Die letzte ihrer Art

Mit dem Rücktritt von Toya Krummenacher aus dem Grossen Rat verliert die SP die letzte Gewerkschaftsfunktionärin in ihrer Fraktion. Was bedeutet das für Lohnforderungen und Arbeitsschutz?

Toya Krummenacher
Den 1. Mai hinter sich und parat für den 14. Juni: Toya Krummenacher, Gewerkschaftssekretärin, Ex-SP-Grossrätin. (Bild: David Rutschmann)

Toya Krummenacher kann hässig sein, wenn sie am Redner*innenpult im Grossen Rat steht. Bei ihrer letzten Rede war sie besonders hässig. Klar, wenn im Parlament der Polizeieinsatz zur 1.-Mai-Demo in Basel aufgearbeitet wird, kann sie nicht einfach still sitzen. Schliesslich stand sie am Demotag selbst mitten zwischen Polizei und Demonstrierenden und versuchte zu vermitteln (Bajour berichtete). 

Denn: Bei aller Hässigkeit und aller Leidenschaft ist Krummenacher immer sachlich. «Die hohe Kunst der Politik», nennt das ihre Fraktionschefin Michela Seggiani. Das ist das, was dann auch Bürgerliche mit ganz anderer inhaltlicher Meinung an ihrem Politikstil anerkennen. «Sie vertritt ihre Positionen emotional, aber ohne ausfällig zu werden», sagt der FDP-Grossrat Erich Bucher, der Krummenacher gut aus der Geschäftsprüfungskommission (GPK) kennt und sie dort als engagiert und konstruktiv erlebt habe. 

Ein weiterer dezidiert bürgerlicher Weggefährte aus der GPK spricht seine Bewunderung dafür aus, wie diese «kleine Frau am Rednerpult so viel Raum» einnehme. 1,58 m ist Krummenacher gross. Und in der Rolle als Vermittlerin an Demonstrationen, wie zuletzt am 1. Mai ist das nicht irrelevant, wie sie selbst sagt: «Ich wirke nicht bedrohlich, deshalb kann ich besser mit der Polizei reden.»  

Wer sie bei ihren Reden brennen sieht, der kann verstehen, dass sie auch mal ausgebrannt war. 2011, da musste sie Pause machen. Sie war damals bereits viele Jahre Gewerkschaftssekretärin der UNIA, die Wirtschaftskrise ging dem Industriesektor an den Kragen. Sie schlief kaum noch und wenn, dann träumte sie, wie unter ihrem Fenster die Arbeiter*innen um Hilfe bettelten. Die Schicksale gingen ihr nahe.

Warum lässt sie das so nah an sich ran? Krummenacher sagt, sie könne Ungerechtigkeit und Chancenungleichheit nicht aushalten. Als Jugendliche lebte sie mit ihren kultur- und weltgewandten Eltern und dem jüngeren Bruder einige Jahre in Chile. Sie besuchte eine Schweizer Schule, «alles mindestens Mittelstand, sehr privilegiert», wie sie sagt. Auf der anderen Seite sah sie auch Kinder, die sich nichts leisten konnten.

Kampf für Mindestlohn und gegen lange Ladenöffnungszeiten

Diese Schere prägt die heute 41-Jährige seitdem. Dass sie Gewerkschafterin wurde, war nach dem Bio-Studium, bei dem sie ihren heutigen Mann kennenlernte, nicht unbedingt naheliegend. Aber es stimmte. Trotz zwischenzeitlichem Burnout blieb die Leidenschaft. Sie wechselte zuerst zu Syndicom, dann zur VPOD. Und vor zehn Jahren kam sie für die SP in den Grossen Rat.

Wie auch Gewerkschaftsarbeit jahrelanges, hartnäckiges Kämpfen und Verhandeln ist, so ging auch Krummenacher im Grossen Rat vor. Mitstreiter*innen erinnern sich an ihren erfolgreichen Kampf gegen längere Öffnungszeiten der Basler Geschäfte. «Und dass wir in Basel den Mindestlohn haben, ist zu grossen Teilen Toya zu verdanken», sagt SP-Fraktionspräsidentin Michela Seggiani. Denn die Gewerkschaften mussten vom parlamentarischen Vorschlag auch erst noch überzeugt werden. 

Bei allem Gefühl für den Mittelpunkt, den Krummenacher schon als Kind im Ballett einnehmen konnte, fällt es ihr schwer, politische Erfolge als persönliche anzuerkennen.  Ganz auf ihre eigene Kappe – den berühmten Demonstrations-Fedora mit vielen bunten Buttons, etwa vom Frauenstreik – will sie sie nicht nehmen. Gewerkschafterin halt – und das sei sie konsequent immer, bevor sie Politikerin sei.

Toya Krummenacher, Praesidentin BGB/ VPOD-Regionalsekretaerin Basel, mit einem Megaphon am Demonstrationszug anlaesslich des 1. Mai-Umzuges in Basel am Mittwoch, 1. Mai 2019. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Toya Krummenacher am 1. Mai 2019. Der Fedora ist Kult. (Bild: © KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS)

Diese Erfolge führt Toya auf ihren hartnäckigen Politikstil zurück, den sie beschreibt als ein Abwägen zwischen: «Wann muss man kämpfen? Wann muss man reden?» Das Abwägen liegt in ihrem Charakter begründet, bei dem die elterliche Prägung für eine starke Verantwortung für die Demokratie auf ein impulsives, emotionales Wesen trifft, das auch den Streit nicht scheut.

Um da den Ausgleich zu finden, sei die Gewerkschaftsarbeit eine gute Schule gewesen, sagt sie. Die Gewerkschaft also als Erfolgsschmiede für sozialdemokratische Politik? Das kennt man in Basel gut: Helmut Hubacher war Gewerkschaftssekretär, bevor er Nationalrat und Parteipräsident wurde und die SP zur Volkspartei machte.

Toya Krummenacher hingegen macht lieber erstmal einen Schritt zurück. Nach zehn Jahren Grossem Rat – neben emotionalen Reden auch diffizile Hinterzimmerarbeit zwischen GPK, Wirtschaftskommission und Biozentrum-PUK – scheidet sie aus dem Parlament aus. Sie will wieder mehr Flexibilität in ihrer Freizeit neben ihrem Job als Gewerkschaftssekretärin und ihrem Jus-Studium – für ihre vier Gottekinder, für ihre drei Katzen und für ihren Mann. Wird sie im Sommer in den Bürgergemeinderat gewählt, dann hat das auch noch Platz.

Im Kantonsparlament hinterlässt sie eine Lücke, zumindest für die SP, die nun gar keine Gewerkschafterin mehr im Grossen Rat hat.

Doppelrolle als Vorteil – aber nicht als entscheidender

Haben sich Partei und Gewerkschaften zu sehr voneinander entfremdet? Krummenacher weist das zurück. «Es gab Zeiten, in denen die SP und die Gewerkschaften gar nicht miteinander geredet haben», sagt sie. Aktuell fände sie das Verhältnis eigentlich recht gut: Nicht zu eng, nicht zu entfremdet. Andere SP-Stimmen im Grossen Rat sehen das anders, finden die Haltung der Gewerkschaften mit ihren vielen personellen Wechseln als unterkühlt. 

SP und Gewerkschaft, das sei nunmal bei vielen inhaltlichen Überschneidungen ein Spannungsfeld. Krummenacher erklärt: «Flächendeckend Tempo 30 findet man als Linke  gut. Aber in den Gewerkschaften kommen dann kritische Fragen: Gilt das auch für den öffentlichen Verkehr? Fahren weniger Leute ÖV, wenn er langsamer ist? Werden dann Stellen abgebaut?» Diese Fragen seien überwindbar – «am Ende hat es wohl viel mit den Menschen in den Verantwortungspositionen zu tun, wie nah sich Gewerkschaften und SP stehen». 

Wenn nun aber keine solchen Figuren mehr für die SP im Parlament sitzen, wie wirkt sich das auf das Gehör von Gewerkschaftsthemen aus? Wird es der Kampf nach höheren Löhnen jetzt schwieriger haben – ausgerechnet in Inflationszeiten?

1. Mai 2023
Was war los am 1. Mai?

Die bewilligte 1.-Mai-Demo 2023 wurde nach kurzer Zeit unterbrochen, als die Polizei die Spitze des Demozugs einkesselte. Die Begründung: Es befänden sich vermummte Personen mit Sicherheitsmaterial im Kessel; man wolle Personenkontrollen durchführen. Die Polizei setzte Tränengas und Pfefferspray ein. Dem Rest der Demo bot die Polizei eine Alternativroute an, doch die Demonstrant*innen solidarisierten sich. Toya Krummenacher war als Gewerkschaftssekretärin eine der Figuren, die versuchten, mit der Polizei zu verhandeln.

Zum Demobericht

Krummenacher glaubt nicht, dass das gewerkschaftliche Ohr der SP im Grossen Rat jetzt schwerhöriger wird, «nur weil eine Funktionärin aufhört». «Viele SP-Grossrät*innen sind Gewerkschaftsmitglieder. Wäre der VPOD eine Partei – was er aber eben nicht ist und nicht sein will – hätte er im Grossen Rat noch immer Fraktionsstärke, auch dank der SP.»

Damit will sie sagen: Ein Gewerkschaftsmitglied kann genauso Anliegen in den Grossen Rat einbringen wie eine Funktionärin. 

Dennoch gesteht Toya Krummenacher ein, dass ihre Doppelrolle zu «kürzeren Wegen» zwischen SP und dem VPOD geführt hat. Wortwörtlich: Das VPOD-Büro ist im Gewerkschaftsbüro gegenüber dem SP-Parteisekretariat, sie musste zum Vermitteln also nur einmal über den Gang. «Aber das ist nur ein praktischer Nebeneffekt, damit der Austausch funktioniert, nicht der entscheidende Punkt», sagt sie.

Aber: Bei der SP wird sie jetzt bereits vermisst. «Sie war nunmal unser Gewerkschaftswikipedia, da wird sie schon eine Lücke hinterlassen», sagt SP-Fraktionschefin Michela Seggiani. Die Zusammenarbeit zwischen den Sozialdemokrat*innen und den Gewerkschaften werde zwar nicht eingehen, «weil eine Person nicht mehr im Parlament ist». Aber es sei schon einfacher mit Toya als ohne. Deshalb will Seggiani auch weiterhin ihre Meinung bei entsprechenden Geschäften einholen. Krummenacher, das sagt sie auch selbst, wird ein politischer Mensch bleiben.

Fliegende Herzen
Wir stehen für unabhängigen Journalismus.

Unterstütze uns und werde Member.

Das könnte dich auch interessieren

Wochenkommentar Leila Moon

Ina Bullwinkel am 13. Dezember 2024

Verlierer*innen, wo du hinschaust

Was bleibt übrig von der knapp einmonatigen Diskussion um die Vergabe des Kulturförderpreises an Leila Moon? Eine Jury, die sich und die Künstlerin angreifbar gemacht hat. Ein Amt für Kultur, das sich wieder einmal rechtfertigen musste. Und eine Künstlerin, an der nun ein Image haftet, das nur schwer zu revidieren ist. Ein Kommentar von Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Weiterlesen
Pekerman2

Valerie Zaslawski am 10. Dezember 2024

«Wir werden sehen, ob Syrien wirklich ein Land für alle sein wird»

GLP-Grossrat Bülent Pekerman sagt im Interview mit Bajour, die Freude über den Sturz von Assad in der kurdischen Community sei gross. Er äussert aber auch Bedenken: «Die Türkei wird nun versuchen, den Kurden in Syrien das Leben schwer zu machen.»

Weiterlesen
Elisabeth Schneider-Schneiter Ukraine

David Rutschmann am 06. Dezember 2024

«Uns allen geht es um die humanitäre Tradition»

Die Baselbieterin Elisabeth Schneider-Schneiter war eine der Ausscherer*innen aus der Mitte, die im Nationalrat die Verschärfung des Schutzstatus S möglich machten. Sie findet es richtig, den Sonderschutz auf die akuten Kriegsgebiete zu beschränken – und hofft, dass man damit die Zuwanderungspolemik der SVP bekämpfen kann.

Weiterlesen
Valerie Kommentar-1

Valerie Zaslawski am 02. Dezember 2024

Alle Parteien raus! Sie haben da nichts zu suchen

Das Stadtteilsekretariat Kleinbasel steht in der Kritik, zu links zu sein. Nachdem die bürgerlichen Parteien ihm bereits den Rücken gekehrt haben, sollten auch die linken ihre Rolle überdenken. Parteien haben andere Gremien, um mitzuwirken, kommentiert Valerie Zaslawski.

Weiterlesen
David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

Kommentare