«Mustafa versucht hier krampfhaft, Widersprüche zu konstruieren»

SP-Kandidat Mustafa Atici duelliert sich mit FDP-Grossrat Luca Urgese im Bajour-Streitgespräch um den Sitz im wohl frei werdenden Erziehungsdepartement. Dabei fliegen zwischenzeitlich auch mal ordentlich die Fetzen.

Urgese und Atici Titelbild
Wer in den Basler Regierungsrat einziehen darf, entscheidet sich am 7. April. (Bild: Ernst Field)

Am 7. April wählt Basel-Stadt einen neuen Erziehungsdirektor. Zur Verfügung stellen sich alt SP-Nationalrat Mustafa Atici und FDP-Grossrat Luca Urgese. Im grossen Bajour-Streitgespräch haben wir den beiden in Sachen Bildungspolitik auf den Zahn gefühlt. 

Sie beantworten abwechselnd vor der Kamera Fragen zur integrativen Schule, zu anstehenden Hitzesommern und Siesta-Ideen sowie zur Abschaffung von Noten und dem Verbot von Kopftüchern für Lehrer*innen. Die beiden tun dies mit den gewohnten Differenzen, aber einigermassen friedlich. 

Doch als wir zum Thema Hochschulpolitik kommen, ist fertig mit der Harmonie. Urgese wirft Atici vor, er konzentriere sich zu sehr auf die Volksschule. Atici wiederum kontert mit dem Vorwurf, Urgese sei ein Fähnchen im Wind und passe seine Lösungsvorschläge dem Wahlkampf an. Es folgt ein Schlagabtausch, der es in sich hat. Ein Auszug aus dem Video-Interview. 

Herr Urgese, alle reden von der Volksschule, aber zum Erziehungsdepartement gehören bekanntlich auch die Uni und die Hochschulen – wie würden Sie unseren Nachbarkanton Baselland davon überzeugen wollen, nicht noch weiter zu sparen?

Urgese: Ich bin sehr froh, dass Sie das Thema ansprechen, es ist ja bekanntlich kein Schwerpunkt gewesen in Aticis 5-Punkte-Plan, was mich irritiert hat, weil die Hochschulen etwas enorm Wichtiges sind für unseren Innovations- und Forschungsstandort. Die Verhandlungen, die uns mit dem Kanton Baselland bevorstehen, sind eine grosse Herausforderung, wir kennen die finanziellen Probleme unseres Nachbarkantons. Deshalb müssen wir es schaffen, im Dialog eine langfristige Lösung zu finden, damit wir nicht alle vier Jahre aufs Neue diskutieren müssen, wie wir die Uni stabil finanzieren.

Atici wird bei diesem Vorwurf an seine Adresse leicht zappelig, der Videojournalist Ernst Field muss sich beim Einstellen der Stative also etwas sputen. Dann folgt die Frage an den alt SP-Nationalrat:

Herr Atici, wieso waren Uni und Hochschulen kein Schwerpunkt in Ihrem 5-Punkte-Plan?

Atici: In einer kurzen Medienkonferenz kann man nicht alles bringen. Auch mein Kollege Urgese hat in seiner Medienkonferenz Schul-Rankings nicht gebracht. Ebenso wenig, dass Lehrpersonen nicht mehr unter 50 Prozent arbeiten sollen, oder die Gymi-Quote, da sagt er nun, dass er dagegen ist, bis vor zwei Wochen war er noch dafür. Aber natürlich ist die Unifinanzierung für die Planungssicherheit enorm wichtig, ich habe auf Bundesebene gute Netzwerke, Baselland muss man mitnehmen, das wäre für unseren Kanton enorm wichtig.

Urgese: Mustafa spricht immer wieder diese Schul-Rankings an, sie scheinen ein grosser Fokus von ihm zu sein. Ich selbst thematisiere das nicht, denn es ist schlicht und einfach keine Priorität von mir. Wenn ich danach gefragt werde, gebe ich selbstverständlich eine Antwort. Aber ja, auch in der Bildungspolitik muss man Prioritäten setzen. Und wir müssen einfach festhalten: Bei der Medienkonferenz von Mustafa sind Uni und Hochschulen offensichtlich keine Priorität gewesen. 

Atici: Jaja, Schul-Rankings. Ich merke, dass die FDP bei Bildungspolitik schnell, schnell Themeninhalte und Lösungen anpasst. Vor zwei Jahren gab es die Vorstösse von euch, da hat euch selbst alt Regierungsrat Christoph Eymann (LDP) Populismus vorgeworfen. Und seit drei Wochen bringst du dann Bildungsthemen, zum Beispiel eben die Gymiquote, deren Ausführung unmöglich ist. Du bringst Lösungen, die nicht tragfähig sind.

Lassen wir es so stehen?

Urgese: Nein, ich vertrete keine Gymiquoten. Ich vertrete keine fixen Gymiquoten. Einfach, um das festzuhalten.

Atici: Beim ersten Wahlgang waren wir ja zusammen bei allen Podien und da hast du sie überall erwähnt. Auch diese Schul-Rankings: Vor eineinhalb Monaten, hast du in der BaZ bestätigt, dass du sie unterstützt. Also ich finde es problematisch, im Wahlkampf ständig Inhalte und Lösungsvorschläge zu ändern. 

Urgese: Entschuldigung, das ist schlicht und einfach nicht wahr. Ich habe Rankings nicht zu meinem Thema gemacht, der Einzige, der das ständig zum Thema macht, ist Mustafa. Wenn ich in Medien danach gefragt werde, wie ich mir das vorstelle, was meine Partei damals vorgesehen hatte, dann antworte ich selbstverständlich darauf. Aber es ist kein Schwerpunkt von mir, es ist keine Forderung von mir, die ich in diesem Wahlkampf aufgestellt habe. Nie! Von dem her: Mustafa hat das Gefühl, er könne mich auf diesem Punkt angreifen, aber ich vertrete das nicht. Im Grossen Rat ist der Vorstoss klar abgelehnt worden, das akzeptiere ich, deshalb hat das für mich keine Priorität. 

Atici und Urgese
Nach dem Gespräch sind die beiden ganz versöhnlich. (Bild: Ernst Field)

Ein letztes Mal noch, Herr Atici.

Atici: Ich sehe hier wirklich einen grossen Widerspruch. In allen Bereichen, in denen Conradin Cramer (LDP-Erziehungsdirektor, Anmerkung der Redaktion) Vorschläge gebracht hat – man kann dafür oder dagegen sein – stellst du diese infrage. Und ich verstehe nicht, wie Cramer jetzt hinter deiner Bildungspolitik stehen kann.

Eine wirklich allerletzte Reaktion, Herr Urgese?

Urgese: Mustafa versucht hier krampfhaft, Widersprüche zu konstruieren. Ich habe an meiner Medienkonferenz dargelegt, was meine Prioritäten sind, 10 Punkte, sehr konkret, entstanden im Austausch und im Dialog mit den Lehrpersonen, das ist ihm offenbar nicht gelungen, das finde ich halt schade.

Insgesamt endet das Gespräch versöhnlich, die beiden sind sich einig, dass es im Wahlkampf um Sachthemen gehen sollte und nicht um persönliche Angriffe. Die ganze Diskussion kannst du hier anschauen.

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Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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Ernst hat als Praktikant bei Bajour gestartet, wurde dann vom Studieren abgehalten und als Trainee verpflichtet. Ernst ist mittlerweile aufstrebender Junior-Redaktor für Social Media. Wenn er nicht gerade mit dem rosa Mikrofon in der Stadt rumspringt, Glühwein testet oder Biber jagt, stellt er kluge Fragen in seinem Podcast «Ernsthafte Gespräche». 2024 wurde Ernst vom Branchenmagazin Journalist:in unter die «30 unter 30» gewählt.

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