«Wir gehören jetzt zu Basel»

Der Grosse Rat debattiert Ende Juni über das neue Bettelgesetz. Die bettelnden Roma haben keine Freude. Eine junge Bettlerin würde im Notfall lieber einen Schweizer heiraten als auszureisen.

Eine Bettlerin kniet in der Freien Strasse am Boden.
Noch vor den Sommerferien behandelt der Grosse Rat ein Gesetz, das Betteln an vielen Stellen verbietet. (Bild: Keystone)

Es ist ein warmer Montagabend im Mai, der Himmel ist in Orange getaucht, die Sonne verschwindet langsam hinter dem Bahnhof SBB. Auf dem gläsernen Dach des Veloparkings, gleich neben dem Coop, sitzen drei junge Frauen. Sie tragen bodenlange rot-weiss geblümte Röcke, ihre dunklen Haare haben sie zu Zöpfen geflochten. 

Eleonora, Marina und Alida* sind Moldawierinnen aus Rumänien. Vor etwa einem Monat sind sie nach Basel gereist, um zu betteln.  

Diesen Sommer könnte damit aber Schluss sein. Am 1. Juli ist es ein Jahr her, dass Basel das Bettelverbot aufgehoben hat. Jetzt wollen Regierung und eine bürgerliche Mehrheit des Grossen Rates es wieder einführen. Wir haben mit Hilfe einer Übersetzerin mit zwei Roma-Gruppen gesprochen und wollten von ihnen wissen: Wie geht es für sie weiter, wenn das Betteln wieder weitgehend verboten wird?

«Warum haben sie nur etwas gegen uns und nicht gegen die einheimischen Obdachlosen und Bettler*innen?»
Marina*, bettelnde Roma

Als wir auf Rumänisch erklären, dass wir von der Zeitung sind, kippt die freundliche Stimmung in Misstrauen. «Was wollt ihr von uns?», fragt Marina mit hochgezogenen Augenbrauen. Alida springt auf, verzieht verärgert das Gesicht und läuft schimpfend davon. 

«Was haben wir davon, wenn wir mit euch reden?», will Marina wissen. Sie hätten anfangs gedacht, wir seien von der Kirche. «Warum hilft uns niemand? Wieso interessiert sich niemand für uns?», fragt sie trotzig. 

«Wir werden nicht einfach wieder gehen»

Das Interesse der Basler*innen an den bettelnden Roma ist durchaus gross. In der Bevölkerung herrscht aber vor allem Unmut, Ratlosigkeit und nicht zuletzt Überforderung. Passant*innen nerven sich darüber, dass sie von sieben verschiedenen Roma angebettelt werden und das zuweilen sehr aufdringlich – egal ob man gerade am Einkaufen ist oder auf dem Velo oder im Auto sitzt. In letzter Zeit waren sogar Basler*innen zu beobachten, die vor Wut Bettler*innen anbrüllten. Die Stimmung ist aufgeheizt.

Doch davon haben Marina und ihre Freundinnen offenbar nichts mitbekommen. Als wir sie darauf ansprechen, reagiert Marina erstaunt: «Aber wir tun doch nichts.» Und fragt dann: «Warum haben sie nur etwas gegen uns und nicht gegen die einheimischen Obdachlosen und Bettler*innen? Ist es, weil wir keine Schweizerinnen sind? Das ist doch rassistisch.»

Wir erzählen, dass sich viele Basler*innen durch aggressives Betteln gestört fühlen. «Ja, und?», meint Marina aufgebracht. «Wir haben Hunger, wir brauchen Geld, um etwas zu Essen zu kaufen. Was sollen wir denn sonst tun? Arbeit gibt uns ja auch niemand.» Sie würden immer wieder einmal von Passant*innen bespuckt und beschimpft.

Erzähl uns, wie‘s wirklich ist.

Weshalb aber kamen sie überhaupt nach Basel?

«Um Geld zu verdienen», sagt Marina. In der Schule waren sie nie. «Das dürfen Mädchen in unserer Kultur nicht.» Zuhause in Rumänien warten ihre Familien. Alida, die sich in der Zwischenzeit wieder zu uns gesetzt hat, ist schwanger mit dem sechsten Kind. 

Alida, Eleonora und Marina wissen vom geplanten teilweisen Bettelverbot, es hat sich unter den Roma herumgesprochen: «Aber das ist uns egal», sagt Marina. «Wir gehören jetzt zu Basel und werden deshalb auch nicht einfach wieder gehen.» Sie hätten schon eine Menge Bussen bekommen, weil sie die Corona-Massnahmen nicht eingehalten hätten und schwarz Tram gefahren seien. «Da macht es auch keinen Unterschied, ob wir weiter gebüsst werden.»

Marina klingt wütend und frustriert. «Warum soll es verboten sein, zu betteln, aber wenn ich für Geld einen Blowjob gebe, ist es ok?»

«Es ist mir mittlerweile egal, ich würde sogar einen Schweizer heiraten. Dann hätte ich den Schweizer Pass und keine Sorgen mehr.»
Marina*, bettelnde Roma

Wir wollen von Marina wissen, was sie damit meint. Hat sie Erfahrungen mit Prostitution oder redet sie nur über das Gesetz? Betteln soll wieder verboten werden, Prostitution aber ist erlaubt. Laut Alexander Ott, Chef der Berner Fremdenpolizei, gab es in Zürich Roma-Frauen, die auf den Strich gingen, weil sie mit Betteln zu wenig verdienten. 

Wir würden gerne von Marina wissen: Muss sie sich prostituieren, wenn sie nicht mehr betteln darf? 

Doch in diesem Moment gesellt sich ein Cousin von Marina zu uns. Vor einem Mann möchte sie nicht darüber sprechen. Auch als wir sie später zur Seite nehmen, um unter uns Frauen noch einmal nachzufragen, weicht Marina aus: «Ganz ehrlich, es ist mir mittlerweile egal, ich würde sogar einen Schweizer heiraten. Dann hätte ich den Schweizer Pass und keine Sorgen mehr», sagt sie lachend.

«Wir sind nicht aggressiv»

Gar keine Freude an den Moldawierinnen haben Wassily und seine Familie: 

«Wir haben nichts mit ihnen zu tun. Sie benehmen sich nicht gut.» Er sitzt auf einem grauen Koffer unter einem Baum vor dem Burger King, neben ihm stapeln sich prall gefüllte Koffer, Reisetaschen und zusammengerollte Wolldecken. Wassily beisst herzhaft in eine Frühlingszwiebel, in der anderen Hand hält er eine Salami. Er ist ein korpulenter älterer Mann, trägt eine graue Jogginghose und braune Leder-Schläppli ohne Socken. 

Wassily und seine Familie sind Roma aus der Region Iași. Seine Frau Szuszanna sitzt rauchend neben ihm. Sie trägt einen blau-weiss gepunkteten Rock, passend zu ihrem Kopftuch. Ihre trüben blauen Augen blicken uns sorgenvoll an. «Ja, wir wissen, dass das Betteln verboten werden soll. Aber wir haben noch keine Pläne, wie es dann weitergeht. Wir wollen eigentlich nicht gehen», sagt sie. 

Eins wolle sie aber klarstellen: «Wir sind nicht aggressiv wie die Moldawierinnen.» Sie würden nur im Sitzen betteln und niemandem nachlaufen. «Aggressive Bettler sollten heimgeschickt werden», sagt Szuszanna. Wegen aufdringlichen Bettlern hätten sie nun alle einen schlechten Ruf. Ihr Mann Wassily nickt und will wissen: «Wie denken die Schweizer? Was ist ok und was nicht?»

«Aggressive Bettler*innen sollten heimgeschickt werden.»
Szuszanna, bettelnde Roma

Diese Diskussion ist jedoch gelaufen. Die Zeit, als Politik und Medien noch darüber werweissten, ob es sich bei den Roma um kriminelle Banden, Opfer der globalen Ungleichheit oder einfach Selbstständige eines Business Modells namens «Bettelei» handelt, ist vorbei. Aktuell lautet der Tenor: Die bettelnden Roma sollen gehen. 

Die Regierung hat in Windeseile ein Gesetz ausgearbeitet, welches das Betteln quasi überall verbietet, die bürgerliche Mehrheit des Grossen Rats will es noch vor den Sommerferien behandeln. Wenn der Grosse Rat das Gesetz im Juni verabschiedet, tritt die neue Verordnung frühestens im August in Kraft – ausser jemand beschliesst, das Referendum zu ergreifen. Das haben aktuell weder die SP noch das Grün-Alternative Bündnis (GAB) vor.

Die neue Bettelverordnung

Am 17. Mai präsentierte Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) den Gesetzesentwurf für die neue Bettelverordnung. In der Sitzung vom 23./24. Juni befindet der Grosse Rat darüber. Dafür sind alle Parteien ausser SP und GAB. 

Die Vorlage kommt einem absoluten Bettelverbot nahe. Ein solches würde gemäss EGMR gegen die Menschenrechte verstossen. Der regierungsrätliche Gesetzesvorschlag ist ein Versuch, das Betteln quasi überall zu verbieten und trotzdem der Menschenrechtskonvention zu entsprechen. Unter anderem verbietet das Gesetz aggressives und aufdringliches Betteln und regelt minutiös, an welchen Orten die Bettler*innen nicht mehr um Geld fragen dürfen: Beispielsweise vor Restaurants, Museen, Geschäften, in öffentlichen Parks, auf Märkten, vor Poststellen und Bankautomaten. 

Ob das Gesetz tatsächlich der Menschenrechtskonvention entspricht, ist unklar. Raphaela Cueni, die an der Uni Basel zu öffentlichem Recht forscht und lehrt, sagt: «Rechtlich kann man nicht verbieten, dass Menschen in der Innenstadt oder am Bahnhof mit Bettlerinnen und Bettlern konfrontiert werden, nur weil sie sich an der Konfrontation stören». Die neue Bettelverordnung verstösst ihrer Meinung nach gegen das Grundrecht. 

Stephan Breitenmoser, Professor für Europarecht an der Uni Basel, dagegen sieht  keine Verletzung der Menschenrechtskonventionen durch das teilweise Verbot. Er hat einen Bericht zum Bettelverbot im Auftrag der Mitte verfasst.

Tritt das Bettelverbot in Kraft, werden die Roma fürs Betteln gebüsst. Bussen sammeln sie schon heute: wegen nicht-eingehaltener Corona-Massnahmen oder wegen Verstoss gegen die Einwanderungsbestimmungen. Ein Cousin von Wassily fragt uns: «Ist es möglich, die Bussen in Raten abzubezahlen?» Jemand von ihnen habe eine Busse von siebzig Franken bekommen, erklärt Szuszanna. 

Ratenzahlungen akzeptiere die Basler Polizei nicht, sagt Sprecher Toprak Yerguz. Könne jemand eine Busse nicht vor Ablauf der Zahlungsfrist begleichen, werde der Fall an die Staatsanwaltschaft (Stawa) weitergegeben. Dort überprüfe man dann im Einzelfall, welche Konsequenzen der Person drohen, sagt Peter Gill, Sprecher der Stawa. Wenn sich die Bussen häufen, prüft das Migrationsamt ein Wegweisung, ergänzt Yerguz. Daran gekoppelt wäre der Antrag auf ein Einreiseverbot für die Schweiz.

Minderjährige müssen zurück

In den letzten Monaten wurden auch jugendliche Roma beim Betteln beobachtet. Die Polizei schaltete daraufhin die KESB ein. Was passiert mit den Minderjährigen? 

«Bisher haben wir von insgesamt zehn bettelnden Kindern Kenntnis erhalten», sagtPatrick Fassbind, Amtsleiter der KESB Basel-Stadt. Darunter seien vor allem Jugendliche im Alter von über sechzehn gewesen. Das jüngste Kind war zehn Jahre alt, so Fassbind. Sie alle waren in Begleitung ihrer Familien.

Die KESB schaltete das Migrationsamt ein, welches für die Roma und ihre Kinder die Reisekosten und Spesen für die Heimfahrt nach Rumänien übernahmen. Liest die Polizei sie ein zweites Mal auf, werden sie ausgewiesen.

«Werden sie uns mit Gewalt rauswerfen?»
Wassily, bettelnder Roma

Offenbar merken die Bettler*innen die abnehmende Geduld der Basler*innen doch irgendwie: finanziell. Es laufe nicht gut für sie, erzählen Wassily und seine Cousins. Sie würden pro Person vielleicht noch fünf Franken machen. 

Wassilys Cousin Karlo fragt uns, ob wir ihm helfen könnten, einen Job zu finden. Bevor er nach Basel zum Betteln gekommen ist, habe er temporär in der Nähe von Berlin auf einer Baustelle gearbeitet. «Viele Schweizer haben wegen der Krise ihre Arbeit verloren. Wie sollen wir da eine Stelle erhalten?», ruft Wassily dazwischen. 

Um 21 Uhr laden Szuszanna, Wassily und die anderen Roma ihr Gepäck auf. Aufbruchstimmung. Die Nacht verbringen sie im De-Wette-Park, erklären sie uns. 

Bevor sie sich verabschieden, meint Wassily noch: «Werden sie uns mit Gewalt rauswerfen?»

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*Namen von der Redaktion geändert

Mitarbeit (interkulturelle Übersetzung): Natalie Sigg

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Bei Bajour als: Reporterin

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Kann nicht: Still sitzen, es gut sein lassen, geduldig sein

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Vermisst in Basel: Das Meer

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