Die grosse Ernüchterung
Basel-Stadt schafft den Sprung in den Bundesrat nicht, Eine Niederlage für Basel-Stadt, eine Niederlage für die urbane Schweiz. So berichten die Medien am Tag nach der Bundesratswahl.
«Danke, Eva Herzog.» Nach dem ersten Schock über ihre Nicht-Wahl las man diese Dankesbekundung auf den Social-Media-Känälen diverser Politiker*innen aus der Region. «Wir sind stolz, hast Du unsere Region als urbane und hochkompetente Kandidatin der Landesregierung in Bern vertreten», schreibt beispielsweise Jo Vergeat, Grossratspräsidentin und Mitglied des Jungen Grünen Bündnis, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
Emotionen wurden am gestrigen Mittwoch gross geschrieben. Von Schock, Enttäuschung und Leere berichtet die BaZ, Journalist Sebastian Briellmann wähnt sich gar an einer Beerdigung. Die bz schreibt von langen Gesichtern; selbst bei Bürgerlichen (Baselbietern) sei das Bedauern gross.
Doch Basel zeigte sich alsbald souverän und gratulierte der jurassischen Ständerätin aus dem ländlichen Les Breuleux, Elisabeth Baume-Schneider, der «Kandidatin der Herzen», wie auch Politikwissenschafter Mark Balsiger sie in einem Interview mit der bz nannte.
Aber wie kam es zu diesem überraschenden Sieg der Schwarznasenschafhalterin, galt Herzog doch lange Zeit als klare Favoritin?
Das politische Bern hat sich «nach ein bisschen guter Laune, Fröhlichkeit und Zugänglichkeit gesehnt», schreibt die NZZ in ihrem Wahlkommentar. Dies habe die plötzliche Offenheit gezeigt, mit der die in Bern vertretenen Bauern, die halbe SVP-Fraktion und sogar mehrere Mitglieder der anfänglich zurückhaltenden FDP auf Baume-Schneider reagierten. So wird Baume-Schneider als «die fröhlichste Bundesratskandidatur seit Adolf Ogi» bezeichnet. Doch, meint Inlandchefin Christina Neuhaus, weiter: «Wenn sie nicht nur eine beliebte, sondern auch eine gute Bundesrätin werden will, muss sie sich nun in die Dossiers knien.» So habe die zeitweise unterkühlt bis machiavellistisch wirkende Landesregierung zwar etwas menschliche Wärme nötig. Aber: «Allein mit guter Laune lässt sich nicht einmal ein Land regieren, das ‹Benissimo› für den Gipfel der fröhlichen TV-Unterhaltung hält.»
Andersrum analysiert Onlinereports, Eva Herzog habe im Umgang «einen Stil der Arroganz entwickelt, der sich bald unverkennbar als ihre grosse Schwäche erwies». Und: «Ihr ernster, zuweilen als strafend empfundener Blick war gefürchtet. Sie trat nicht nur selbstbewusst auf, sondern zunehmend autoritär.» Dennoch sei das Ausscheiden der Favoritin «eine Schmach für Basel».
Der Blick schreibt gar von einem regelrechten Coup – dank FDP-Stimmen. So soll Parteipräsident Thierry Burkart am Morgen vor der Wahl seiner Fraktion Folgendes mitgeteilt haben: «Wolle man der FDP helfen, sollte man Baume-Schneider wählen.» Keine Deutschschweizer Vertretung im Bundesrat und keine Städterin wie die Baslerin Herzog zu haben, schade der SP nämlich, so die Begründung. Burkart selbst spricht nicht von einer Wahlempfehlung, sondern von einer «Einschätzung». Wie der Blick weiter spekuliert, stecke hinter dieser «Einschätzung» Bundesrätin Karin Keller-Sutter, auch KKS genannt, die ins Finanzdepartement wechseln wolle. «Darum durfte keine ehemalige Finanzdirektorin wie Herzog in den Bundesrat einziehen.»
Die WOZ berichtet vom selben «Gerücht», doch Kaspar Surber möchte Politik weiterhin vom Inhalt her denken, wie er auf Twitter schreibt. «Linke SPler und Grüne wählten Baume-Schneider deswegen». In seinem Artikel kritisiert er zwar: «Statt einen Bundesrat hat die Schweiz nun also einen Bauern- und Bäuerinnenrat.» Freuen über die Wahl tut sich der Städter trotzdem, es gehe schliesslich um «die soziale Frage».
Die bz findet ebenso, die Wahl von Baume-Schneider sei «ein Sieg der ländlichen Schweiz». Kein Wunder, habe am Mittwoch Bauernpräsident Markus Ritter am meisten gestrahlt. Die grossen Verlierer seien die Städte, die Orte des Fortschritts, die Treiber gesellschaftlicher Entwicklungen und des wirtschaftlichen Wachstums. Die Städte erhielten am Wahltag gleich eine doppelte Klatsche, heisst es weiter. So blieb nebst Herzog auch der Stadtzücher SVP-Kandidat Hans-Ueli Vogt chancenlos. Gewählt wurde stattdessen der Milchhändler Albert Rösti (auf Watson kannst du seine Antrittsrede nachschauen). Dabei würde dem Siebnergremium auch eine urbane Sichtweise auf das Land guttun. Dieses entscheidet übrigens bereits heute Donnerstag über die Departementsverteilung, die bz prophezeit einen holprigen Start.
Auch das SRF-Regionaljournal kritisiert die Untervertretung der urbanen Regionen (und spricht mit Eva Herzog über ihre Niederlage. Gefasst sagt diese: «Es ist, wie es ist - es hat nicht sein sollen.») Und bz-Chefredaktor Patrick Marcolli schreibt: «Vögte und Herzöge, zumal urbaner Herkunft, will man in diesem Land lieber nicht in der Regierung haben.» Das sei nicht nur aus lokalpolitischer Sicht zu bedauern. «Die Perspektive, dass die grossen Städte und Agglomerationen mit ihren Anliegen im Bundesrat nicht über genügend Fürsprecherinnen und Fürsprecher verfügen, ist keine gute; weder aussenpolitisch, wirtschaftspolitisch, kulturell noch lebensweltlich.»
Ähnlich sieht es Thomas Dähler von der BaZ: «Die Niederlage der Baslerin Eva Herzog ist auch eine Niederlage der urbanen Schweiz.» Elisabeth Baume-Schneider, kurz EBS, habe im Bundesparlament, das in seiner Mehrheit ebenfalls ländlich geprägt ist, die Herzen für sich zu gewinnen vermocht. Symptomatisch sei die Präsenz der Jurassier*innen am Wahltag auf dem Bundesplatz gewesen, wo weit und breit keine Basler*innen gesichtet worden seien, als sich die Parlamentarier*innen am Morgen einfanden.
Hier das Basel Briefing abonnieren.