Wie ein Kunstobjekt den Alltag irritieren soll

Mit seinem Fahrzeug «Belotti Visione» will der Basler Luc Spühler auf künstlerische Art eine Alternative zum Auto bieten.

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Luc Spühler fährt mit seinem «Belotti Visione» gerne im Quartier rum und zieht viel Aufmerksamkeit auf sich. (Bild: Laura Ferrari)

Luc Spühlers Fahrzeug «Belotti Visione» steht in einer Garage im Neubad. Es ist weder Velo noch Auto und mit seinem Design, das dem späten 19. Jahrhundert entspringt, erinnert das Gefährt am ehesten an eine Kutsche. «Das war Absicht. Ich wollte kein futuristisches Design, sondern zurück zum Auto, so wie es ganz früher ausgesehen hat», sagt der 41-Jährige Basler. Er sei immer ein grosser Auto-Fan gewesen. 

Ein Fan ist er geblieben, auch wenn sein Belotti nun ein Versuch ist, eine Alternative zum Auto zu bieten. «Ich wollte ein Objekt schaffen, das Autofahrer*innen anspricht. Zum Beispiel jene, die nie ein Cargobike anschauen würden». Oder auch jene, denen futuristische, aerodynamische Liegevelos nicht zusagen. Und ganz wichtig: «Dieses Velo war nie als Verkaufsprodukt gedacht, sondern als Kunstobjekt», sagt Spühler. Entstanden ist es im Jahr 2020 als Teil der Abschlussarbeit im Kunststudium Hyperwerk auf dem Dreispitz.

Vermitteln und Zugänge schaffen

Luc Spühler hat 2010 seinen Job als Assistent der Geschäftsführung einer Entsorgungsfirma aufgegeben und begonnen, eigene Kunstprojekte zu machen. Antrieb war immer die Frage, wie er gesellschaftsrelevante Themen so zugänglich machen kann, dass sie bei den Menschen, die erreicht werden sollen, auch ankommen. Damit spricht er die verschiedenen Bubbles an, in denen sich die Gesellschaft bewegt und die oft nicht zueinander finden: «Bei der Klimadebatte fällt mir stark auf, dass es zwei Fronten sind, die sich bekämpfen». Dieser Frage ist er während seines Kunststudiums zwischen 2017 und 2020 nachgegangen, wo der Vorgänger von «Belotti Visione» entstanden ist: Ein fahrbarer Tisch, den Spühler ursprünglich aus Arbeitsplatzmangel im Studium gebaut hatte. «Mit dem Tisch konnte man bei schönem Wetter rausfahren und auf dem Campus arbeiten», sagt er. Der fahrbare Tisch wurde für verschiedene Aktionen gebraucht und hat vor allem Raum für Gespräche, auch ausserhalb des Campus, geboten.

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Der fahrende Tisch. Ein Ort für Gespräche und der Vorgänger von «Belotti Visione». (Bild: Luc Spühler)

Die Welt zu verändern ist nicht gratis

Und so, immer weiterentwickelt und umgedacht, ist im Jahr 2020 das vierrädrige kutschenartige, elektrisch betriebene Velo entstanden. Auch wenn es nicht als Verkaufsprodukt gedacht war, haben Rückmeldungen gezeigt, dass er sehr viele verkaufen könnte: «Ich werde oft danach gefragt, wenn ich im Quartier herumfahre. Allein über meine Website sind rund 150 Kaufanfragen eingetroffen». 

Schaut man sich besagte Website an, entsteht durchaus der Eindruck, dass unternehmerisch gedacht wurde und das Velo zum Verkauf stehen könnte. Luc Spühler sagt, man dürfe die Website mit einem Augenzwinkern anschauen, das sei Teil des Kunstwerks. «Wir sagten uns, jetzt tun wir so, als wären wir Hersteller und schauen, was passiert». Wir, das sind Luc Spühler und ehemalige Mitstudierende vom Hyperwerk. 

«Mein Velo war im Hochschulkontext kein Kunstobjekt, denn sein Nutzen ist sofort ersichtlich»
Luc Spühler

Und wie geht es weiter? Er könne sich vorstellen, eine Serie zu produzieren und zu verkaufen. Aber das sei mit hohen Kosten verbunden und mit seinen drei Kindern habe er eine grosse Verantwortung. «Ich versuche es über Stiftungen und private Investor*innen», sagt Spühler. Die Hochschule habe zwar Förderprogramme für ehemalige Studierende, doch dort kam «Belotti Visione» nicht gut an: «Das ist auch eine dieser Bubbles. Die Kunst und die Objekte, die dort entstehen, bleiben oft an diesem Ort. Sobald sie die Aussenwelt betreten, werden sie nicht mehr verstanden.» Ihm gehe es mittlerweile auch ein wenig so, wenn er die Abschlussarbeiten anschaue, gesteht er. «Mein Velo war im Hochschulkontext kein Kunstobjekt, denn sein Nutzen ist sofort ersichtlich», sagt er.

Bei der Velo-Community kommt «Belotti Visione» nicht an

Wo Spühler mit seinem Velo eher aneckt, ist bei der Velo-Community. So sei er während der vergangenen Mobilitätswoche auf dem Barfüsserplatz sehr kritisch hinterfragt worden. «Ich war mit dem Belotti dort und wurde von einigen belächelt», sagt er. Vor allem sei bei der Velo-Communitiy das Design nicht angekommen: «Viele Velofahrer*innen fanden, es ein unnötiges Objekt, unter anderem, weil es nicht aerodynamisch sei». Spühler findet diese Kritik berechtigt, nur sei es ihm ja gerade nicht darum gegangen. «Mein Ziel ist es noch immer, ausserhalb der Velo-Bubble ins Gespräch zu kommen. Ich möchte Alternativen bieten, damit wir weniger Autos in der Stadt haben». 

Das erweckt den Eindruck, dass sich «Belotti Visione» irgendwo bewegt, zwischen Kunstobjekt, das irritieren soll und einem Fahrzeug, das ernst genommen werden will.

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«Wir wollten etwas bauen, was den Alltag irritiert», sagt Luc Spühler und mit diesem Bild zeigt sich, dass das Ziel erreicht wurde. (Bild: Luc Spühler)

Wenn es unternehmerisch weitergehen solle, dann müsse er sich überlegen, wo sich «Belotti Visione» positioniert. Die Bandbreite an Zielpublikum reiche von jungen Eltern zu (vorwiegend) älteren Männern mit Liebe für alte Autos: «Einmal ist mir ein 80 Jahre alter Mann bis nach Hause gefolgt und wollte das Velo sofort kaufen. Er sagte, er fahre regelmässig nach Rodersdorf und dies sei das perfekte Fahrzeug dafür». 

Wenn er sich an einem Samstagnachmittag beim Dreispitz in die Autokolonne einreihe und auf einen Parkplatz warte, dann würden er und sein Fahrzeug von den Autofahrer*innen akzeptiert: «Es hat noch nie jemand gemotzt, weil ich einen Parkplatz besetzt habe. Etwas, das mit einem Cargobike nie funktionieren würde. Es kamen positive Reaktionen und viele Fragen», sagt Spühler.

Und was sagt er den Leuten, die ihn ansprechen? «Gehen Sie auf meine Website und abonnieren Sie den Newsletter, so bleiben Sie informiert».

Herz Stern
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