Von der Kollaboration zur Konfrontation

Das Künstler*innen-Kollektiv «Unofficial Hiking Society AG» wurde vom Kunstmuseum Basel für eine Institutionskritik angefragt. Die Zusammenarbeit lief nicht wie gewünscht. Nun erarbeitet das Kollektiv eine Petition, um die Kulturlandschaft grundsätzlich zu ändern.

Christian Selig vom Kunst-Duo « Stöckerselig» und Catherin Schöberl von «Unofficial Hiking Society» planen die Kultur-Revolution.
Christian Selig vom Kunst-Duo «stöckerselig» und Catherin Schöberl von «Unofficial Hiking Society AG» planen die Kultur-Revolution. (Bild: Helena Krauser)

«Im besten Fall starten wir damit eine Revolution, im zweitbesten Fall gibt es neue Richtlinien.» Catherin Schöberl meint es ernst, sie will dem Kunstbetrieb ein neues Selbstverständnis verschaffen. Eines, das nicht auf Selbstausbeutung fusst und Kunst als Prozess, als Auseinandersetzung, als Teil des Lebens versteht. Dass so eine Veränderung nicht ohne Reibung funktioniert, hat sie in den letzten Wochen gemeinsam mit ihrem Kollektiv «Unofficial Hiking Society AG» erleben müssen, dass die Machthaber*innen bei einer Revolution unter die Räder kommen, musste hingegen das Kunstmuseum Basel erleben. Nun hat das Kollektiv die Reibung in Energie verwandelt, sich mit Gleichgesinnten zusammengetan und eine Petition in die Wege geleitet. 

Aber der Reihe nach. 

Das Kollektiv «Unofficial Hiking Society AG» hat sich Anfang 2023 gegründet. Der Fokus liegt auf Institutionskritik. Die Künstler*innen veranstalten kritische Wanderungen, aber nicht durch die Natur, sondern durch Institutionen und Gedanken. Nachdem eine solche Wanderung auf dem Novartis Campus stattgefunden hatte, beschloss das Kollektiv letztes Jahr, sich mit der Kulturszene selbst und insbesondere dem Kunstmuseum Basel zu beschäftigen. Denn «das Kunstmuseum ist eine grosse Institution mit viel Macht, die sehr stark darüber bestimmt welche Künstler*innen sichtbar werden und welche nicht», begründet Schöberl ihren Entscheid. 

Walkshop „Projected Perceptions“ 2024
Das Kollektiv beim Walkshop «Projected Perceptions» vor dem Kunstmuseum. (Bild: Baran Ceylan)

Für das Projekt hat das Kollektiv finanzielle Unterstützung vom Kanton und Pro Helvetia erhalten. Der Plan war es, das Kunstmuseum in Bezug auf verschiedene Machtbereiche hin zu untersuchen. Schöberl zählt Feminismus, Kapitalismus und Postkolonialismus auf. «Wir wollten wissen, was die Wurzeln des Kunstmuseums sind», sagt sie. Von der geplanten Recherche berichteten die Künstler*innen immer wieder auf Instagram, woraufhin sich das Kunstmuseum beim Kollektiv meldete und für eine Kollaboration anfragte. Laut Schöberl sollte es explizit um Institutionskritik gehen. 

Dicke Luft

Als das Kollektiv beim Walkshop, wie diese Veranstaltungsserie des Kunstmuseums hiess, dann das eigene Arbeitsverhältnis mit dem Kunstmuseum in den Fokus stellte und die Institution für eine zu geringe Bezahlung anprangerte, wurde die Stimmung zwischen Künstler*innen und Museum angespannt, wie die BaZ bereits berichtete. Sie hätten eine Pauschale von 326 Franken vom Kunstmuseum erhalten, was auf die effektive Arbeitszeit heruntergerechnet einem Stundenlohn von 2.39 Franken entspräche, sagte das Kollektiv. Dem entgegnete das Kunstmuseum, man habe sich an die geltenden Vorschriften des Berufsverbandes der visuell schaffenden Künstlerinnen und Künstler, Visarte gehalten. «Dem Kunstmuseum Basel ist Lohnfairness ein grosses Anliegen. Honorare für freie Mitarbeitende und Auftragnehmer richten sich nach den Visarte-Richtlinien», schreibt die Leiterin Kommunikation des Kunstmuseums, Karen N. Gerig auf Anfrage. Zum Gespräch, zwischen dem Kunstmuseum und «Unofficial Hiking Society AG», das inzwischen stattgefunden hat, gibt die Institution aus Vertraulichkeitsgründen keine Auskunft.

Karen N. Gerig
«Dem Kunstmuseum Basel ist Lohnfairness ein grosses Anliegen. Honorare für freie Mitarbeitende und Auftragnehmer richten sich nach den Visarte-Richtlinien»
Karen N. Gerig, Leiterin Kommunikation im Kunstmuseum

Fakt ist: Für Konzipierung, Planung und Ausführung von Werken empfiehlt Visarte 90 Franken pro Stunde. Bei Performances, Aktionen und Interventionen sollten es mindestens 1200 Franken pro Künstler*in sein. Tatsache ist aber auch, über die massgebende Dauer der Aktionen wird nichts angegeben. Bei ortsspezifischen Gruppenausstellungen und -performances sei es empfehlenswert bilateral ein fixes Honorar gemäss den Richtlinien zu vereinbaren. Es ist also schwierig einzelne Vertragspartner*innen auf genaue Zahlen zu behaften, vieles ist Auslegungssache. 

Es gibt bereits verschiedene Ansätze, die Bezahlung der Kulturschaffenden zu verbessern und einheitlich zu regeln. In der Kulturbotschaft 2021-2024 hat der Bund das erste Mal festgehalten, dass er die staatlichen Finanzhilfen an die Institutionen an die Einhaltung der Branchenempfehlungen binden wird. Heisst: Nur wer fair bezahlt, bekommt auch finanzielle Unterstützung vom Bund. Aber auch hier soll es gemäss Kulturbotschaft Ausnahmen geben können. 

In Basel-Stadt wurde das Fördergefäss der Kulturpauschale neu konzipiert und der Basler Mindestlohn als Untergrenzung für die Bezahlung der entsprechenden Kulturschaffenden festgesetzt. 

Nach Ansicht des Kollektivs «Unofficial Hiking Society AG» werden diese Empfehlungen und Richtlinien aber zu wenig strikt eingehalten. Die Erfahrungen mit dem Kunstmuseum seien kein Einzelfall sagt, Schöberl. Deshalb richte sich die Kritik auch nicht ausschliesslich an das Kunstmuseum, sondern an das prekäre System im Allgemeinen. 

Walkshop „Projected Perceptions“ 202
Die Aktion thematisierte auch den Mindestlohn in Basel-Stadt. (Bild: Baran Ceylan)

Gemeinsam mit dem Künstler*innen-Duo «stöckerselig» und im Austausch mit nationalen und internationalen Institutionen und Entscheidungsträger*innen erarbeiten sie deshalb aktuell eine Petition, die sie im Rahmen der Kunsttage Ende August präsentieren wollen. 

Die Petition umfasst drei Punkte. Erstens sollen alle Institutionen, die staatliche Fördergelder erhalten, dazu verpflichtet werden, faire Honorare nach Visarte-Richtlinien zu zahlen und eine Entschädigung der konkret geleisteten Arbeitszeit und Spesen leisten.

Zweitens sollen hiesige Künstler*innen in Ausstellungen, Sammlungen, Kommissionen und Gremien angemessen repräsentiert werden. Die Petitionär*innen fordern sogar eine Quote. «Die Kunst lebt vom Austausch zwischen internationalen Positionen und solchen, die eng mit Basel verbunden sind. Dieser Austausch muss auch auf institutioneller Ebene Eingang finden», heisst es im Entwurf zur Petition, der Bajour vorliegt und öffentlich zugänglich ist. Wie genau diese Quote aussehen soll, ist aktuell noch Gegenstand der Diskussion.

Prozess statt Produktion

Der dritte Punkt der Petition ist etwas schwammiger. Gefordert wird das, was Christian Selig «Die neue Gegenwart und nicht die zukünftigen Erwartungen» nennt. Im Gespräch wird deutlich, dass den Künstler*innen hier ein Zusammenspiel aus Gesellschaft und Kunst vorschwebt, eine Welt in der Kunst nicht eine Kategorie in der kantonalen Verwaltung, sondern eine wesentliche Säule einer dynamischen Stadtentwicklung ist. Kunst soll nicht als Produktion eines Objekts verstanden werden, das im Museum ausgestellt werden kann, sondern als Prozess.

Neben den geforderten Verpflichtungen und Quoten entspricht wohl vor allem dieser letzte Punkt der Revolution, die Schöberl sich eigentlich wünscht. Eine Revolution, die Genregrenzen auflöst, die Kunst als Miteinander in der Gesellschaft etabliert und ökonomisch dennoch innerhalb des Systems funktioniert. Eine Utopie?

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