So nimmt der Markt den Staat aus

Was alles muss der Staat denn noch für die Wirtschaft tun? Ein Interview mit CS-Chef Rohner wirft grundsätzliche Fragen auf. Bajour-Wirtschafts-Profi Werner Vontobel analysiert.

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(Bild: Bajour / Claudio Schwarz, Unsplash) (Bild: Unsplash/Claudio Schwarz)

«Es gibt viele KMU, die ein funktionierendes Geschäftsmodell und grossen Investitionsbedarf haben», sagt Credit-Suisse-Präsident Urs Rohner in einem Interview mit der SonntagsZeitung, bei dem es um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ging. Und etwas später schlägt er vor: «Eine Möglichkeit wäre es ferner, dass der Staat solche Investitionen steuerlich fördert.» 

Ist es normal, dass der Staat private Investitionen finanziert?

So war es eigentlich nicht gedacht: In unserem dreigliedrigen Wirtschaftssystem schultern die Familie und die Nachbarschaft gleichsam die Grundlast wie Erziehung, Pflege, Zubereitung der Nahrung, Unterhaltung. Der Staat sorgt für die öffentlichen Güter, zum Beispiel Verwaltung, Infrastruktur, Bildung, Gesundheit. Die Marktwirtschaft schliesslich ist für die Bereitstellung der privaten Güter und Dienstleistungen zuständig – vom Nötigsten bis zum entbehrlichen Luxus.

«Solange sich die Nachfrage nicht kräftig erholt, haben Unternehmen keinen Anlass zu investieren.»

Zum Pflichtenheft der Marktwirtschaft gehört auch das Erkennen und die Finanzierung von profitablen Investitionen. Dem Unternehmens-Sektor stehen jährlich Milliarden Ersparnisse der Privathaushalte zur Verfügung. Nur ein kleiner Teil davon wird gebraucht – aber nicht für Investitionen, sondern bloss, um Dividenden auszuschütten. Offensichtlich fehlt es trotz extrem tiefen Zinsen an profitablen privaten Investitionsprojekten. 

Die Corona-Krise hat dieses  Problem noch verschärft. Solange sich die Nachfrage nicht kräftig erholt, haben die Unternehmen keinen Anlass, zu investieren und ihre Produktionskapazitäten aufzustocken. Staatliche Zuschüsse für Investitionen bringen in dieser Lage wenig bis nichts.

Marktwirtschaft kann gar nicht mehr ohne Staat

Bevor die KMU an neue Investitionen denken können, brauchen sie erst einmal mehr private Nachfrage. Da hat der Staat mit Gratiskrediten oder mit der Lohnfortzahlung bei Kurzarbeit mit Arbeitslosengeldern die Wirtschaft schon tatkräftig unterstützt. Weltweit haben sich die Staatshaushalte zu diesem Zweck mit tausenden Milliarden Dollar verschuldet.

Dass die Marktwirtschaft Nachfragekrisen immer nur mit staatlicher Hilfe überwinden kann, ist kein Vorwurf an die Privatwirtschaft, sondern ein inzwischen kaum mehr umstrittenes «Feature» unseres Systems.

Relativ neu ist jedoch die Tatsache, dass die Marktwirtschaft auch in normalen Zeiten, ja sogar in der Hochkonjunktur, ohne staatliche Hilfe nicht mehr die Kaufkraft generiert, die sie für den Absatz ihrer Produkte eigentlich bräuchte.

Löhne reichen oft nur für laufenden Bedarf

Insbesondere die multinationalen Unternehmen verteilen ihre Wertschöpfung viel zu einseitig. Das gilt auch für Rohners CS, bei der die Aktionäre abkassieren und deren CEO hunderte Male mehr verdient als ein*e Mitarbeiter*in auf der untersten Lohnstufe. Selbst in relativ reichen Ländern wie Deutschland oder Italien reichen die Löhne immer öfter nur noch für den laufenden Bedarf, knapp am Existenzminimum. Bei allen Wechselfällen des Lebens wie Arbeitslosigkeit, Kindern, Krankheit oder Alter muss der Staat einspringen.  

«Der Arbeitsmarkt verlangt Flexibilität und Mobilität – das schwächt Familien und Nachbarschaften. Die Bürde trägt der Staat.»

Kommt dazu, dass die zeitliche Flexibilität und örtliche Mobilität, die uns der Arbeitsmarkt abverlangt, die Familien und Nachbarschaften schwächt bis zerrüttet. Dadurch werden dem Staat noch mehr Lasten für Erziehung, Pflege und Gesundheit aufgebürdet.

Staaten: Nicht genug Geld für Hauptaufgaben

Die Corona-Krise hat uns nun vor Augen geführt, dass der Staat in vielen Ländern nicht mehr genügend Geld hat, um «nebenbei»  auch noch seine Hauptaufgabe zu erfüllen und die Bürger*innen ausreichend mit öffentlichen Gütern – Spitäler, Schulen, Infrastruktur, Verwaltung  etc. – zu versorgen. Im Gegensatz zu den von Rohner nicht näher präzisierten privaten «Geschäftsmodellen» geht es hier um konkrete Vorhaben mit erkennbarem Nutzen. 

Im Kanton Basel-Stadt etwa werden mehrere öffentliche Einrichtungen – Schulen, Kulturzentren und Forschungsinstitute– neu gebaut oder saniert. Dazu gehört auch die Kantonale Handelsschule in der Luftmatt, wo der Autor dieser Zeilen vor 55 Jahren in die Geheimnisse der Wirtschaft eingeweiht worden ist.

Diese Beispiele zeigen auch, dass sich die Schweiz noch genügend öffentliche Güter leisten kann. Anders gesagt: Unsere Marktwirtschaft liegt dem Staat noch nicht allzu sehr auf der Tasche. Doch wir müssen den Anfängen wehren. Sonst geraten wir in dasselbe Fahrwasser wie etwa Frankreich, das die eh schon zu tiefen Einsteiger*innen- und Lehrlingslöhne der Privatwirtschaft jetzt noch stärker subventioniert. 

Im Vergleich dazu sind die Forderungen von Urs Rohner Peanuts. Aber wenn uns diese Erdnüsschen dazu angeregt haben, einmal grundsätzlich über eine sinnvolle Arbeitsteilung in unserer dreigliedrigen Wirtschaftssystem nachzudenken, dürfen wir dem CS-Präsidenten dankbar sein.

Werner Vontobel ist gebürtiger Basler und eine*r der bekanntesten Wirtschaftsjournalist*innen der Schweiz. Auf Bajour bringt er sich regelmässig zu volkswirtschaftlichen Themen, konjunkturpolitischen Grundsatzdebatten und ökonomischen Sinnfragen ein.

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