Wehe, die Natur stört unseren Alltag

Die Zeit zwischen den Jahren ist Ferienzeit. Bald wird es auf unseren Social-Media-Kanälen wieder wimmeln von Fotos aus den Bergen, im Grünen oder am Meer. Wir suchen die Natur zu unserer Erholung. Aber wehe, sie kommt unserem Alltag in die Quere. Sind wir noch in der Lage, mit Naturphänomenen umzugehen?, fragt FDP-Politiker Luca Urgese in seiner Kolumne.

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Der Schnee im November versetzte Basel in einen Ausnahmezustand. (Bild: zVg Collage: Bajour)

Am 21. November fiel nicht nur Schnee, es fielen auch Rekorde. Gleich reihenweise wurden in der Schweiz Neuschneerekorde für den Monat November verzeichnet. In Basel stammte der bisherige Rekord aus dem Jahr 1952. Damals fielen am 16. November innert 24 Stunden 14 cm. Dieses Jahr waren es satte 27 cm.

Es gibt wohl zwei Arten, wie Menschen mit einem solch seltenen Naturereignis umgehen. Die erste Gruppe Menschen freut sich ab der weissen Pracht, die inzwischen ja selten genug ist. Weil die Trams nicht fahren können und die Busse im Verkehr stecken bleiben, spaziert man halt ins Büro. Ja, zu spät zu einem Termin zu kommen ist ärgerlich. Grösstenteils herrscht dafür in einer solchen Ausnahmesituation aber Verständnis.

Zur Person

Luca Urgese, Jg. 1986, politisiert seit 2014 für die FDP im Grossen Rat. Von 2016 bis 2021 war er Parteipräsident. Im März kandidierte Urgese für den Regierungsrat, unterlag jedoch Mustafa Atici. In seiner Kolumne «Caffè Urgese» schaut er mit der bürgerlichen Brille auf Basel. Er äussert sich als Politiker und nicht als Mitarbeiter der HKBB.

Die andere Gruppe hingegen ärgert sich und schimpft darüber, dass Trams und Busse nicht fahren wie gewohnt, dass Strasse, Velowege und Trottoirs nicht bereits um 7 Uhr morgens schwarzgeräumt sind und man in seiner üblichen Alltagsroutine beeinträchtigt wurde.

Der Grosse Rat scheint sich grossmehrheitlich aus der zweiten Gruppe zusammenzusetzen. Wie komme ich zu diesem Schluss? In der Dezember-Session hat das Kantonsparlament – wohl unter erheblichem Eindruck des Rekordschnees kurz davor – beschlossen, dass künftig der Kanton für die Schneeräumung auf Trottoirs zuständig ist. Das kostet die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler 1,2 Millionen Franken, um Pflüge und Salzstreuer zu kaufen. Zusätzlich fallen jedes Jahr Kosten von mindestens 590'000 Franken an. Selbst wenn es das ganze Jahr gar nicht schneit, was nicht unwahrscheinlich ist. Schliesslich müssen die Geräte unterhalten und das Personal für seinen Bereitschaftsdienst entschädigt werden.

Ist das sinnvoll? Dafür sollten wir uns anschauen, wie oft es in Basel überhaupt schneit. Der Regierungsrat hat uns dargelegt, dass es im 20-Jahres-Durchschnitt ein Mal (!) zu Schneefall zwischen 10 und 20 cm kommt. Mehr als 20 cm ist es gar nur ein halber Tag in 20 Jahren. Immerhin acht Tage schneit es weniger als 10 cm. Stehen da Kosten und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis miteinander?

Der Regierungsrat hat sich zum Ziel gesetzt, dass die Trottoirs tagsüber innert fünf Stunden nach Ende des Schneefalls geräumt sein sollen. Fällt der Schnee in der Nacht, soll zudem erst morgens um sieben Uhr mit der Räumung begonnen werden. Wenn man bedenkt, dass leichter Schneefall üblicherweise schon dahingeschmolzen ist, bevor er geräumt werden kann, fragt man sich umso mehr, was das soll. Von der Frage, in welchem Quartier mit der Räumung angefangen werden soll, fange ich gar nicht erst an.

«Wir täten gut daran, gegenüber der Natur wieder etwas mehr Demut zu zeigen»
Luca Urgese

Nun ist mir durchaus bewusst, dass es Menschen gibt, für die schneeglatte Trottoirs besonders gefährlich sind, weil sie nicht mehr gut zu Fuss sind. Und dennoch müssen wir uns fragen, ob das verhältnismässig ist. Mir scheint, dass unsere Bereitschaft als Gesellschaft, Beeinträchtigungen unseres Alltags hinzunehmen, rapide abgenommen hat. Selbst wenn ein Naturereignis die Ursache ist: Der Staat muss unverzüglich Abhilfe schaffen.

  • Es hat gestürmt? Egal, die Stadtreinigung muss mir sofort die rutschigen Blätter und störenden abgebrochenen Äste aus dem Weg räumen (aber ja nicht mit dem Laubbläser, der stört!).
  • Es hat eine Unterführung wegen Starkregens geflutet? Egal, ich muss da jetzt durchfahren. Wo bleibt die Feuerwehr?!
  • Ein Baum muss krankheitshalber gefällt werden? Egal, die Stadtgärtnerei muss sofort einen möglichst gleich grossen Baum ersatzpflanzen.
  • Es hat stark geschneit? Egal, der Staat muss dafür sorgen, dass das Trottoir sofort wieder begehbar ist.

Wir täten gut daran, gegenüber der Natur wieder etwas mehr Demut zu zeigen und zu akzeptieren, dass unser Alltag halt für kurze Zeit nicht mehr seinen gewohnten Gang nimmt. Nicht nur, wenn wir in den Ferien sind.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen eine ruhige und besinnliche Weihnachtszeit. Und sollten wir unerwartet von einer weissen Weihnacht beglückt werden: Geniessen wir es einfach!

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