Welche sind Basels berühmteste Bilder?
Im Sommer und während der Art zieht es besonders viele Tourist*innen in die Basler Kunstmuseen. Aber gibt es in Basel auch Gemälde, die so berühmt sind, dass sie besonders viele Besucher*innen anlocken? Unser Autor Georg Kreis hat drei Werke auserkoren.
In den Sommertagen stehen offensichtlich häufiger Tourist*innen an der Kasse des Kunstmuseums. «Basel Tourismus» hat Unterlagen, die belegen, in welchem Mass der Basler Kunsttempel Menschen mit ferner Herkunft an die Stadt am Rheinknie lockt. Gäste nach Basels Stärken befragt, haben sie (gleich mit dem öV) Kultur & Kunst mit 21 Prozent an erster Stelle genannt, und zwar fast doppelt so häufig wie in den gesamten Schweizer Grossstädten.
In den Besucher*innenzahlen drückt sich das höhere Sommeraufkommen mit Zugereisten nicht aus, weil es bloss das Fernbleiben von Besucher*innen der Region ausgleicht, die ihrerseits auf Reisen sind. Die Zahlen zeigen im Übrigen, dass nicht einzelne Bilder der Dauerausstellung, sondern temporäre Sonderausstellungen Besucher*innenströme mobilisieren. So war die vom Amsterdamer Reichsmuseum gezeigte Sonderschau mit 28 Gemälden des Niederländers Jan Vermeer, (sie war bis am 4. Juni 2023 zu besichtigen), von Anbeginn mit 450'000 Tickets restlos ausverkauft.
Wenig überraschend und durchaus erfreulich ist, dass die auf das aktuelle Kunstschaffen ausgerichtete «Art» die Besuche der klassischen Sammlung temporär ansteigen lassen (rund 30’000 im Juni 2022 versus rund 20'000 im April des gleichen Jahres).
Nehmen wir an, dass es einzelne Bilder wären, welche Besucher*innen aus der Ferne anlocken, welche Bilder könnten dies sein? Das Interesse dürfte von persönlichen Vorlieben abhängen. Doch es gibt auch Gemälde, denen ein derart hoher Bekanntheitsgrad innewohnt und die schon darum eine entsprechende Wertschätzung geniessen, dass man sie unabhängig vom eigenen Geschmack aufsucht und gleichsam absolviert, ihnen einmal gegenübergestanden zu haben.
Der britische Filmemacher Peter Greenawey, in Basel vielleicht auch darum bekannt, weil er 2013 für eine Totentanz-Inszenierung gewonnen werden konnte, stellte 2009 aus dem Arsenal der westlichen Welt eine Berühmtheits-Hitliste zusammen, mit «Mona Lisa» an erster, mit Leonardos «Abendmahl» an zweiter und Michelangelos Sixtinischer Kapelle an dritte Stelle, um dann an vierter Stelle bei der von ihm eingehend betrachteten «Nachtwache» Rembrandts zu landen.
Diese Zusammenstellung ist diskutabel, denn man könnte manch anderes Werk berücksichtigen, Diego Velázquez’ «Las Meninas» in Madrid, Raffaels Madonna in Dresden, etc. Oder, um ein wenig von Europa wegzukommen, Katsushika Hokusais weltbekannter Holzschnitt «Grosse Welle» aus dem Jahr 1830, aufbewahrt im British Museum in London.
Und in Basel?
Eine kleine Umfrage bestätigt, dass der von Hans Holbein d. J. 1521/22 gemalte «Leichnam Christi im Grabe» als das bekannteste oder berühmteste Gemälde der Basler Sammlungen genannt wird. An zweiter Stelle könnten Franz Marcs «Tierschicksale» (1913) stehen, vielleicht gefolgt von Picassos «Les deux frères» (1906). Wenn dem so wäre, würde sich die Frage anschliessen, was sie denn besonders berühmt gemacht haben könnte – eine Frage, die zum Beispiel auch im Fall der «Mona Lisa» nicht schlüssig beantwortet werden kann.
Gerne würde man den herausragenden Status der drei genannten Basler Gemälde einfach mit der besonderen künstlerischen Qualität der Werke erklären. Schwieriger und viel aufwändiger wäre allerdings, näher darzulegen, worin diese Qualität besteht. Kommt aber eine nicht unwichtige Eigenschaft hinzu: Diese drei Bilder haben ihre speziellen Geschichten.
1.) Vorbild des von Holbein auf eine Lindenholztafel in nahezu lebensgrossem Format (30,5 cm × 200 cm) gemalten Leichnams Christi soll einer unbelegten Legende zufolge eine aus dem Rhein geborgene Leiche gewesen sein – Symbol der Vergänglichkeit des eigenen Lebens. Der russische Dichter Fjodor Michailowitsch Dostojewski reiste gemäss Bericht seiner Frau im August 1867 eigens nach Basel, um dieses Bild zu sehen. Die Begegnung mit diesem Werk soll ihn an den Rand eines epileptischen Anfalls gebracht haben. Einer Erzählung zufolge soll sich Dostojewski auf einen Stuhl gestellt haben, um auf gleicher Höhe mit dem Bild zu sein.
2.) In den «Tierschicksalen» spiegeln sich die dunklen Seiten der deutschen Geschichte. Der Maler Franz Marc war, als er 1915 im Krieg eine Abbildung seines Werks zugestellt erhielt, betroffen darüber, wie sehr er 1913 mit diesem Bild Medium der herannahenden Katastrophe war. 1916 kam er selbst bei Verdun um. 1919 ging ein Drittel des Bildes durch einen Brand verloren. Paul Klee restaurierte es. Nach 1933 wurde es von den Nazis als «entartet» eingestuft und konfisziert. Basel konnte es 1939 kaufen. Jetzt ist es hier, wegen seines fragilen Zustands darf es nicht mehr ausgeliehen werden.
3.) Picassos Bild der «beiden Brüder» gehörte zur privaten Sammlung Rudolf Staechelin, die in Teilen als Dauerleihgabe im Kunstmuseum ausgestellt war. Bedeutende Stücke der Sammlung mussten von der Stiftung 1967 veräussert werden, nachdem Sohn Peter Staechelin als Hauptaktionär der Fluggesellschaft Globe Air in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Darunter fiel neben Picassos «Arlequin assis» die «Les deux frères». Der Grosse Rat bewilligte 6 Millionen Franken aus Steuergeldern, was von «kunstfernen Kräften» bekämpft, in einer Volksabstimmung mit 54,2 Prozent aber gutgeheissen wurde. Eine als Volksfest aufgezogene Sammelaktion brachte die zusätzlich notwendigen 2 Millionen ein. Die Basler Bevölkerung demonstrierte damit, dass Kultur & Kunst in ihrer Stadt eine hohe Wertschätzung geniesst. Picasso war darüber so angetan, dass er dem Kunstmuseum Basel weitere Werke schenkte.
Haben Werke einmal einen bestimmten Bekanntheitsgrad erreicht, wird ihr prominenter Status zu einem Selbstläufer. Picassos «beide Brüder» kann man selbstverständlich als Kühlschrankmagnet im Museumsshop des Basler Kunstmuseums kaufen und nach Hause nehmen. Mag sein, dass von Berühmtheit noch immer eine besondere Attraktion ausgeht. Im professionellen Umgang mit Sammlungen zeigt sich jedoch – als ob man von der jahrelangen Orientierung an Klassikern genug hätte – das Bedürfnis, davon abzukommen und wenig Bekanntes, ja Unbekanntes hervorzuzaubern und interessant zu machen. Nicht zufällig hat die künftige Direktorin des Kunstmuseums, Elena Filipovic, im Moment ihrer Wahl erklärt, sich für Kunst einzusetzen, die weniger bekannt und noch nicht Teil des Kanons ist. «Es ist Zeit, den Blockbuster neu zu denken: als diejenigen Künstler, die man noch nicht kennt, aber kennenlernen möchte». Doch Blockbuster (Präsentationen mit hohen Einspielquoten) müssten dabei zustande kommen!
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