«Man muss verstehen, warum die Polizei so handelt, wie sie handelt»

Im Interview erklärt Staatsrechtsprofessor Markus Schefer, wieso Vermummung und Schutzmaterial nicht ausreichen, um eine Demo einzukesseln. Dennoch glaubt er, dass der Polizeieinsatz rechtens war.

Demo 1. Mai 2023
Die Polizei kesselt am 1. Mai die Demospitze ein und begründet ihr Handeln mit der Vermummung einzelner Personen. (Bild: Ernst Field)

Herr Schefer, was muss passieren, damit die Polizei eine bewilligte Demonstration festsetzen darf, ohne dass eine Straftat begangen wurde?

Dazu muss man von einer unmittelbaren, hohen Gefahr ausgehen, dass die öffentliche Sicherheit bedroht wird, etwa durch Ausübung von Gewalt. Die Polizei muss nicht warten, bis etwas passiert ist. Aber sie darf auch nicht zu fest im Vorfeld eingreifen. Es reicht nicht, dass man denkt: «Wahrscheinlich passiert jetzt wieder etwas.»

Reicht die Durchsetzung des Vermummungsverbots als Begründung, die Demonstration einzukesseln?

Das ist ein einzelner Aspekt, den man bei der Bewertung berücksichtigen muss. Die Verletzung des Vermummungsverbots allein würde eine solche Aktion nicht rechtfertigen – das wäre als Begründung zu schwach. Das Schutzmaterial ist bereits ein weiterer Aspekt, der als Indiz für Gewalt gewertet werden kann. Aber ich nehme nicht an, dass das die einzigen Faktoren sind, die zum Einsatz geführt haben.

Muss man bei einer Vermummung und bei Schutzmaterialien davon ausgehen, dass diese der Gewaltausübung dienen?

Wenn man die Erfahrung macht, dass gewisse Teilnehmer regelmässig vermummt, mit verstärkten Transparenten, Schutzbrillen und anderem auftauchen, sind das erste Hinweise. Wenn man dann noch weiss, dass das Personen sind, die bisher schon wiederholt bei Demonstrationen Gewalt ausgeübt haben, kann die Schwelle erreicht werden, wo eine solche Einkesselung zulässig wäre. 

Das heisst aber auch: Vermummung und Schutzmaterial reichen nicht aus, um eine Demo einzukesseln?

Wenn man keine Hinweise auf ein Gewaltpotenzial der vermummten Personen hat, und die Konsequenz des Einkesselns ist, dass eine ganze bewilligte Demonstration mit mehr als 1000 Leuten nicht wie geplant stattfinden kann, dann wäre man zu weit gegangen. Ich gehe aber nicht davon aus, dass das vorliegend der Fall ist.

Die Verletzung des Vermummungsverbots allein würde eine solche Aktion nicht rechtfertigen – das wäre als Begründung zu schwach.
Markus Schefer, Staatsrechtsprofessor der Universität Basel

Warum nicht?

Ich denke, dass die Polizei noch weitere Informationen hatte, die ihr aufzeigten, dass die Gefahr von Gewalttaten real und unmittelbar ist. Typischerweise verfügt die Polizei bei solchen Einsätzen über eine Lagebeurteilung vom Nachrichtendienst und macht ihre eigenen Abklärungen, um zu schauen, wer zu erwarten ist. Aus dem Gesamtbild gibt sich die Grundlage, auf der entschieden werden kann, ob es gerechtfertigt ist, gewisse Leute von der Demonstration abzusondern und festzuhalten. Für eine rechtliche Beurteilung ist das ebenfalls entscheidend.

Kommuniziert wurde aber nur die Vermummung und das Schutzmaterial als Begründung. Muss die Polizei nicht ihre komplette Begründung öffentlich machen, warum sie sich zur Einkesselung entschieden hat?

Das ist eine Frage, die sich die Sicherheitskräfte stellen müssen: Wie müssen sie künftig kommunizieren, damit die Demonstrierenden verstehen, warum die Polizei so handelt, wie sie handelt. Das scheint mir in diesem Fall ein Problem gewesen zu sein. Man hat das Gefühl, dass nur wegen der Vermummung eingekesselt wurde – das könnte auch ich nicht nachvollziehen. Ich glaube, künftig würde es helfen, wenn man institutionalisiert und regelmässig miteinander redet, damit man die gegenseitigen Positionen besser versteht.

Ist die Polizei zur offenen Kommunikation verpflichtet?

Die Chance, dass die Demonstration friedlich und geordnet ist, würde sich wohl erhöhen. Und die Polizei hat einen Schutzauftrag der Demonstration gegenüber, damit sie möglichst so stattfinden kann, wie sie bewilligt wurde.

Ich denke, dass die Polizei noch weitere Informationen hatte, die ihr aufzeigten, dass die Gefahr von Gewalttaten real und unmittelbar ist.
Markus Schefer, Staatsrechtsprofessor der Universität Basel

Warum würde die Polizei nicht alle Informationen offenlegen, die ihr zur Verfügung stehen?

Es besteht die Gefahr, vertrauliche Informationen publik zu machen. Doch dem Solidarisierungseffekt, der dann anscheinend beim nicht eingekesselten Teil der Demonstration aufgetreten ist, hätte man mit besserer Kommunikation vielleicht etwas entgegentreten können.

Die Einkesselung hat dazu geführt, dass auch der nicht eingekesselte Teil nicht weiterlaufen konnte. Wie bewerten Sie das?

Das Einkesseln soll nicht dazu führen, dass die ganze Demonstration nicht weiterlaufen kann, wie es hier der Fall war. Ich frage mich, ob das Teil des Plans war – falls ja, war es unglücklich geplant. So eine grosse Versammlung auf eine alternative Route umzuleiten, ist sehr schwierig – wenn man vorne etwas ins Mikrofon sagt, hören das nur die vordersten 100 Leute und alle 2000 Leute dahinter nicht mehr.

Markus Schefer
Zur Person

Markus Schefer ist Staatsrechtsprofessor der Universität Basel und einer von drei Mitgliedern des Kontrollorgans über den kantonalen Nachrichtendienst Basel-Stadt. Dieses Organ ist schweizweit einzigartig und publiziert einmal pro Jahr einen öffentlichen Bericht.

Die Polizei hat Personenkontrollen durchgeführt bei der Einkesselung. Wann darf sie das?

Das Polizeigesetz sieht Personenkontrollen zur Abwehr einer Gefahr oder zur Durchsetzung der Rechtsordnung vor. Wer gegen das Vermummungsverbot verstösst, verstösst gegen die Rechtsordnung. Auch wenn man mit einiger Sicherheit von einer Gefahr durch eine Person ausgehen kann, darf die Polizei sie kontrollieren – beispielsweise weil sie Material dabei hat, das nur Sinn macht, so etwas zu einer Demonstration mitzunehmen, wenn man gewalttätig werden will.

Die Personenkontrollen betrafen aber auch Personen, die nicht vermummt waren.

Da frage ich mich schon, ob diese Personenkontrolle bei Leuten, von denen offensichtlich keine Gefahr ausging, rechtmässig war. Dafür liefert das Polizeigesetz keine Grundlage. Ein solches Vorgehen ist schwer zu begründen.

Zu reden gibt auch der Einsatz von Tränengas und Pfefferspray. Ist das verhältnismässig?

Das aus Distanz zu beurteilen, ist völlig unmöglich. Auch in der Rechtssprechung gibt es selten Fälle, in denen Gerichte zum Urteil kommen, dass Zwangsmitteleinsätze unverhältnismässig waren. Der Grundrechtsschutz durch Gerichte kommt meistens nur dann zum tragen, wenn’s wirklich schief geht

Das klingt so, als wäre es kaum möglich, die Verhältnismässigkeit im Nachhinein zu be- und verurteilen.

Das ist ein Problem. Deshalb muss eine zuverlässige interne Aufarbeitung auf Seiten der Kantonspolizei stattfinden. Sie muss mit der nötigen Selbstkritik schauen, was funktioniert hat und wo man mit weniger eingriffsintensiven Mitteln ein vergleichbares Resultat hätte erzielen können.

2023-05-02 Frage des Tages-2
Was denkst Du?

Erneut kommt es in Basel zu Scharmützeln zwischen Demo-Teilnehmer*innen und der Polizei, und wieder stellt sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit: Hat die Polizei angemessen auf die Demonstrant*innen reagiert? Diskutiere mit bei unserer Frage des Tages.

Zur Diskussion
Fliegende Herzen
Schenkst du uns dein Herz?

Unterstütze uns und werde Member.

Das könnte dich auch interessieren

Demozug 2

Valerie Zaslawski am 06. Oktober 2024

Wo bleibt die Empathie?

Am Samstag haben in Basel Tausende Menschen für eine Befreiung der Palästinenser*innen demonstriert. Und gegen Israel. Immerhin blieb es friedlich.

Weiterlesen
Regierungsraetin Stephanie Eymann, Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements Basel-Stadt, informiert an einer Medienkonferenz darueber was seit der Publikation des Berichts der unabhaengigen Abklaerung zur Personalsituation bei der Kantonspolizei Basel-Stadt geschehen ist, in Basel, am Freitag, 28. Juni 2024. Als eine der ersten Massnahmen wird der Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt Martin Roth freigestellt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Michelle Isler am 28. Juni 2024

Polizeikommandant Roth muss gehen

Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann zieht Konsequenzen. Nachdem vergangene Woche eine unabhängige Untersuchung der Personalsituation bei der Kantonspolizei Basel-Stadt katastrophale Zustände zu Tage förderte, rollt jetzt der erste Kopf: Kommandant Martin Roth muss gehen.

Weiterlesen
Sacha Lüthi Titelbild

am 27. Juni 2024

«Gefühlt gelten wir jetzt alle als böse Sexisten und Rassisten»

Sacha Lüthi ist Community-Polizist. Die politische Debatte nach der Veröffentlichung des Untersuchungsbericht zu den Missständen bei der Basler Polizei macht ihm zu schaffen. Er hat Bajour seine Gefühlslage geschildert.

Weiterlesen
Grosser Polizeieinsatz an der Kundgebung gegen die von der Pnos (Partei national orientierter Schweizer) organisierten Demonstration gegen den UNO-Migrationspakt in Basel, am Samstag, 24. November 2018. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

David Rutschmann am 21. Juni 2024

Kein Lodern, ein Flammen

Was die unabhängige Personalbefragung der Kapo BS über die Zustände im Korps aussagt, ist katastrophal: eine Kultur der Angst, eine veraltete Macho-Kultur, ein totaler Vertrauensverlust. Die Erwartungen an Polizeidirektorin Stephanie Eymann sind jetzt enorm.

Weiterlesen
David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

Kommentare