Musikförderung in Basel: Wo stehen wir?
90 Prozent oder doch nur 73 Prozent? Swisslos oder nicht? Und was macht Basel anders im Vergleich zu anderen Kantonen und Städten? Im Abstimmungskampf zur Musikvielfaltinitiative gehen die Interpretationen der Zahlen und Fördermodelle weit auseinander. Ein Versuch, etwas Ordnung ins Chaos zu bringen.
Wenn der Abstimmungskampf zur Musikvielfaltinitiative eines zeigt, dann das: Es gibt Redebedarf. Dass die Diskussion sachlich nicht immer in geordneten Bahnen verläuft, liegt vermutlich primär an der Unformuliertheit der Initiative, die grossen Deutungsspielraum lässt. Dazu kommt, dass die Thematik stark emotional aufgeladen ist – Benachteiligungsgefühle treffen auf Verlustängste, Angriff auf Verteidigung. Und das Begriffsdurcheinander um die Gegensätze «institutionell – freischaffend» und «Klassik – Pop» hilft sicher auch nicht. Nochmals zur Erinnerung: Abgestimmt wird nicht über Musikrichtungen, sondern nur über die Förderung freischaffender Musiker*innen, egal ob Pop oder Klassik.
Dass die beiden Lager nicht immer auf denselben Nenner kommen, zeigt sich besonders anschaulich an den unterschiedlichen Interpretationen der Zahlen zur aktuellen Förderpraxis in Basel. Während die Initiant*innen davon sprechen, dass die öffentlichen Gelder «zu rund 90 Prozent in Orchester und Institutionen der Klassik» fliessen, schreibt der Regierungsrat, der ein Nein an der Urne empfiehlt, in seinem Beschluss vom Juni 2023 von einem Anteil von rund 73 Prozent, der an Institutionen gehe.
Wie kann eine solche Diskrepanz zustande kommen? Das jährliche Basler Musikbudget liegt, je nach Auslegung, zwischen 22 und 25 Millionen Franken. Rund 9.7 Millionen Franken davon gehen an das Sinfonieorchester, dazu kommen ca. 6.9 Millionen an die Orchesterleistungen am Theater Basel. So weit sind sich die beiden Seiten einig. Der Unterschied zwischen den 90 Prozent und 73 Prozent liegt hauptsächlich darin, dass zwei weitere grosse Fördertöpfe verschieden behandelt werden:
1. Die Initiant*innen zählen die rund 2.5 Millionen Franken des Fördergefässes «Programm- und Strukturförderung Orchester» zu den «Institutionen Klassik» und somit zu ihren 90 Prozent, die Regierung führt sie separat und nicht als Teil ihrer 73 Prozent auf.
2. Die Initiant*innen beziehen die ca. 2 Millionen Franken Musikbeiträge aus dem Swisslos-Fonds BS – damit werden zahlreiche Festivals und Einzelkonzerte in Basel unterstützt – nicht in ihre Berechnungen ein, die Regierung dagegen schon. Wichtig zu wissen: Der Swisslos-Fonds wird in Basel nicht von der Abteilung Kultur des Präsidialdepartements verwaltet, sondern vom Justiz- und Sicherheitsdepartement. Es sind keine Steuergelder im engeren Sinn.
Am Bajour-Podium zur Musikvielfaltinitiative wurde vor allem eines deutlich: Es geht ums Geld. Die Befürworter*innen wollen raus aus dem Prekariat, während die Gegner*innen Angst davor haben, Fördergelder zu verlieren. Für Musikvielfalt und eine gerechte Verteilung der Fördermittel sprachen sich beide Seiten aus.
Die Freischaffenden an den Institutionen
Eine zusätzliche Komplikation ist, dass Engagements von Freischaffenden durch Institutionen wie das Sinfonieorchester Basel oder Gare du Nord (bei letzterem sind das nach eigenen Angaben 90% der Auftretenden) in den Berechnungen der Initiant*innen und des Regierungsrats auf der Seite der Institutionen in die Betriebsbeiträge fallen, obwohl die Gelder letztlich der freien Szene zukommen. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Beiträge über alle Institutionen hinweg in Millionenhöhe bewegen. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass die Musikausgaben der Mehrspartenhäuser, allen voran des Theater Basel und der Kaserne, von diesen nicht separat ausgewiesen werden und deshalb – abgesehen von den Orchesterleistungen am Theater Basel – in den Zahlen beider Seiten nicht vorkommen.
Um wie viel Geld geht es?
Die unterschiedliche Interpretation der Zahlen ist aus argumentativer Sicht beidseits nachvollziehbar, wirft aber die Frage auf, wie gross die Umverteilung oder Aufstockung im Fall einer Annahme der Initiative überhaupt sein müsste. Wären es bereits jetzt ca. 27 Prozent, die an nicht-institutionelle Musikschaffende gingen, wäre der Weg zu den geforderten 33 Prozent nicht mehr allzu weit. Nimmt man aber die 90 Prozent bzw. 10 Prozent, käme die Umsetzung einer Förderrevolution gleich – dann ginge es um eine Umverteilung oder Aufstockung des Musikbudgets von bis zu 8 Millionen Franken.
Die Zahlen sind kompliziert und biegbar. Sie sind aber nur ein Aspekt der Thematik. Ein anderer wichtiger ist die Art und Weise, wie die Fördergefässe ausgerichtet sind. Und da besteht in Basel zweifellos Handlungsbedarf. Derzeit ist es so, dass nur klassische Institutionen Zugang zu mehrjähriger Förderung haben – sowohl die Betriebsbeiträge an Sinfonieorchester oder Gare du Nord als auch die Programmförderung Orchester werden jeweils für vier Jahre vergeben. Zwar erhält auch das Musikbüro mehrjährige Beiträge, doch die freischaffenden Musiker*innen können dort, wie auch beim Fachausschuss Musik oder der Kulturpauschale, nur projektweise gefördert werden.
Das heisst: Für jedes Projekt muss ein neues Dossier inkl. Budget und sonstigen formellen Vorgaben erstellt werden – ein grosser Administrativaufwand, der normalerweise unbezahlt erfolgt und von der Zeit für die eigentliche künstlerische Arbeit abgeht. Planungssicherheit gibt es für Freischaffende so kaum.
Wie steht Basel im Vergleich da?
Ginge das nicht anders? Hier hilft ein Blick in die Förderpraxis anderer Kantone und Städte. Zum Vorbild für Basel könnte diesbezüglich ausgerechnet Zürich werden: Dort gibt es beim Kanton die Möglichkeit für mehrjährige Förderung (aktuelle Förderperiode 2024–26) – und zwar für Einzelpersonen, Gruppen und Veranstaltende. Entscheidend ist, dass die Musikrichtung dabei keine Rolle spielt: Gefördert werden klassische Ensembles genauso wie Rapper*innen oder Jazz-Bands. Künstlerinnen wie Big Zis oder Evelinn Trouble erhalten jährlich 20'000 Franken – keine Unsumme, aber immerhin ein längerfristiges gesichertes Einkommen, das es möglich macht, sich stärker auf die Kreativarbeit zu konzentrieren.
In Zürich, wie etwa auch in Bern oder Genf, kommt hinzu, dass es mit Kanton und Stadt zwei kumulative Zugänge zur Förderung gibt. Wenn Big Zis in Zürich so jährlich potenziell 40'000 Franken erhalten kann, ist das eine andere Ausgangslage als in Basel, wo freischaffende Musiker*innen über vergleichsweise kleine Beträge (in aller Regel im vierstelligen Bereich) ihre Projekte jeweils einzeln finanzieren müssen. Zur Rettung des Basler Egos sei noch angemerkt: Auch in Zürich gibt es nach wie vor Kritik an der Förderpolitik – aber eben auch konstruktive Alternativen.