So erlebte Basel die US-Wahlnacht
Die US-Präsidentschaftswahl bewegt die Menschen weltweit – auch in Basel. Im Atlantis und im Theater Basel versammelten sich Hunderte, um die Wahlnacht gemeinsam zu erleben. Ein Stimmungsbericht.
20:00 Uhr
Mit Ballons in blau-weiss-rot und New York Sour in der Hand stimmen sich rund 100 Leute im Café im obersten Stock des Theaters Basel auf die lange US-Wahlnacht ein. Zwei junge Männer betreten den Raum mit roten «Make-America-Great-Again»-Käppis – dass sie hier im Theater die Minderheit darstellen, merken sie schnell und lassen sich abseits des Events auf Liegestühlen im Foyer nieder. Als schauspielerischer Vorgeschmack soll der Theaterabend «halb Terror, halb Rausch» werden, meint der Moderator, Schauspieler Andrea Bettini, der den US-Autor Ray Bradbury («Fahrenheit 451») mimt. Man versteht, was er meint, wenn sich die Szene bald in eine stereotype US-Talkshow mit Gästen wie einem hyper-macho Elvis und einer enervierten Judy Garland (Der-Zauberer-von-Oz-Schauspielerin) verwandelt.
21:00 Uhr
Der US-Korrespondent der WOZ, Lukas Hermsmeier, gibt live aus New York eine Einschätzung zur aktuellen Stimmung in den Staaten. Als er sich aus dem Fenster lehnt und seine persönliche Einschätzung abgibt, dass Kamala Harris die Wahl gewinnen wird, trifft das auf Applaus aus dem Publikum. Er gibt die Einordnung ab, dass die politische Landschaft sich in den letzten Jahren weit nach rechts verschoben hat: Demokrat*innen würden mittlerweile die Grenzpolitik–Diskurse der Republikaner*innen aufgreifen, die wiederum zur reinen Trump-Partei geworden sei und protofaschistische Züge angenommen habe: «Wenn die Rechten diesmal an die Macht kommen, wäre es katastrophaler.»
21:30 Uhr
Ein paar Strassen weiter trauben sich Dutzende junge Leute um den Eingang des Atlantis, in das die Universität Basel und das Gymnasium Oberwil zu einem Election-Night-Event geladen haben. Langsam tröpfelt die Menge in den Innenraum, wo amerikanische Flaggen an den Wänden und Plakate mit der Aufschrift «Kamala for President» an den Säulen hängen. Wenig später zirkulieren grosse Platten mit Burgern und Tacos von Tisch zu Tisch, als einer der Organisator*innen erklärt, weshalb hier keine Trump-Fanartikel hängen: «Wir konnten nichts bestellen von Trump», sagt Michael Strub vom Gym Oberwil schon fast entschuldigend. «Er lässt alles in China produzieren. Die Lieferzeit war zu lang.» Einzelne lachen. Das klinge vielleicht jetzt wie ein Positionsbezug für Harris, schiebt er nach. Aber er wolle betonen, dass alle hier das Recht hätten, zu denken, was sie wollen und sich frei zu äussern.
22:05 Uhr
Nach weiteren satirischen Theatereinlagen eines (erneut) hyper-macho Country-Musikers («Die Schweiz hat eine sozialistische Regierung») soll auf der Bühne Liz Voss von der Basler Sektion der Democrats Abroad von der komplizierten amerikanischen Parteiarbeit berichten – als auch sie sich als «verhalten optimistisch» bezeichnet, wird ein Mann an einem Tisch «Don’t jinx it» murmeln. Doch bevor es um die Parteiarbeit geht, fühlt sich eine Zuschauerin mit US-Wurzeln spontan beflügelt, einen Song zu singen («His Eye is on the Sparrow»), um sich für das Interesse des Publikums an den Wahlen in ihrem Heimatland zu bedanken. Sie erhält grossen Applaus.
22:45 Uhr
Im Theater Basel endet die Veranstaltung nach einem Videocall mit «Taylor Swift» (samt Kamala-Harris-Song) und einem Auftritt eines als Cowboy verkleideten Manns, der sagt «Ich war noch nie in Amerika». Das Publikum zeigt sich verwirrt vom abrupten Ende, man hat ein Public Viewing für die ganze Nacht erwartet. Die CNN-Prognosen, die zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen können, laufen in einem Raum, der sich langsam leert. Anna Dell’era, die zuvor gesungen hat, sagt zu Bajour, dass sie nun nach Hause gehe, durchatme und mit ihrem Mann bei einem Tee CNN schaue «bis ich einschlafe»: «Ich bin so nervös, dass ich seit einer Woche nicht geschlafen habe», sagt die 67-jährige Afroamerikanerin mit Wurzeln in North Carolina. «Ich habe in meiner Jugend die Segregation erlebt. Ich mag mir nicht ausmalen, was passiert, wenn Trump wirklich nochmal gewählt wird.»
22:45 Uhr
Als alle mit Bier und Süssgetränken versorgt sind, wird es stiller im Atlantis. Für eine erste Diskussionsrunde kommen Peter Riebli, Sarah Regez (beide SVP BL), Saskia Schenker (FDP BL) und Melanie Nussbaumer (SP BS) auf die Bühne. Bevor es losgeht, reibt sich Moderator Philipp Loser die Hände und macht einen Stimmungscheck: Wer will, dass eine Frau die nächste Präsidentin wird? Grosser Applaus aus dem Publikum. Und wer will, dass ein Mann der nächste Präsident wird? Stille. Mag sein, dass sich hier niemand traut, sich als Trump-Fan zu outen. Wenn man sich umhört, gibt es durchaus Stimmen, die sagen: Mir ist es egal. Aber spätestens jetzt ist es überdeutlich, dass Regez und Riebli als Trump-Befürworter*innen in diesem Saal auf verlorenem Posten sind.
Und auch wenn weiterhin in den Ecken des vollbesetzten Raums lauter und leiser diskutiert wird – zum Beispiel über Regez’ Cäppi mit der Aufschrift «Make Switzerland Poor Again?», mit der die Junge SVP gegen die Erbschaftssteuerinitiative der Juso Stimmung macht – verfolgen viele die folgenden 45 Minuten der Diskussion aufmerksam. Um politische Inhalte geht es wenig, dafür wächst die Empörung über die Aussagen der beiden SVPler*innen im Publikum zunehmend. Als Riebli am Schluss das Gerücht erwähnt, Harris habe sich «hochgeschlafen», rastet das Publikum fast aus. Für die sexistische Aussage, die er hier in den Raum stellt, erntet er Buhrufe von allen Seiten.
01:10 Uhr
das nächste Podium mit Expert*innen aus der Wissenschaft (Jana-Christina von Dessien vom Think Tank Foraus, Laurent Goetschel von der Uni Basel und Claus Leggewie von der Justus-Liebig-Universität Giessen) endet ohne Fragen aus dem Publikum, «dann schauen wir jetzt einfach zusammen Fernsehen», sagt Loser und durch die Lautsprecher schallt «Born in the USA». Und während in einer Ecke jemand einen Wahlzettel in eine improvisierte Wahlurne aus Karton wirft, kleben einige Augen schon länger am Handy. Denn in Übersee werden die echten Wahlzettel gerade ausgezählt und die ersten Teilergebnisse aus einigen Bundesstaaten sind da: Harris gewinnt 3 Wahlleute, Trump 19. Keine Überraschungen bisher. Beim Eingang sind einige Schüler*innen zu diesem Zeitpunkt schon dösend auf den Stehtischen zusammengesunken, auf den Fenstersimsen haben sich ein paar Zuschauer*innen hingelegt.
01:30 Uhr
Eine Schülerin beugt sich über das Geländer im oberen Stock des Atlantis, um einen besseren Blick auf die Leinwand zu haben. Dort werden im CNN-Livestream die Zwischenresultate der verschiedenen Staaten eingeblendet. Während am Nebentisch diskutiert wird, was das jetzt heisst, ist bei anderen die Aufmerksamkeit schon eingeknickt. Vor der Bühne sitzt ein kleines Grüppchen Schüler*innen auf dem Boden. Einer von ihnen liegt mit dem Kopf an den Rucksack gelehnt und öffnet ab und zu müde ein Auge, während seine Nachbarin durch Instagram scrollt. Wenige Minuten später wird das Stimmengewirr wieder leiser: Liz Voss und eine weitere Vertreterin der Democrats Abroad haben sich vom Theater Basel ins Atlantis verschoben und setzen sich nun hier auf die Bühne.
01:45 Uhr
Bei der Treppe bringt ein junger Mann seinen Homies zwei Tassen Kaffee. Derweil hat sich im ersten Stock eine Gruppe Jugendlicher entschieden, UNO zu spielen. «Alles ausser blau», wünscht sich der einzige Junge in der Mädchengruppe, der eine MAGA-Käppi trägt. Irgendwann konfrontiert ihn ein Mädchen doch damit, ob er wirklich «Harris genauso schlimm wie Trump» finde. Er erklärt, dass Harris als Vizepräsidentin «verkackt» habe und die Wirtschaft leide. «Sie und Biden sind beide gottlos», sagt er, womit seiner Kolleg*innen sich nicht zufrieden geben.
2:30 Uhr
Auf der Treppe sitzen vier Schülerinnen des Gym Oberwil und schauen konzentriert auf die Leinwand. Gerade läuft ein studentisches Video über die Bedeutung von Memes im Wahlkampf. Sie und ihre Klassenkamerad*innen wollten freiwillig hier sein und interessierten sich für die US-Politik, sagen sie. Spannend fanden sie bis jetzt aber vor allem das Podium mit den Lokalpolitiker*innen. «Zu sehen, wie sie ihre Meinungen live vor Publikum und nicht nur online auf Social Media vertreten haben, hat mich beeindruckt», sagt eine von ihnen. Die anderen nicken. Wie geht’s mit der Müdigkeit? «Geht grad noch», sagen sie und dann wenden sie sich wieder dem Video zu.
3:12 Uhr
Nach einer weiteren CNN-Livestream-Runde weckt ein Politquiz die Lebensgeister. Es riecht nach Kaffee. Wer im Quiz am meisten Punkte sammelt, gewinnt eine doppelte Ladung Mate, verkündet der Moderator. «Wie viele Male wurde gegen Donald Trump ein Impeachment-Verfahren eingeleitet?», fragt er und alle tippen eine Antwort in ihr Handy. Es waren zwei, laut Anzeige auf dem Bildschirm führt Linus und am Nachbartisch sagt jemand: «Habe ich dir doch gesagt!» Ein paar Runden später ist Lieselotte vorn, holt sich zwei Mates ab und durch die Lautsprecher schallt YMCA. Und auch wenn hier einige noch bis um 6 Uhr ausharren wollen, scheint die Nacht irgendwie gelaufen – bis die Swingstates ausgezählt sind, könnte es im schlimmsten Fall noch Tage dauern.
Auch beim Blick auf die Live-Berichterstattung bei CNN wird deutlich: Diese Wahl ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen und auch wenn einige Staaten als «blau» oder «rot» gewonnen gelten, können definitive Aussagen zum Ausgang der Wahl zum jetzigen Zeitpunkt (4 Uhr nachts) noch nicht gemacht werden.
Aktuelle Daten und Informationen liefert zum Beispiel der Ticker des Tagesanzeiger oder das SRF.