Basler Nationalrätin fordert neue Wege beim Medizinstudium
Ohne ausländische Ärzt*innen läuft in den Schweizer Spitälern nichts. Das sei hochgradig unsolidarisch gegenüber anderen Ländern, findet die Basler Nationalrätin Sarah Wyss. Deshalb fordert sie unter anderem reservierte Studienplätze für unterbesetzte Fachbereiche.
Es ist nun acht Jahre her, dass der Bund beschlossen hat die Ausbildung von Schweizer Ärzt*innen voranzutreiben. Die Kantone erhielten innerhalb eines Sonderprogramms 100 Millionen Franken, um mehr Studienplätze zu schaffen. Das Ziel: Bis 2025 sollen pro Jahr 1300 angehende Ärztinnen und Ärzte das Medizinstudium abschliessen.
Die Bemühungen, die Zahl der Studienplätze zu erhöhen, hat vor allem zwei Gründe. Der erste ist das Durchschnittsalter der praktizierenden Ärzt*innenschaft. Es steigt seit Jahren kontinuierlich an und lag 2022 bei 50 Jahren, das ist der FMH-Ärztestatistik 2022 zu entnehmen. Die Ärzt*innen, die in Praxen arbeiten sind dabei durchschnittlich älter als ihre Kolleg*innen in den Spitälern. Vielen Mediziner*innen steht die Pensionierung also kurz bevor und es stellt sich zunehmend als schwierig heraus, Nachfolger*innen für die Praxen zu finden. Gerade auch, weil immer mehr Ärzt*innen in Teilzeit arbeiten und somit gleich mehrere Personen für die Besetzung einer bisherigen Stelle gefunden werden müssen.
Ein problematisches Bild zeichnet sich gemäss der Statistik vor allem bei den Hausärzt*innen, wo der empfohlene Wert von einer Ärztin beziehungsweise einem Arzt in Vollzeit zu 1000 Einwohner*innen nicht gewährleistet ist.
Der zweite Grund ist die hohe Abhängigkeit vom Ausland. 39,5 Prozent der praktizierenden Ärzt*innen in der Schweiz, haben ein ausländisches Diplom. Die Schweiz hat damit nach Israel den zweithöchsten Ausländer*innenanteil in der Ärzteschaft unter den OECD-Ländern.
Mehr Studienplätze allein genügen nicht
Auch die Universität Basel hat damals am Sonderprogramm des Bundes teilgenommen. Zwischen 2018 und 2020 wurde die Anzahl der Studienplätze in Medizin für den Bachelor von 170 auf 190 erhöht. Im Masterstudium gab es ebenfalls eine Erhöhung. Im Jahr 2016 verfügte die Universität Basel über 165 Plätze, mittlerweile sind es 225.
Trotz all dieser Bemühungen genügt die Zahl der Schweizer Ausbildungsplätze nicht, um den Bedarf zu decken. Der Mediensprecher der Universität Basel, Matthias Geering, sagt daher: «Die Universität Basel ist bestrebt, nach Lösungen zu suchen, um die Studienplätze in Humanmedizin weiter zu erhöhen.» Allerdings seien ihr gewisse Grenzen gesetzt, insbesondere, weil entsprechende Ausbildungsplätze in den Spitälern vorhanden sein müssten.
Angesprochen auf eine mögliche Erhöhung der Anzahl Ausbildungsplätze betont die Mediensprecherin des Universitätsspital Basel, Caroline Johnson, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen und die Finanzierung geregelt werden müsste.
Ohnehin kann die Abhängigkeit von Ärzt*innen mit ausländischen Diplomen nicht allein durch die Erhöhung der Zahl von Studienplätzen gelöst werden. Die Krux besteht nämlich darin, dass es nicht unbedingt grundsätzlich zu wenige Mediziner*innen gibt, sondern die Fachbereiche sehr unterschiedlich besetzt sind.
Mehr Studienplätze gewährleisten also nicht, dass sich die zusätzlich ausgebildeten Ärzt*innen in denjenigen Fachgebieten spezialisieren, in denen der grösste Bedarf besteht.
Attraktivität von einzelnen Fachbereichen stärken
Die Unterschiede in den Fachbereichen bestätigt Johnsons. Grundsätzlich bestehe im Universitätsspital zurzeit kein Ärzt*innenmangel. «Die Situation ist aber sicherlich von Disziplin zu Disziplin unterschiedlich. Es gibt Bereiche, die den Fachkräftemangel deutlicher spüren und für die Rekrutierung des Nachwuchses mehr investieren müssen», sagt sie. Welche Bereiche davon betroffen sind, ändere sich immer wieder, so Johnson. Zurzeit müssten sich die Notfallmedizin und die Innere Medizin stärker um Ärzt*innen bemühen.
Schweizweit droht gemäss dem Obsan Bericht 2023 vor allem der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie eine Fehlversorgung.
Der Bericht empfiehlt deshalb, die Sichtbarkeit und Attraktivität der Fachbereiche mit drohender oder vorhandener Unterversorgung zu steigern. Damit die ausgebildeten Mediziner*innen dann auch möglichst lange in ihrem Beruf arbeiten, sollten auch die Fortbildungen so gestaltet werden, dass die Teilnehmer*innen Kompetenzen erwerben, mit denen sie «im Rahmen des lebenslangen Lernens» für alle Veränderungen in den Anforderungen gerüstet sind, heisst es dort.
Studienplätze für bestimmte Fachrichtungen reservieren
Für konkrete Massnahmen, um die unterbesetzten Fachbereiche zu stärken, engagiert sich derzeit die Basler Nationalrätin Sarah Wyss (SP). Im Sommer hat sie ein Postulat zur Prüfung einer neuen medizinischen Hochschule Schweiz eingereicht. In ihrem Schreiben thematisierte sie unter anderem die derzeitige Notwendigkeit, Ärzt*innen aus dem Ausland zu akquirieren und schreibt: «Dies ist hochgradig unsolidarisch gegenüber anderen Ländern, welche diese Fachkräfte ebenfalls benötigen.»
In seiner Antwort verwies der Bundesrat im August auf die bisherigen Massnahmen zur Erhöhung der Studienplätze und auf die Voraussetzung von klinischen Ausbildungsplätzen. An deren Anzahl würde gemäss dem Schreiben auch eine «Eidgenössische Hochschule für Medizin» nichts ändern. Der Bundesrat sei sich aber bewusst, dass neben der Erhöhung der Anzahl Abschlüsse weitere Optimierungen notwendig sind, um die Rahmenbedingungen für angehende Ärzte und Ärztinnen zu steigern. Neben der Berufsverweildauer nennt er auch den «bedarfsgerechten Fachkräftemix».
Hier möchte Sarah Wyss ansetzen. Sie bezeichnet die Beantwortung des Bundesrates als nicht zufriedenstellend. Zwar nehme sie erleichternd zur Kenntnis, dass das Problem Beachtung finde, aber die Dringlichkeit sei nicht erkannt worden. Wyss hält deshalb an ihren Forderungen fest und präzisiert sie. Es brauche nach wie vor mehr Studienplätze, diese sollten allerdings nicht hauptsächlich von den Unikantonen finanziert werden, sondern im Sinne des Lastenausgleichs von allen Kantonen. Eine Abschaffung des Numerus Clausus, ohne die Anzahl der Studienplätze in der Realität zu erhöhen, erachtet sie allerdings nicht als sinnvoll. «In der Romandie gibt es keinen Numerus Clausus, und die Situation dort ist nicht besser.»
«So unbeliebt wie es ist, sollten wir darüber nachdenken, ob gewisse zusätzliche Studienplätze für speziell unterversorgte Fachrichtungen reserviert werden.»Sarah Wyss, Nationalrätin
Aber diese Massnahmen alleine würden nicht genügen, deshalb fordert sie einen Tabubruch: «So unbeliebt wie es ist, sollten wir darüber nachdenken, ob gewisse zusätzliche Studienplätze für speziell unterversorgte Fachrichtungen reserviert werden.» Das sei ein heikles Thema, weil sich viele Studierende zu Beginn des Medizinstudiums noch nicht für eine Fachrichtung entscheiden wollen. Derzeit führe sie zahlreiche Gespräche, um ihre Ansätze mehrheitsfähig zu gestalten.
Neben all den Hindernissen, die einer besseren Grundversorgung im Wege stehen, ist ein Aspekt aber erfreulich – das Interesse am Medizinstudium ist weiterhin hoch: In Basel gab es im Jahr 2023 insgesamt 755 Anmeldungen für die 190 Bachelor-Studienplätze in Medizin. Im Jahr 2022 waren es sogar 810 Anmeldungen. Die Begrenzung der Studienplätze hängt vor allem mit den hohen Kosten zusammen. Während ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Basel pro Jahr 18’000 bis 19'000 Franken kostet, sind es in der Humanmedizin rund 83’500 Franken.
Unterstütze uns und werde Member.