Basel hat keinen Bührle, aber …
In Zürich hat es der Erweiterungsbau des Kunstmuseums, der die Sammlung des umstrittenen Kriegsgewinnlers Emil Bührle beherbergt, bis in die «New York Times» geschafft. Nicht eben positiv. Mit dem Finger darauf zeigen, sollte man als Basler*in aber nicht.
Nein, einen Emil G. Bührle hat Basel nicht. Einen Waffenfabrikanten, der während und nach dem Zweiten Weltkrieg in guter eidgenössischer Tradition sowohl die Nazis wie die USA beliefert hat, der sich mutmasslich bis sicher Raub- und Fluchtkunst aus jüdischem Besitz für einen Spottpreis unter den Nagel gerissen hat, der Zwangsarbeiter*innen für sich schuften liess und dem nun ein ganzes Museum gewidmet ist. Konkret der kürzlich eröffnete Erweiterungsbau des Zürcher Kunstmuseums, wo die Schätze seiner Sammlung der staunenden Öffentlichkeit präsentiert werden.
Mit einem Schlag sieht sich Zürich nun an die Weltspitze der Kunststädte katapultiert. Kein Wunder, es sind Meisterwerke, die da zu bestaunen sind. Zum Beispiel: «Der Sämann bei Sonnenuntergang» von Vincent van Gogh, «Die kleine Irene» von Auguste Renoir, «Das Mohnblumenfeld bei Vétheuil» von Claude Monet, «Der Knabe mit der roten Weste» von Paul Cézanne und ein «Liegender Akt» von Modigliani.
Gekauft aus dem Erlös seiner Geschäfte mit den Nazis. Jenen Nazis, welche «entartete Kunst» aus jüdischem Besitz entwendeten und zu Geld machten. Von Juden und Jüdinnen, die, wenn sie nicht fliehen konnten, in den Konzentrationslagern umgebracht wurden. Ganz verschweigen kann man die Herkunft der Bilder und Bührles Blutspur durch die Weltgeschichte nicht, wenn man als Kunstmuseum (und Stadtregierung) noch einigermassen ernst genommen werden will, doch die Art und Weise ist sogar der «NZZ» zu defensiv, weshalb es Sinn macht, diese «Republik»-Serie zu lesen, bevor man nach Zürich fährt, um sich an den Meisterwerken zu ergötzen.
In Basel gab es keinen Bührle. Aber es gibt ein Kunstmuseum, das sich 1933 an der Sammlung Glaser gütlich tat. Damals, die Nazis hatten eben die Macht übernommen, ersteigerte das Museum an einer Auktion in Berlin rund 200 Zeichnungen und Druckgrafiken, darunter Werke von Edvard Munch. Glaser war Jude. Er musste fliehen, obwohl zum Protestantismus übergetreten. Dazu brauchte er Geld, weshalb er seine Sammlung versteigern liess – weit unter dem eigentlichen Wert.
2004 versuchten Glasers Erben, ihren Anspruch auf alle an der Auktion verkauften Werke geltend zu machen, was der Basler Regierungsrat 2008 verhinderte. 2017 versuchten sie es erneut. Nun regte sich doch noch so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Wohl auch, weil eine mittlere Medienkampagne ins Rollen kam. Jedenfalls untersuchten Kunstmuseum und Kunstkommission in der Folge den Fall Glaser endlich vertieft.
Im März 2020 einigten sich Museum und die Glaser-Erben: Die Werke bleiben in Basler Besitz, die Erben werden aber entschädigt. Über die Summe wurde Stillschweigen vereinbart. Und zudem wird Curt Glaser eine umfangreiche Ausstellung gewidmet. Ziel gemäss damaliger Vereinbarung: «die historische Aufarbeitung der Rolle von Glaser als Sammler, Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Museumsleiter ausgehend von den Beständen, die aus seiner Sammlung in jene des Kunstmuseums Basel gekommen sind.»
Die Ausstellung ist für nächsten Herbst geplant, wie Kunstmuseum-Sprecherin Karen N. Gerig auf Anfrage erklärte. Die Ankündigung, wie sie im Jahresprogramm aufgeführt werden wird:
Titel: Der Sammler Curt Glaser. Vom Verfechter der Moderne zum Verfolgten
Kunstmuseum Basel | Neubau (3 Räume im UG)
22. Oktober 2022 – 12. Februar 2023
Kuratorinnenteam: Dr. Anita Haldemann, Dr. Judith Rauser
«Eine grosse Lücke in der Verkaufsgeschichte oder ein bestehender Verdacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug schliesst das betreffende Werk vom Handel praktisch aus.»Karen N. Gerig, Sprecherin Basler Kunstmuseum
Ende gut, alles gut, also? Im Fall des Kunstmuseums Basel schon. Zumal sich eine verpflichtende Praxis, fussend auf den Washington Principles herausgebildet hat. «Schenkungen und Ankäufe werden gleichermassen einer Provenienzprüfung unterzogen, bevor sie in den Sammlungsbestand eingehen. Die Herkunft wird also überprüft, um jeden Hauch eines Verdachts auf Raubkunst ausschliessen zu können. Die Praxis ist noch nicht lange etabliert, gilt aber für alle aktuellen und künftigen Eingänge», sagt Gerig.
Der Handel mit Werken bedenklicher Herkunft sei heute fast nicht mehr möglich. Im Kunsthandel werde normalerweise jedes Objekt, das vor 1945 entstanden ist, vor dem Verkauf geprüft. «Denn eine grosse Lücke in der Verkaufsgeschichte oder ein bestehender Verdacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug (Eintragung auf lostart.de) schliesst das betreffende Werk vom Handel praktisch aus.»
Mittlerweile gilt das auch für Kulturgüter, die bei Raubgrabungen und ähnlichem erbeutet, ausser Landes geschafft und an Sammler*innen und Museen veräussert wurden. Auch hier sind die internationalen Kontrollmechanismen ausgehend von der Unesco-Konvention gegen den illegalen Handel von Kulturgut ausgebaut worden. Aber Kriminelle halten sich bekanntlich selten an Konventionen.
Ein besonders krasser Fall hat sich in Basel abgespielt. Und es ist noch gar nicht lange her. Das Ehepaar Gianfranco Becchina und Ursula Juraschek nutzte die Galerie Palladion am Rennweg 51 als Deckmäntelchen für einen florierenden Handel mit gestohlenen Artefakten. Über 6000 Gegenstände stellten die Ermittler*innen 2001 in fünf Lagern in Basel sicher. 5341 Werke im Wert von mindestens 55 Millionen Franken konnten nach akribischer und sehr langwieriger Arbeit in der Folge Italien zugewiesen werden. Im Januar 2015 waren sie in Rom zu bestaunen.
Weitere 1200 Werke blieben in Basel, weil sie nicht eindeutig als Raubkunst identifiziert werden konnten. Die dannzumalige Ex-Frau forderte sie zurück. Ob die Mosaiken, Sarkophagfragmente und figürlichen Gefässe noch immer in einem Keller beim Bürgerspital eingelagert oder tatsächlich an den weiblichen Teil des betrügerischen Paares gegangen sind, ist nicht bekannt. Das zuständige Betreibungsamt teilte auf Anfrage mit, dass «es uns zufolge des Amtsgeheimnisses nicht gestattet ist Auskünfte zu Verfahren jegwelcher Art zu geben».
Nicht ausgeschlossen werden kann, dass schon früher einige Stücke als Schenkung den Weg ins Antikenmuseum gefunden haben, wie Direktor Andrea Bignasca 2017 in einem Interview mit der «bz» erklärte. Weil aber der Name Becchina nie auftaucht, gibt es keinen entsprechenden Nachweis.
Verurteilt wurde im Übrigen weder er noch seine ehemalige Frau. Gemäss der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt wurde das lokale Strafverfahren im Dezember 2014 teilweise wegen Verjährung und teilweise mangels Beweisen der Tatbestände eingestellt. Becchina, der ein ganzes Heer von Grabräuber*innen unterhielt, genoss zumindest noch 2017 seinen Lebensabend in Sizilien. Er wäre heute 81 Jahre alt. Sein Olivenöl-Geschäft Olio Verde wird mittlerweile von seinen Töchtern geführt. Wer mehr wissen will: chasingaphrodite.com listet weitere Untaten auf.
Ein potenzieller Ort für Artefakte zweifelhafter Herkunft ist auch das Museum der Kulturen. Viele der in der Kolonialzeit nach Europa geschafften Gegenstände wurden geraubt oder den Menschen vor Ort «abgekauft». Das Museum betreibt und unterstützt Provenienzforschung, auch im eigenen Interesse. Die bisherigen Ergebnisse sind hier und hier zu finden.
Direktorin Anna Schmid kann aber nicht sagen, wie viele Gegenstände allenfalls illegal nach Basel gelangt sind. Denn: «Unser Fokus liegt nicht so sehr auf Quantitäten. Wir haben begonnen, Netzwerke auszumachen (Petrolgeologen, Kaufleute, Missionen etc.), um dazu dann vertieft zu forschen. Ich kann also keine Zahl nennen.»
In Schmids Amtszeit, die im April 2006 begann, kam bisher eine Aufforderung, ein Gegenstand zurückzugeben. Dem sei man «problemlos und selbstverständlich» nachgekommen. Es handelte sich um einen übermodellierten Schädel aus Neuseeland.
Problemlos und selbstverständlich ist derweil in Zürich nichts. Die Sammlung Bührle bleibt bis zur restlosen Aufarbeitung ein vergiftetes Geschenk.
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