Besetzer*innen forderten die Unileitung auf, die Kooperation mit israelischen Institutionen auszusetzen, solange der Krieg in Gaza andauert. Dazu war die Unileitung nicht bereit und folglich kam es nach Vermittlungsversuchen zur Räumung.
Wurde Angestellten auch mit Konsequenzen gedroht, sollten Sie sich mit den Besetzer*innen solidarisieren?
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jenen mit Konsequenzen gedroht haben, die sich solidarisiert haben. Aber es war klar: Wer sich zu den Besetzenden gesellt, riskiert eine Loyalitätsverletzung. Es gab einen Doktoranden, den ich darauf hingewiesen habe, dass seine Posts in den Sozialen Medien arbeitsrechtlich zu einer fristlosen Kündigung führen könnten. Ich habe das getan, um ihn zu schützen.
Letzte Woche fand ein Podium zum Thema Nahost an der Uni statt. Einige Studierende sagten, sie hätten das Vertrauen in die Institution verloren. Wie wollen Sie das zurückgewinnen?
Ehrlich gesagt hat auch die Uni in gewissen Punkten das Vertrauen verloren. Sowas passiert ja nicht nur einseitig. Ausserdem sehen wir nun nicht nur die Uni-Leitung, sondern die Fakultäten in der Verantwortung.
Inwiefern?
Die Fakultätsleitungen sind verantwortlich für das Lehrangebot. Das Rektorat hat andere Aufgaben, und wir sind aktuell in einer anspruchsvollen Situation, weil wir Gespräche mit den Trägerkantonen führen. Andrea Schenker-Wicki ist extrem gefordert. Diese Verhandlungen sind nicht delegierbar und für die Entwicklung der nächsten Jahre und Jahrzehnte wichtig für die Uni.
«Wir können die Fälle nicht ungeschehen machen, aber wir haben daraus Konsequenzen gezogen.»Matthias Geering
Aktuell steht die Uni im Fokus, weil zwei Professoren der sexuellen Belästigung beschuldigt worden sind. Vor wenigen Tagen hat sich die Vizerektorin Nadja Braun Binder geäussert. Warum erst jetzt – und warum hält sich die Rektorin zurück?
Nadja Braun Binder ist hier öffentlich aufgetreten, weil sie das Dossier «persönliche Integrität» als Vizerektorin People & Culture verantwortet. Zum Zeitpunkt der Kommunikation: Es ist immer einfach zu fragen, ob die Reaktion zu früh oder zu spät war. Wir reden hier von Fällen, die Jahre zurückliegen. Und das Problem ist in beiden Fällen, dass wir als Universität relativ wenig Spielraum in der Kommunikation haben.
Aufgrund der rechtlichen Vorgaben?
Das Problem ist, dass die Universität viele Dinge aufgrund des Persönlichkeitsrechts nicht kommunizieren darf.
Was halten Sie davon, wenn der Uni nun Täterschutz vorgeworfen wird?
Mir ist wichtig zu sagen, dass beide betroffenen Frauen der Uni gegenüber damals kommuniziert haben, dass die Verfahren ihrer Ansicht nach gut gelaufen sind. Das war allerdings lange bevor die Medien eingeschaltet wurden.
Also war es für Sie eher überraschend, dass die Fälle nochmal aufkamen?
Ja. Ich kann versichern, dass die Uni aus den Fällen gelernt hat. Wir können die Fälle nicht ungeschehen machen, aber wir haben daraus Konsequenzen gezogen und Massnahmen eingeleitet: Die Reglemente wurden überarbeitet und verschärft, seit 2020 gibt es den Code of Conduct und eine Anlaufstelle für betroffene Personen, die zum 1. Januar 2025 ausgebaut wird.
«Selbstverständlich möchten wir, dass sich die Studierenden an der Uni sicher fühlen.»Matthias Geering
Die beiden Professoren, die beschuldigt wurden, lehren weiterhin. Wie ist die Situation, nachdem ihre Namen in der Öffentlichkeit bekannt sind?
Das dürfen wir nicht sagen. Wir sind mit beiden in Kontakt, und wir haben ihnen gegenüber eine Fürsorgepflicht.
Und wie gehen Sie mit Studierenden um, die mehr Transparenz fordern?
Am Montagmorgen haben wir uns mit einer Delegation der Skuba und der Assistierenden-Vereinigung Avuba getroffen, das war ein sehr konstruktives Gespräch. Wir konnten noch nicht alle Punkte besprechen, aber wir bleiben im Dialog. Selbstverständlich möchten wir, dass sich die Studierenden an der Uni sicher fühlen. Das nehmen wir sehr ernst.
Sie bleiben also am Thema?
Unbedingt. Wir haben nicht das geringste Interesse, das Thema vom Tisch zu wischen.
Bitte werfen Sie noch einen Blick auf 2025.
Für das kommende Jahr wünsche ich mir einen Dialog, der herausfordernd und konstruktiv ist, damit wir uns als Uni weiterentwickeln. Denn eine Universität soll ein Ort sein, an dem die Gesellschaft weitergedacht wird. Wir sollten uns zugestehen, dass sich unsere Gesellschaft stetig weiterentwickelt. Dabei können und sollen Universitäten eine wichtige Rolle spielen.