Die Ganz-oder-gar-nicht-Freisinnige

Die FDP macht gerade eine kleine Verwandlung durch. Und die Vegetarierin Tamara Alù gibt ihr ein Gesicht. Ein Porträt mit einer Portion Analyse.

Tamara Alu Grendelmatte
Tamara Alù präsidiert seit zehn Monaten die Basler FDP-Frauen. (Bild: Michelle Isler)

Da gilt die Basler FDP jahrelang als männliche Parkplatzpartei. Und dann ist da plötzlich diese Frau. Und spricht im Fernsehen. An der Seite des Parteipräsidenten. Über Kultur.

Aber von vorne: Vor einem Jahr sagte Johannes Barth, der neue Parteipräsident, in einem Interview mit Bajour, die FDP müsse an ihrer Kommunikation arbeiten. «Wie können wir das Image der bösen, grauhaarigen, kapitalistischen Männerpartei ablegen?», fragte er. 

Die Probleme der FDP waren und sind bekannt, die BaZ recycelte sie Anfang Woche wieder einmal: Dem Freisinn fehlten die Frauen, die Aushängeschilder, die Wirtschaftsconnections, das Grüne, das Urbane. Und ergo auch die Wähler*innen.

Sitzverteilung Grosser Rat 2020
Sorgte nicht für FDP-Jubel: die Sitzverteilung nach den Grossratswahlen 2020. (Bild: Staatskanzlei Basel-Stadt)

Johannes Barth war angetreten, das zu ändern. Und auch wenn die BaZ es noch nicht so recht bemerkt hat: Bei der FDP, so scheints, hat sich seit einem Jahr tatsächlich etwas getan. Nicht nur hat sie (unter dem Lead des alten Parteipräsidenten Luca Urgese), zusammen mit der Mitte, diverse Steuersenkungen angestossen. Die Partei macht auch in Sachen Image eine kleine Verwandlung durch. Und die geht nicht, wie von FDP-Urgestein Max Pusterla in der BaZ vorgeschlagen, nach rechts zu Joel Thüring. Sie geht hin zu Tamara Alù, einer Freisinnigen mit einem sicher nicht typisch rechten Profil.

Deutlich wurde das beim Telebasel-Auftritt zum Erhalt des Musical Theaters. Das Engagement des Freisinns für eine Kulturinstitution ist an und für sich schon ein Novum. Und dann trat der Präsident Barth im Fernsehen mit Alù auf, einer Frau, die zwar nicht vom Stimmvolk gewählt ist, die man aber trotzdem plötzlich überall ein bisschen sieht. Etwa an der Seite von Saskia Schenker beim Sammeln von Unterschriften für die Individualbesteuerung. Auf Twitter (als eine von wenigen bürgerlichen Frauen in Basel-Stadt). Und eben bei Telebasel.

Erleben wir gerade die personifizierte Verweiblichung der FDP?

Tatsächlich präsidiert Alù seit zehn Monaten die FDP Frauen und bringt schon einiges an Polit- und Kommunikationserfahrung mit. Die 35-Jährige ist gelernte Marketingfachfrau. Seit Anfang Jahr leitet sie die Kommunikations- und Marketingabteilung beim Eventveranstalter Das Zelt, zuvor war sie über drei Jahre bei der Handelskammer beider Basel für Abstimmungskampagnen verantwortlich. Das merkt man. Alù sagt gerne Sätze, die aus einem Selbstvermarktungsbuch kommen könnten: «Entweder mache ich etwas ganz oder gar nicht», zum Beispiel. 

In den letzten Monaten hat der neu zusammengesetzte Vorstand der FDP Frauen klare Schwerpunkte gesetzt, erzählt die 35-Jährige, zum Beispiel öffentliche Sicherheit, Individualbesteuerung, AHV 21 oder auch Sexualstrafrecht. Bei Letzterem machen sich die Frauen für «Nur Ja heisst Ja» stark, im Gegensatz zu vielen freisinnigen Männern.

Der Ständerat verabschiedete kürzlich die «Nein-heisst-Nein-Variante». Alù sagt: «Auch persönlich stehe ich bei frauenspezifischen Themen vielleicht mehr links als meine Parteikollegen.»

Das kommt offenbar gut an: «Seit letztem August haben wir 17,5 Prozent mehr Mitglieder bei den FDP Frauen gewonnen», erzählt Alù stolz (jetzt sind es total 47 FDP-Frauen). Ihre Zauberworte sind «Sichtbarkeit und Vernetzung». «Da haben wir definitiv einiges geschafft», sagt sie, hebt das Engagement ihres Vorstands hervor und verweist als Beispiel auf die Wahlen in Riehen, wo die freisinnige Gemeinderätin Silvia Schweizer im ersten Anlauf wiedergewählt wurde.

«Da haben wir eine Frauenkampagne gemacht, mit der wir eine super Reichweite erzielt haben.» Neu findet man die FDP Frauen auch auf Twitter und Instagram. Zu verdanken ist das Alù, die sich vorgenommen hat, punkto Kommunikation und Digitalisierung frischen Wind in die Runde zu bringen. 

«Persönlich stehe ich bei frauenspezifischen Themen vielleicht mehr links als meine Parteikollegen.»
Tamara Alù

Löst Tamara Alù jetzt also das Frauenproblem der Freisinnigen? 

Parteipräsident Johannes Barth gibt sich zuversichtlich: «Ja, das ist zumindest die Aufgabe.» Es sei sein Wunsch gewesen, die Frauensektion zu beleben und «ich bin überglücklich, dass sie das jetzt macht und umsetzt. Sie kann Frauen für Politik begeistern und ist eine Macherin – genau das brauchen wir.»

Das ist auch nötig. Etwa im Hinblick auf die nächsten Nationalratswahlen im Herbst 2023. Bei den vergangenen Wahlen war das Frauenproblem des Freisinns offensichtlich: Die einzige Frau in der Grossratsfraktion ist Karin Sartorius-Brüschweiler. Von den Regierungsratswahlen müssen wir hier gar nicht erst reden.

Alù will gewählt werden, möchte allerdings am Anfang der Ochsentour beginnen: «Mein nächstes Ziel ist der Grosse Rat, dann wäre ich happy». Wie es danach weitergeht, lässt sie offen. «Sicher ist: Ich habe gerne Herausforderungen.»

Alùs Engagement ist auch der Linken aufgefallen. SP-Gleichstellungspolitikerin Michela Seggiani nimmt Tamara Alù als «starke Frau wahr, die an der Front politisiert und weiss, was sie will». Aber, sagt sie: «Ich glaube nicht, dass sie das Frauenproblem in der FDP löst, weil eine Frau das nicht lösen kann.» Die FDP müsse insgesamt diverser und offener werden findet Seggiani.

Alù tue der FDP aber gut, «weil sie so sichtbar ist und sich nicht nur mit den klassischen Frauenthemen positioniert.» Seggiani freut sich jedenfalls darauf, mal mit ihr zu streiten, «ich kann sie mir als kompetente Gegnerin sehr gut vorstellen».

Romeo und Tamara Alu
Das letzte «Bänggli-höggele» von Tamara Alù und Romeo, dem alten Border Terrier. (Bild: zVg)

Musical Theater, Sexualstrafrecht: Das klingt nicht nach typisch freisinnigen Themen. Dazu kommt noch ein weiteres: der Tierschutz. Wir treffen Alù auf der Grendelmatte in Riehen. Bis vor Kurzem war sie häufig mit Romeo hier, ihrem Hund. Jetzt kommt sie allein, der Border Terrier ist verstorben.

Es ist heiss und windig. «Romeo ist meine grosse Liebe», sagt Alù und streicht sich durch den vom Wind zerzausten Pony. «Mit ihm habe ich gelernt, einfach eine halbe Stunde auf dem Bänggli zu sitzen und nichts zu machen.» Von ihrer Tierliebe kommt auch ihr Engagement für den Tierschutz. Hinsichtlich der Abstimmung zur Massentierhaltungsinitiative im Herbst spricht sich die Vegetarierin zum Beispiel für ein Ja aus – die FDP-Fraktion im Nationalrat stimmte einstimmig dagegen, die Basler Sektion fasst ihre Parole im August. 

Bei anderen Themen wiederum positioniert sich die 35-Jährige traditioneller, zum Beispiel beim Verkehr. «Ich bin klar gegen den Parkplatzabbau und lehne auch flächendeckendes Tempo 30 in Basel ab, das widerspricht meinem freisinnigen Gedankengut.» Wichtig zu wissen: Romeo, ihre Liebe, hiess nicht wegen Shakespeare so. Sondern wegen Alfa Romeo – früher war Alù Auto-Fan.

Die Frau ist eben schon richtig in ihrer Partei – sie war eine Zeit lang in der GLP, sogar als Parteisekretärin, hat dann aber später gemerkt, dass es die FDP sein muss. «Mir entspricht der freisinnige Gedanke sehr», sagt sie. «Möglichst viel Eigenverantwortung und möglichst wenig Regeln.» 

Wobei, Alùs Autoliebe war auch schon grösser: Ihr nächster Hund soll nicht Alfa heissen, sondern – ein wenig subtiler – Giulia. «Auch zu Ehren Romeos», natürlich.

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


Foto Pino Covino

Bei Bajour als: Journalistin.

Hier weil: Das Hobby meines Mannes finanziert sich nicht von alleine.

Davor: Chefredaktorin im Lokalmedium meines ❤️-ens (Bajour), TagesWoche (selig), Gesundheitstipp und Basler Zeitung

Kann: alles in Frage stellen

Kann nicht: es bleiben lassen

Liebt an Basel: Mit der Familie am Birsköpfli rumhängen und von rechts mit Reggaeton und von links mit Techno beschallt zu werden. Schnitzelbängg im SRF-Regionaljournal nachhören. In der Migros mit fremden Leuten quatschen. Das Bücherbrocki. Die Menschen, die von überall kommen.

Vermisst in Basel: Klartext, eine gepflegte Fluchkultur und Berge.

Interessensbindungen:

  • Vorstand Gönnerverein des Presserats
  • War während der Jugend mal für die JUSO im Churer Gemeindeparlament. Bin aber ausgetreten, als es mit dem Journalismus und mir ernst wurde.

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