Der Mensch mal nicht im Mittelpunkt
Das Museum der Kulturen Basel zeigt in der neuen Dauerausstellung «Alles lebt – mehr als menschliche Welten», wie ein bewusstes Miteinander zwischen den Lebewesen aussehen könnte.
Kleine grinsende Tonkrüge, Feuergeister, Landwirtschaftsformen oder Netzskulpturen füllen die Ausstellungsräume im zweiten Stock des Museums der Kulturen. Hier bekommt man die Möglichkeit, in eine komplexe Welt von Gemeinschaften einzutauchen. Eine Welt, in der miteinander und nicht gegeneinander gelebt wird. Pflanzen, Berge, Flüsse, Seen, Pilze, Tiere und Geistwesen werden nicht nur als Schattenspender, Energielieferant, Märchenfiguren oder Nutzobjekte gesehen, sondern als Teil der Gemeinschaft.
Das Museum zeigt anhand von 165 Objekten aus der Sammlung des MKB, wie andere Kulturen mit ihrer «Mitwelt» leben und welche Erfahrungen sie damit machen. «Indigene Völker achten auf ein respektvolles Miteinander und schauen, dass Geben und Nehmen in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen», sagt Ursula Regehr, Kuratorin der Ausstellung.
Ursula Regehr ist Sozialanthropologin und seit 2021 Kuratorin im Museum der Kulturen Basel.
Auch wenn Probleme des Klimawandels im Fokus stehen, gehe es bei der Ausstellung aber nicht darum, «Katastrophen-Bilder» zu zeigen, erklärt Regehr. Die Besucher*innen sollen dazu angeregt werden, über ein neues Miteinander aller Wesen dieser Welt nachzudenken, indem sie in unbekannte Praktiken und Lebensrealitäten eintauchen.
Wie dieses Miteinander zum Beispiel aussehen könnte, sieht man im ersten Ausstellungsraum.
In der Mitte steht ein geschnitzter Baumpfahl, gleich dahinter ein Abbild eines Baumes mit Kohle gezeichnet. Es handelt sich dabei um ein «thulu», die unter anderem für die Kamilaroi-Gemeinschaft, eine indigene Nation in Australien, von grosser Bedeutung sind: thulu materialisiert sich in Ritualen, Erinnerungen und Praktiken, aber auch in Form von Gefässen, Werkzeugen, Grabstöcken und vielem mehr. thulu verfügen über Handlungsfähigkeiten, üben eine Kraft aus und erzählen alle eine eigene Geschichte. Ebenfalls wird die Rinde genutzt, aber nicht komplett entfernt, sodass der Baum weiterlebt. Die Verbindung zwischen dem thulu der Ausstellung und Gemeinschaft wurde in einer Zeremonie von seinen Nachkommen wiederhergestellt. Er ist ein Vorfahre, der rituelles Wissen und Praktiken verkörpert und wird zukünftig wieder heimkehren.
Heimkehr ist im Allgemeinen eine Thematik, mit der sich das Museum der Kulturen vermehrt auseinandersetzen muss: Seit einem Jahr ist die Sammlung in digitaler Form zugänglich, sodass man online die Bestände einsehen kann. Mit Hilfe dieser Form sollen sich «Herkunftsgemeinschaften» beim Museum melden, damit Objekte zurückgeführt werden können, da nicht alle Ausstellungsstücke rechtmässig den Weg ins Museum gefunden haben. Bei der Ausstellung verweisen kleine Begleittäfelchen auf die Herkunft.
2022 hat der Regierungsrat Basel-Stadt ab diesem Jahr 250'000 Franken für Provenienzforschung eingeplant, der Grosse Rat hat den Betrag auf eine Million Franken gestärkt. Bei dieser Forschung geht es darum, die Herkunftsgeschichte der Objekte und Sammlungsbeständen in die Museumsarbeit aufzunehmen. «Die Regierung unterstützt das kulturpolitisch wichtige Engagement der Museen, aktiv und systematisch Provenienzforschung zu betreiben. Auch wenn jeder Fall einzeln beurteilt werden muss – es geht darum, Schritt für Schritt Klarheit über die Herkunft unserer Sammlungen zu gewinnen und die Forschungsergebnisse transparent zu kommunizieren», erklärte Regierungspräsident Beat Jans in einer Medienmitteilung.
In einem weiteren Raum stehen auf organisch geformten Ausstellungspodesten kleine Tonkrüge. Die Seelen der Mafa-Vorfahren (Ethnie aus Westafrika) nehmen nach dem Tod in diesen rundlich grinsenden Gefässen Platz und bleiben so für die Angehörigen im Haus anwesend.
Eine Arbeit, die ebenfalls auffällt, ist der «Baumriese» des Instituts für Textiles Forschen Basel. Das mehrere Meter hohe Geflecht wächst durch Knüpfen der Besucher*innen weiter und wurde von den Tagebuchzeichnungen Bruno Mansers inspiriert. Zum ersten Mal können im Museum 20 Seiten der Manser-Tagebücher betrachtet werden.
Das Thema Verflechtung und Verknüpfung zieht sich durch die gesamte Ausstellung. Hängende Installationen aus Netztaschen oder Tragekörbe in Reisanbau-Abbildungen stechen einem dazu ins Auge.
Die Ausstellung zeigt alternative Lebensformen auf, die viele nicht kennen, obwohl sie manchmal gar nicht so weit weg sind: In einem Raum steht eine «Suone», also eine historische Wasserleitung aus dem Kanton Wallis. Mithilfe solcher Wasserleitungen wird noch heute Wasser in trockene Gebiete gebracht. Früher regelte man ganz genau, wer wie viel Wasser zur Bewässerung brauchen durfte, damit eine gerechte Verteilung stattfinden konnte. Auf kleinen Hölzern, «Wässertesseln» genannt, wurde die Wasserregelung durch Einkerbung und Hauszeichnung dokumentiert.
Ein bewusster Umgang mit Ressourcen war nicht nur damals schon wichtig, sondern ist heutzutage umso aktueller. Die Ausstellung erinnert daran und präsentiert Ideen für ein neues Miteinander, «um der Erde eine Zukunft zu ermöglichen». Es wird ganz bewusst auf den Begriff «Umwelt» verzichtet. Verschiedene Wesen sind voneinander abhängig, aber der Mensch sollte nicht im Mittelpunkt stehen, sondern gehört zu den Akteur*innen dazu.
Am 07.09.2023 findet die Vernissage der neuen Dauerausstellung «Alles lebt – mehr als menschliche Welten» im Museum der Kulturen Basel statt.
Öffnungszeiten ab dem 08.09.2023:
Di – So 10.00 bis 17.00 Uhr und jeden ersten Mittwoch im Monat von 10.00 bis 20.00 Uhr.
Eintrittspreise:
Erwachsene ab 19 J.: CHF 16.–, Jugendliche 13 –18 J.: CHF 5.–, Kinder bis 12 J.: Eintritt frei, Studierende/Auszubildende bis 29 J.: CHF 5.–, Gruppen ab 10 Personen, pro Person: CHF 11.–, Invalidenversicherungs-Bezüger*innen (IV), inkl. einer Begleitperson: CHF 11.–
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